Seite:Die Gartenlaube (1860) 266.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

war ihm im Namen der Messerschmidt übersandt worden, wenn er in deren Namen Briefe erhielt.

In dem Gerichtssaale verbreitete sich das Gerücht, der Zeuge habe sogar die Frechheit gehabt, gerade in der Kleidung hier vor Gericht zu erscheinen, die er von der Leuthold zum Geschenk angenommen habe.

„Von wem der Rock sei, den er da trage?“ fragte ihn ein anderer Vertheidiger.

„Von der Frau Leuthold,“ mußte er antworten.

„Auch die Beinkleider?“

„Ja.“

„Ich habe genug,“ sagte der Vertheidiger, und nur Blicke der Verachtung trafen den Zeugen.

Er hätte auf die letzten Fragen nicht zu antworten brauchen, aber er hatte den Kopf verloren unter der Wucht, mit der ihn vernichtend die sittliche Strafe des Volksgerichts traf. Mit dem Gefühle seiner Vernichtung verließ er den Zeugenstuhl und den Saal.

Nach ihm wurden noch ein paar andere weniger erhebliche Zeugnisse erhoben. Dann begannen die Vernehmungen der Angeklagten über den Fall.

Die Frau Leuthold räumte die ihr zur Last gelegten Thatsachen ein, fand aber kein Verbrechen darin. Sie wollte die ganze Sache mit den Eheleuten Kambli verabredet haben; die Frau Kambli habe ihr auch die Anna Messerschmidt als brauchbare Person zugewiesen. Im Kambli’schen Hause sei die Messerschmidt für ihre Rolle instruirt, angekleidet und aufgeputzt worden, die Frau Kambli selbst habe noch Sachen dazu zusammengeholt. Er, der Kambli, habe die telegraphischen Depeschen nach Interlaken besorgt.

Die Eheleute Kambli bestritten, von dem Plane und der ganzen Komödie der Leuthold irgend etwas gewußt zu haben. Die Frau Kambli wollte ihr auch die Messerschmidt nicht zugewiesen haben; das sei von der Witwe Suter geschehen, bei der die Messerschmidt gewohnt und die eine Jugendfreundin der Leuthold sei. Die übrigen Bezichtigungen der Leuthold räumten beide Eheleute Kambli ein, aber sie wollten nicht gewußt haben, um was es sich handle; die Leuthold habe ihnen vielmehr nur gesagt, es handle sich um eine Commission, die die Messerschmidt bei vornehmen Leuten ausrichten solle.

Die Frau Suter wollte von gar nichts wissen; sie gab nur zu, daß sie die Leuthold in ihrer Jugend gekannt, und daß die Messerschmidt bei ihr gewohnt habe und jetzt wieder bei ihr wohne. Sobald sie – wie ich meine, von dieser selbst – die Geschichte erfahren, habe sie dieselbe von der Fortsetzung abgemahnt, und auch sie habe zuerst den Dr. A. über Alles aufgeklärt.

Die Messerschmidt bekannte offen die ganze Komödie oder Betrügerei. Die Leuthold habe sie aber erst auf dem Wege nach Bern unterrichtet, mit folgendem Vorgeben: Sie habe eine Tochter in Bern, mit dieser wolle sie einen armen jungen Mann, den Dr. A., glücklich machen; sie, die Messerschmidt, solle einstweilen die Rolle dieser Tochter spielen, bis es ihr, der Leuthold, gelungen sein werde, das Verhältniß ihrer Tochter zu einem reichen Manne, mit dem sie verlobt sei, zu trennen. Die Messerschmidt hatte, zugleich gegen das Versprechen, daß auch sie glücklich gemacht werden solle, die Rolle, in der sie nichts Verbrecherisches fand, übernommen. Sie hatte dem A., der ihr ebenfalls gefallen, und dessen frühere Verlobung sie erst später erfahren, schon in Thun und Interlaken Alles entdecken wollen, die Leuthold hatte sie aber keinen Augenblick mit ihm allein gelassen. In Zürich hatte sie ihm nachher sogleich Alles mitgetheilt. Die Messerschmidt mochte ein leichtsinniges Mädchen sein; sie war unverkennbar ein ehrliches und gutmütiges Geschöpf. Sie machte einen günstigen Eindruck, man interessirte sich fast allgemein für sie.

Nach den Vernehmungen der Angeklagten folgten die Plaidoyers des Staatsanwalts und der sämmtlichen Vertheidiger über alle zur Verhandlung gekommenen Verbrechen. Die Reden waren geschickt, leidenschaftslos; einzelne Vertheidiger redeten meisterhaft. Der Präsident gab ein bündiges, klares, völlig unparteiisches Resumé; er verlas dann die von den Geschworenen zu beantwortenden Fragen.

