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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

aufführt; Oesterreich, damals Deutschlands Stern, ist inzwischen fast Deutschlands Feind geworden, – eine traurige Veränderung!

Außer dieser patriotischen Bedeutung für uns Alle nimmt der „Ottokar“ auch noch ein hohes literarisches Interesse in Anspruch, er ist seit Schiller die bei weitem hervorragendste Leistung auf dem bei uns so beklagenswerth vernachlässigten Gebiete der geschichtlichen Tragödie.

In dem klaren, streng gegliederten Bau, der treuen Färbung der Zeiten und Sitten, und der Großartigkeit der Zeichnung, namentlich im Charakter des Titelhelden, reicht Grillparzer fast bis an den nie übertroffenen Meister hinan. Der rebellische Böhmenkönig ist eine so gewaltige Gestalt, in seinem jähen Sturze so zerschmetternd, daß sein siegreicher Gegner Rudolph von Habsburg, der mit peinlicher Aengstlichkeit die engen Grenzen des Rechtsbodens innehält, von den riesigen Verhältnissen des Besiegten fast erdrückt wird; diese absichtswidrige Nebenwirkung ist aber auch das Einzige, was die Vollwirkung des Ganzen für den Aufmerksamen leise stört.

Erst nach vier Jahren trat der Dichter mit einem neuen Trauerspiele wieder vor die Oeffentlichkeit, diesmal nicht mit besonderem Glück. Selbst den gutmüthigen Oesterreichern, die doch vermöge einer vortrefflichen Erziehung das Möglichste in blinder Ergebung und duldendem Gehorsam leisteten, war es unmöglich, sich mit dem „treuen Diener seines Herrn“ zu befreunden. Es zeugt von dem außerordentlichen Talente des Schöpfers und bürgt für den poetischen Werth der Schöpfung, daß man sich eines gewissen gerührten Mitleids mit diesem „Bancbanus“ nicht erwehren kann, dessen tugendhafte Gemahlin vor seinen Augen von dem Schwager des Königs, einem rohen Wüstling, bis zur Verzweiflung des Selbstmordes getrieben wird, und der trotzdem seinen eigenen Rache heischenden Schwager im Namen den Königs als Aufrührer verhaftet und den Mörder rettet, aber Anerkennung für eine solche an Stumpfheit des Blödsinns grenzende Treue – wenn dies stolze Wort derartigen Mißbrauch erleiden darf – würde auch die stärkste Dichterkraft zu erwirken nicht im Stande sein. Metternich hätte das Stück mit einem Preise krönen können, das Publicum nahm es kühl auf.

Vielleicht wurde Grillparzer dadurch von der Geschichte wieder abgezogen; in seinem nächsten, 1831 erscheinenden Trauerspiele „des Meeres und der Liebe Wellen“ brachte er die durch Schiller’s Ballade „Hero und Leander“ überall bekannte altgriechische Sage auf die Bühne. Mit seinem tiefpoetischen Gehalt und der wunderbaren, fast duftigen Schönheit der Sprache und Empfindung ist es die Perle seiner Dichtungen, in der Hauptsache freilich vorwiegend lyrisch. Auch hier gehört nur die äußere Einkleidung dem Alterthume an; so lange es noch Liebende gibt, wird dies herrliche Gedicht verstanden und gewürdigt werden, und in keiner Beziehung hat es den Vergleich mit dem dramatischen „Hohenliede der Liebe“, mit Shakespeare’s „Romeo und Julia“ zu scheuen. Auch bei der Aufführung hat es stets große Wirkung erzielt, wird jedoch selten gegeben, da es an würdigen Darstellerinnen der „Hero“ fehlt. Grillparzer’s Jugend-Beschäftigung mit Calderon entsprang noch spät eine selbstständige Schöpfung, das Märchen „der Traum ein Leben“, das im Jahre 1834 über die Breter ging. Er selbst hatte es ein Wagniß genannt, „ein solch’ wunderliches Ding“, wie er sich darüber ausdrückte, dem Publicum vorzuführen. Wider sein eigenes Erwarten gelang es über die Maßen. Trotz der schattenhaften und stellenweise selbst unmöglichen Handlung fand dieses Drama seiner reichen Schönheiten, namentlich im lyrischen Elemente wegen, ungemeinen Beifall und hat sich dauernd auf dem Repertoir des Wiener Hofburgtheaters erhalten.

