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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Festigkeit des Sinnes und irgend welche gute Auszeichnung sind die Bedingungen zur Wahl der Mitglieder. Diese arbeiten mündlich oder schriftlich durch alle Mittel der Macht darauf hin, daß Vaterlandsliebe, deutsche Selbstheit, Geradsinn, Liebe zu den natürlichen Verhältnissen der Familie, Anhänglichkeit an den Monarchen und die Verfassung, Achtung gegen Gesetz und Obere, Religiosität, festes Streben gegen Unsitte, Laster und Künstelei, Liebe zur Wissenschaft und Kunst, Humanität und Brüderlichkeit, daß der Haß gegen den Luxus, dieses Gift der Treue, der Natürlichkeit und offenen Schlichtheit und diesen Pfleger von Falschheit, Selbstsucht und gekünstelten Sitten, daß die Tugenden des Muthes, der Hoffnung, der Freimüthigkeit und der bürgerlichen Festigkeit, daß endlich der Haß gegen Schmeichelei, Kriecherei, Verweichlichung, Menschenscheu und dergleichen wachse.“

Mit diesen Grundzügen stimmten die später ausgearbeiteten Statuten der Gesellschaft überein, die sich den Namen „Tugendverein“ selbst beilegte. Vor Allem war es jedoch nöthig, die Beistimmung der höheren Behörden zu erlangen. Zunächst wurde General Scharnhorst, der geniale Schöpfer der preußischen Wehrkraft, in der Umgebung des Königs für die Zwecke des Vereins, mit denen er selbst innig sympathisirte, gewonnen. Er wurde der Hauptförderer und Beschützer der Gesellschaft, ohne ihr jedoch, wie fälschlich geglaubt wird, beizutreten. Endlich erfolgte auch die königliche Anerkennung und officielle Genehmigung des sogenannten „Tugendvereins“, insofern er sich hiermit in den Grenzen der Landesgesetze und ohne alle Einmischung in Politik und Staatsverwaltung beschäftigen wolle.

Alsbald entfaltete die neue Verbindung eine ungemeine Thätigkeit, in kurzer Zeit wuchs die Zahl der Mitglieder auf Hunderte, darunter die besten und edelsten Männer des Landes. Ueberall bildeten sich sogenannte „Kammern“, welche sich der „Hauptkammer“ in Königsberg unterordneten, die wieder von einem „Obercensor“ geleitet wurde. Emissaire wurden nach den Provinzen, nach Schlesien und Pommern ausgesendet, um die Zwecke des Vereins zu fördern. Einer der Eifrigsten von ihnen war der Justiz-Assessor Heinrich Bardeleben aus Braunsberg, der längere Zeit fälschlich für den Stifter des Tugendbundes gehalten wurde.

In seiner Wirksamkeit hatte sich der Verein große, weit umfassende Ziele gesteckt, indem er für die Erziehung der Jugend, für Volksbildung und Volkswohlstand, für innere und äußere Polizei Sorge tragen wollte. Im Fache der Erziehung stellte er sich die Aufgabe: durch Berathungen die vorzüglichsten Methoden zu ermitteln, durch welche die Jugend zum möglichst vollständigen Gebrauche aller ihrer geistigen und körperlichen Kräfte gelange, die Entwickelung allgemeiner Sittlichkeit, Religiosität und besonders des Bürgersinns eifrig zu befördern, endlich die Erziehung elternloser und verarmter Kinder zu übernehmen.

Für die Volksbildung sollte durch Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse, durch Hebung des Nationalbewußtseins und Pflichtgefühls gewirkt werden. Zu diesem Zwecke sollte auch die Veredlung der Volksfeste, volksthümliche Spiele, körperliche Uebungen, Turnen etc. dienen; dagegen wollte man dem Hange zu Privatkomödien, dem Lesen schlechter Romane und unsittlicher Gedichte entgegenarbeiten und diese durch bessere, gediegenere Schriften für das Volk zu ersetzen suchen. Für den Volkswohlstand gedachte der Verein durch Belohnung und Aufmunterung, Herbeiziehung von kenntnißreichen Fachmännern, durch Vorschußcassen etc. einen neuen Aufschwung herbeizuführen. Im Fache der äußeren Polizei ging sein Streben dahin, das Volk über den Zweck der verschiedenen Gesetze und Maßregeln aufzuklären und seinen Rechtssinn zu stärken, während die innere Polizei sich lediglich auf das sittliche Verhalten der Bundesmitglieder selbst beschränkte.

Die Zeit des Bestehens, welche dem Tugendbunde zugemessen, war zu kurz, um all diese großartigen Pläne auszuführen, dennoch leistete er Wunderbares. In Königsberg errichtete er eine Speiseanstalt, wo täglich 640 Arme unentgeltlich gespeist wurden; in Braunsberg wurde eine Industrieschule geschaffen, die nach wenig Monaten schon 146 Mädchen und Frauen beschäftigte; an andern Orten machte er sich durch Einführung gymnastischer Uebungen, durch Anleitung zu einer besseren Cultur, durch Gründung von Niederlagen für Gewerbsarbeiten etc. hoch verdient.

