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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

steht immer über sich selbst, und wenn bei ihm die Gefahr möglich wäre, zu tief in seine Subjectivität zu versinken, so wäre er es nur, der das Münchhausen’sche Kunststück wirklich vollbrächte, sich bei seinem eigenen Schopfe selbst aus dem Sumpfe zu ziehen. „Die Biographie eines Künstlers sind seine Werke,“ ist Kaulbachs eigener Ausspruch.

In dem kleinen Waldeck 1805 zu Arolsen geboren, ging er durch die Lehrzeit des Goldschmiedehandwerks, das schon die größten Maler aller Zeiten aus sich hervorgehen sah, zur Historienmalerei über, studirte in Düsseldorf und kam mit seinem Meister Cornelius nach München, um, anfangs bei dessen Arbeiten thätig, bald zu dem Gipfel seines eigenen Ruhmes emporzusteigen. Gegründet wurde derselbe in München, verkündet in Berlin, wo er im Treppenhaus des neuen Museums die bekannten geschichtlichen Fresken ausführte. Seinen häuslichen Heerd hat er in München gebaut, wo er seit Cornelius’ Abgang Director der Akademie der bildenden Künste ist.

Ich glaube nicht, daß der berühmte Künstler es als einen Mißbrauch seines Vertrauens auslegen wird, wenn wir unsere Leser in die Werkstätte seines Genius, sein Atelier, einführen. Dasselbe ist im Gebäude der königlichen Akademie, und hier, im ehemaligen Jesuitercollegium, malt Kaulbach, der Maler des Protestantismus, seine Bilder. So haben Häuser ihre Schicksale. Die Treppe hinauf, an den Ateliers der Professoren von Schwind, Anschütz und Folz vorüber, führt der Weg eine weitere kleine Treppe höher in das Atelier des Chefs der Kunstanstalt. Ein weiter, hoher Raum, würdig, die Gedanken eines so großen Schöpfergeistes in sich aufzunehmen, dieser Raum, mit den Tapeten Raphael’s ausgeziert, einem alten kostbaren Schatz des baierschen Königshauses, den, wenn wir nicht irren, König Ludwig der Akademie zum Geschenk gemacht hat.

Wilhelm von Kaulbach.

Ein kolossaler Carton mit gewaltigen Gestalten und Gruppen nimmt fast die ganze eine Hälfte des Raumes ein. Auf den verschiedenen Staffeleien rings umher sind kleinere theils angefangene, theils vollendete Kreidezeichnungen, darunter die neueste Composition des Künstlers zu den Goethe-Illustrationen, Werther’s Lotte im Kreise ihrer jüngeren Geschwister, aufgestellt (links auf der Illustration). Rings an den Wänden umher begegnet das Auge den ersten skizzenhaften Entwürfen zu den weltbekannten Fresken an der Münchner neuen Pinakothek und im Berliner Museum, dazwischen im einfachen Rahmen einer älteren Zeichnung zu Schiller’s Verbrecher aus verlorner Ehre. Die lebensgroße Gestalt eines jungen Mannes mit dem edlen Kopfe und den träumerischen Augen ist eine theure Jugenderinnerung des Künstlers an seinen Aufenthalt in Italien und das Glück der Freundschaft, welches er dort in einem jungen ungarischen Baron P. fand.

Zwischen Staffeleien, Seidendraperien, alterthümlichen Möbeln, Büchern, Schädeln und Todtengebeinen uns durcharbeitend, bleiben wir gefesselt vor einem verstaubten, vielleicht absichtlich in den Winkel gestellten Bilde stehen, einer Frauengestalt in Lebensgröße und in der Tracht und Umgebung des siebzehnten Jahrhunderts, mit einem Kopfe von wunderbarer Schönheit, mit Augen so dämonischen Zaubers, daß sie nur einer Lucrezia Borgia oder einer Lola Montez gehören können; das Letzte ist das Richtige.

Unter den meisterhaften Portraits der Münchner Freunde des Künstlers treffen wir manche berühmte Persönlichkeit. Von der Masse der Studienköpfe zieht uns namentlich die Zeichnung eines interessanten männlichen Kopfes mit einem tief melancholischen Ausdruck an; diesen Kopf hat sich der Künstler zu seinem Hamlet ausersehen; in ihm erblicken wir einen lieben Bekannten, einen Bekannten von halb Europa. Ja, jene Gestalt im schwarzen Sammetmantel und mit den langen Händen, mit dem vergeistigten, wir wollen nicht sagen geisterhaften, Gesichtsausdrucke ist Liszt – der Vater aller langhaarigen Genialität. Und hier (das Bild in der Mitte unserer Illustration) – o, wie schön, wie edel, wie geistvoll! – Prinzessin Marie W., vermählte Fürstin H., im lichtblauen Seidengewand, mit fürstlichem Schmucke, umwallt von langen, luftigen Schleiern, ganz „Fee Abunda“, wie sie Geibel stets zu nennen beliebte.

„Ach, Sie kennen die Prinzessin?“ Mit diesen Worten ist ein Mann in einem langen Talare von dunklem Tuch, in einem grauen Filzhute, mit der Cigarre im Munde, der Reißfeder in der Hand, zu uns getreten – es ist Kaulbach. Ein Carton hatte uns bisher seine Person verdeckt. Ein Anknüpfungspunkt ist gefunden. Er spricht mit begeisterter Anerkennung von den außerordentlichen Eigenschaften der hohen Dame, er ladet uns ein, auf dem grünen Plüschmöbel mitten unter exotischen Pflanzen Platz zu nehmen, er bietet Cigarren an.

Wir nehmen einige Blätter zur Hand, die auf dem Tische liegen. Wir begrüßen in „Gretchen am Brunnen“ eine neue Originalzeichnung. – „Originalzeichnung?“ wiederholt lachend der Künstler – „nein, es ist nur eine Photographie der Originalzeichnung, aber so vollendet, daß am Ende nur der Autor selbst die Unterscheidung machen kann.“ Er spricht dann weiter von den glänzenden Resultaten, zu denen es die Photographie und neuerdings namentlich der Hof-Photograph Albert in München gebracht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_284.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)