Eine der nichtsnutzigsten, verwirrendsten und schädlichsten Proceßinstitutionen ist das System der Fragestellung an die Geschworenen in dem französischen Strafprocesse. Es ist in die deutschen Strafproceßgesetze übergegangen. Anstatt, wie es die Natur des ganzen Geschworeneninstitutes nothwendig mit sich bringt, und wie es auch im englischen Processe geschieht, die Geschworenen einfach die Frage beantworten zu lassen: ob der Angeklagte des angeklagten Verbrechens (Mord, Diebstahl, Betrug u. s. w.) schuldig sei, wird die That, die das Verbrechen bilden soll, in möglich viele einzelne Momente, Thatsachen und Thatsächelchen zerlegt, mit allen möglichen Einschachtelungen, Alternativen, Eventualitäten, Spitzfindigkeiten und Haarspaltereien, daß oft den Richtern selbst und den Staatsanwälten und Vertheidigern wüst und wirr darüber im Kopfe wird, und die Geschworenen gar nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Da werden oft achtzig bis hundert solcher Fragen ausgestellt, wo eine einzige zureichte und in England zureicht. Das nennt man Recht, und es geschieht, damit den Geschworenen, den Volksrichtern, ja nicht zu viele Macht eingeräumt werde. Der alte Napoleon wußte wohl, was er that, als er den Franzosen das Scheinbild eines liberalen Strafprocesses gab.

Das Züricher Strafproceßgesetz hat jenes einfache und richtige englische System der Fragestellung aufgenommen. Den Geschworenen wurde über jedes der einzelnen verhandelten Verbrechen nur eine Frage vorgelegt.

Sie gingen in ihr Berathungszimmer. Das Publicum war wesentlich nur in einer Beziehung auf ihr Verdict gespannt. Ueber den Hauptbetrug, – an Weidmann verübt, – hatten die Geschworenen gegen die Hauptverbrecherin, – Frau Leuthold, – kein Verdict abzugeben; daß der Ehemann Leuthold werde für schuldig erklärt werden, bezweifelte man nicht; es konnte sich nur fragen, bis auf welchen Betrag; die Frage war untergeordnet.

Der Knecht’sche Fall hatte nur ein theoretisch-juristisches Interesse, und richtig bemerkte ihr Vertheidiger, in Beziehung der Leuthold sei es gleichgültig, ob sie den Fall auf ihre ohnehin schon große Rechnung nehmen müsse oder nicht, es komme aber auf das Recht an.

Mit großem, allgemeinem Interesse wurde aber der Entscheidung des sog. Betrugs gegen den Dr. A. entgegengesehen, bei dem zugleich vier, außerdem straflose Personen betheiligt waren. Das Züricher Strafgesetzbuch faßt zwar, wie oben bemerkt wurde, im §. 239 den Begriff des Betrugs sehr weit auf, und es rechnet unter denselben ausdrücklich im §. 256 als „unbenannten Betrug“: „Vergehen, welche zu keiner der in diesem Gesetzbuche besonders benannten Arten des Betruges gehören, allein unter die Bestimmungen des §. 239 fallen, sollen mit der Strafe derjenigen Art belegt werden, mit der sie, nach dem Ermessen des Richters, am meisten verwandt sind.“ Und als solcher unbenannter Betrug war die That angeklagt.

Allein der §. 239, der danach der zuletzt entscheidende bleiben soll, fordert immer eine zum Nachtheil der Rechte eines Anderen unternommene Täuschung, und da fragte sich denn mit Recht Jeder, welches Recht des Dr. A. denn in Nachtheil oder nur in Gefahr gebracht worden sei. Die Vertheidiger gingen alle möglichen Rechte des Mannes durch. Daß ein Vermögensbetrug nicht vorliege, habe die Staatsanwaltschaft selbst anerkannt, indem sie eben auf unbenannten Betrug geklagt habe; auch habe klar der Dr. A. keinen Vermögensschaden, vielmehr mancherlei pecuniäre Vortheile bei und von der Geschichte gehabt. Auch ein Betrug in Bezug auf den Familienstand habe nicht stattgefunden. Das Gesetz erfordere dazu rechtswidrige Veränderung oder Unterdrückung des Familienstandes eines Menschen. Möglicherweise könne man daran hier nur bezüglich der Messerschmidt denken, die sei ja aber Angeklagte und nicht Beschädigte. Wolle man etwa speciell eine betrügliche Verleitung zur Ehe annehmen? Weder die Leuthold, noch die Messerschmidt, noch irgend ein Anderer habe nur im Entferntesten ernstlich daran gedacht, den A. mit der Messerschmidt zu verheirathen. Die Leuthold habe nur den jungen Mann an sich fesseln und mit ihm allein ungestört und in Freuden ein paar Wochen in der Welt umherreisen wollen; die Anderen hätten nur an einen Scherz gedacht. Welches Recht des Dr. A. sei dann verletzt? Sein Leben, seine Gesundheit war nicht in Gefahr. Seine Keuschheit? Oder vielleicht seine Ehre? Es sei ein schlechter Scherz, eine heillose Posse mit ihm gespielt. „Wenn aber für alle Männer, denen das passirt, eine Criminalklage erhoben werden soll, dann müssen wir uns hier permanent erklären.“ Habe wirklich die Ehre des Dr. A. gelitten, so habe er sie selber vernichtet. Er habe sich roh, gemein, habsüchtig benommen; er habe seine Braut, die Jugendfreundin, verlassen, um Millionen zu heirathen; als es mit den Millionen nichts geworden, habe er sich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_266.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)