Sein Hauptstreben war aber auf Weckung der Vaterlandsliebe und auf Befreiung von dem Joche des fremden Unterdrückers gerichtet, so sehr auch die Verhältnisse dem Verein die größte Vorsicht auferlegten. Es fehlte ihm natürlich nicht an Feinden und Gegnern, zu denen vorzugsweise die Franzosenfreunde am Hofe gehörten. Schon der Name „Tugendverein“ gab den entnervten Schranzen, den Ueberbleibseln einer frivolen und sittenlosen Vergangenheit, hinlängliche Gelegenheit zum Spötteln. Dazu kam die schwankende Lage des preußischen Staates, die Furcht des Königs, Napoleon durch Begünstigung einer Verbindung zu erzürnen, die entschieden gegen diesen gerichtet war. Während man im Geheimen die Zwecke der Gesellschaft billigte, sah man sich öffentlich dem französischen Gewalthaber gegenüber gezwungen, dieselben in Abrede zu stellen. Von Spionen und Aufpassern umringt, unter denen auch leider viele Deutsche sich befanden, war der Verein ein Gegenstand des Argwohns in den Augen der Franzosen und besonders Napoleons, der mit gewohntem Scharfblick die Gefahr einer solchen geistigen Volkserhebung sogleich erkannte und sie im Keime schon zu unterdrücken suchte.

Trotz all’ dieser Hindernisse verbreitete sich der Tugendbund mit überraschender Schnelligkeit über ganz Preußen, selbst in den kleinsten Städten fanden sich Theilnehmer und Förderer seiner Zwecke. Unter seinen Mitgliedern zählte er Männer, die durch Geist, Tüchtigkeit der Gesinnung und große Verdienste in der Staatsverwaltung hervorragten, so den nachmaligen Kriegsminister von Boyen, den Lieutenant von Witzleben, ebenfalls später Kriegsminister, den herrlichen Grolmann, den Prinzen von Hohenzollern-Hechingen und den Herzog von Holstein-Beck, den Kammerdirector von Ladenberg in Marienwerder, welcher bis zum Cultusminister emporstieg, Staatsrath von Ribbentrapp und den verdienstvollen Oberpräsidenten Merkel in Schlesien. Besonders zahlreich war der gelehrte Stand vertreten; durch Wort und Schrift wirkten für den Verein der Dompropst und nachmalige Bischof von Mathy in Kulm, die Professoren Krug in Königsberg, später nach Leipzig berufen, Eichhorn in Frankfurt an der Oder, der Geschichtschreiber Baczko, der gelehrte Rector Manso in Breslau, die Professoren Rhode und Elsler ebendaselbst und der bekannte Gubitz in Berlin. Männer wie Blücher, Gneisenau, Scharnhorst traten zwar dem Vereine, obgleich dies vielfach behauptet wird, nicht öffentlich bei, förderten aber und unterstützten ihn auf jede mögliche Weise im Stillen, da ihnen ihre Stellung eine größere Vorsicht auferlegte. Im gleichen Sinne wirkten Fichte, Schleiermacher und Arndt; wenn sie auch nicht zu den eigentlichen Mitgliedern gehörten, so standen sie doch zu den Leitern in innigstem Verhältnisse und waren vollkommen mit ihnen einverstanden. Stein dagegen nahm mit der Zeit, wenn auch nicht eine feindliche, so doch eine minder günstige Stellung zu dem Tugendbunde ein, wozu der amtliche Bericht des Assessors Koppe, der später durch seine Unvorsichtigkeit den Minister compromittirte und seine gezwungene Entlassung herbeiführte, das Meiste beigetragen zu haben scheint. Stein selbst hielt den Verein für unpraktisch und sein Streben, einen mittelbaren Einfluß auf die Erziehungs- und Militair-Anstalten auszuüben, für unstatthaft.

In ähnlicher Weise urtheilte ein großer Theil der preußischen Bureaukratie, welche zu allen Zeiten gegen jede Selbstbestimmung und Kraftäußerung des Volkes sich auflehnte und den beschränkten Unterthanenverstand unter ihre alleinige Vormundschaft stellen wollte. Von vielen Seiten wurde der König mit Klagen und Verleumdüngen gegen den Verein bestürmt, denen er jedoch anfänglich kein Gehör schenkte. Als der Herzog von Holstein, ein Mitglied des Tugendbundes, ihm für seinen Schutz dankte, äußerte sich Friedrich Wilhelm der Dritte folgendermaßen: „Es freut mich, daß Sie auch dazu gehören. Es ist wahr, daß dieser Verein Feinde hat, und daß ich der Einzige bin, der ihn hält, die andern Herren wollen alle nicht viel davon halten. So lange ich nun weiß, daß der Verein in den vorgeschriebenen Schranken bleibt, werde ich ihn gewiß schützen, weil manches Gute durch ihn bewirkt werden kann, und ich weiß es, daß viele vernünftige Männer in dieser Gesellschaft sind, von denen ich gewiß erwarten darf, daß sie suchen werden, Alles zu vermeiden und zu entfernen, was zu gegründeten Beschwerden gegen den Verein Anlaß geben kann.“

Gestützt auf diese königliche Zusage fuhr der Tugendbund in seinem segensreichen Werke fort, obgleich die mannichfachen Verleumdungen ihm einen gewissen Zwang auferlegten. Die Verbindung war zwar keine geheime, aber doch eine geschlossene, da die Mitglieder sich von allen Seiten beobachtet sahen. Unter dem

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