Grillparzer, der 1832 zum „Archivdirector bei der Kammer“ befördert worden war, hat nach jener nur noch eine Arbeit an das Licht der Lampen gebracht, das Lustspiel „Weh dem, der lügt!“ Trotz einer sehr sorgfältigen Besetzung fiel es vor einem dem Dichter äußerst wohlgeneigten Publicum durch. Diese Niederlage war vielleicht hart, aber sicher nicht ganz ungerecht. Eine große Schuld daran mag die Bezeichnung „Lustspiel“ tragen, die ganz andere Erwartungen weckt, als hier befriedigt werden. Von Humor, geschweige von Komik, findet sich nicht eine Spur darin, der tiefernste, stets den höchsten Zielen zustrebende Grillparzer hat keine derartige Ader in sich und hielt seine Kunst zu heilig, um den lachlustigen Wienern einen vergnügten Abend damit zu bereiten. Sie mögen daher enttäuscht und geärgert gewesen sein, als ihnen fünf Acte hindurch eine wenn auch noch so erhabene Moral in sehr schönen Versen gepredigt wurde. Die Annahme, daß der Dichter sich schwer darob gekränkt, ist sicher nicht ungerechtfertigt, da er, obschon damals in der Vollkraft seines Alters und Schaffens stehend, nie wieder das Theater mit einer neuen Schöpfung beschenkt hat. Er hat im Laufe der Zeit nur noch Fragmente aus einem Drama „Hannibal“ durch den Druck mitgetheilt, die von seiner ungeschwächten Kraft zeugen. Vielfachen, oft und verschieden verbreiteten Gerüchten zufolge soll eben dieser „Hannibal“ fertig in seinem Pulte gefangen liegen, nebst noch mehreren anderen Tragödien, als deren Titel „Libussa“, „Rudolph II.“ und „Esther“ genannt werden. Die Wahrheit ist schwer zu verbürgen. Daß ein gefeierter Künstler mitten in seinem Schaffen plötzlich abbricht, hat, namentlich in unserer allzu ausbeutungssüchtigen Zeit, etwas so Erstaunliches und Ueberraschendes, daß sich an jede derartig befremdende Erscheinung solch’ sagenhafte Gerüchte knüpfen; wie viele Opern soll nicht Rossini noch verborgen halten!

In dem Taschenbuche des Grafen Mailáth, der „Iris“ für 1840, veröffentlichte Grillparzer die einzige von ihm bekannt gewordene Novelle „der arme Spielmann“. Trotz des etwas krankhaften Stoffes ist sie ein Meisterwerk an Abrundung und durch und durch naturwahrer Schilderung, auch zeichnet sie sich durch gediegenen Styl aus, ein seltener Vorzug bei einem österreichischen Schriftsteller. Zu Grillparzer’s fünfzigstem Geburtstage (1841) wurde in Wien eine Medaille geprägt, die einzige Huldigung, welche das Vaterland dem größten seiner lebenden Dichter dargebracht; auch sang ihn Halm, der nächste Erbe seines Ruhmes, bei dieser Gelegenheit mit einem recht gut und herzlich gemeinten Gedichte an.

Im Jahre 1843 unternahm Grillparzer eine Reise nach dem Orient. Seine Anwesenheit in Griechenland fiel zwar schon weit über ein Jahrzehnt nach den Stürmen des Befreiungskampfes, doch sah er noch viele traurige Spuren davon, und es läßt sich wohl annehmen, daß der edle, so warm und tief empfindende Dichter den lebhaftesten Antheil an der Erhebung des unglücklichen Volkes genommen. Sicher war er Philhellene, aber nur im Herzen, seine Sympathie hat kein Vers bethätigt. Schon einmal hatte er Reise-Erfahrungen gemacht, und der unter Metternich’s Botmäßigkeit niedergehaltene Beamte, durfte mit keinem Volke fühlen, das seine Ketten zerbrach, selbst wenn sie von Türken und Heiden geschmiedet waren. Grillparzer hat auch lyrische Gedichte, jedoch nur zerstreut, veröffentlicht, und es ist ein schmerzlicher Verlust, daß sie noch immer nicht gesammelt erschienen sind. Sie ragen aus der lyrischen Überschwemmung unserer Tage durch den ihm eigenthümlichen Fluß und Wohllaut der Sprache, durch Fülle der Gedanken und Empfindungen und eine namhafte Kernigkeit der Gesinnung leuchtthurmartig empor. Neuerdings am weitesten gedrungen sind das Gedicht „an Wien“, die Dichtung „Vision“, mit welcher er die Genesung des Kaiser Franz feierte, und das Lied „an Radetzky“, diesen alleinigen und nicht ganz zweifellosen Quell, aus welchem Oesterreichs Dichter in der letzten Zeit ihre patriotische Begeisterung geschöpft. Grillparzer erhielt für dieses Lied das Ritterkreuz des Leopoldsordens. Seit 1856 ist er mit dem Hofrathstitel pensionirt, außerdem ist er Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.

Nach Dingelstedt’s so schönem als wahrem Worte gehören zum Dichter Freiheit und Einsamkeit. Nun, einsam ist Grillparzer sein Leben lang gewesen, er ist nach und nach zum Einsiedler geworden. Selbst unverheiratet blieb er, vielleicht einer jedenfalls unglücklichen Jugendliebe wegen, deren Bild er in einer seiner poetischen Figuren verewigt hat. Um ihn herum lärmte und wogte das lustige Wien in all seiner heißblütigen Zerstreuungssucht, seiner gedankenlosen Leichtlebigkeit, gedankenschwer nur schritt er still und kalt hindurch, ohne das verlockende Treiben eines Blickes zu würdigen. Weder in Scherz noch Ernst hat er sich jemals an allgemeiner Bewegung betheiligt, nicht einmal an literarischer. Er stand stets für sich. Das ist nicht die Einsamkeit, wie sie dem Dichter zu Zeiten Wohlthat und Bedürfniß, wenn er sich auf sich selbst beschränken will, zu ungestörtem Schaffen, zur Verarbeitung der Eindrücke und Anregungen, die er draußen gesammelt im lauten Leben; das ist ungesunde, naturwidrige Vereinsamung, die in ihrer äußeren Erscheinung etwas Gewaltsames und Herbes hat.

Wirklich ist Grillparzer auch im Inneren verbittert, er hat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_295.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)