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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

die erschütterten Nerven spannten sich noch einmal zu dem lange verweigerten Dienste. Aber die Genesung war nur eine körperliche; die Heiterkeit des Geistes, die ihn in den letzten Zeiten durchströmt und gehoben hatte, war dahin – verwischt, wie der Flügelstaub des Schmetterlings, den eine rohe Hand auch nur eine Secunde lang gefaßt hielt. Auch für den Riß, der sich zwischen den beiden Gatten gebildet hatte, gab es keine Heilung mehr.

Vergebens war Amaliens redlichstes Bemühen, durch immer gleiche Milde und Sicherheit das gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen, ihre Thätigkeit fand keine Erwiderung an Rudolph, der nicht unfreundlich, aber verschlossen und düster neben ihr dahinging. Er kämpfte mit sich selbst, Amaliens wohlwollenden, herzlichen Ton zu erwidern, er machte sich Vorwürfe, daß er es nicht vermochte; er zürnte über sich selbst wegen des offenbaren Unrechts, das er dadurch gegen sie beging – aber er konnte nicht anders. Theresens Stimme klang ihm an’s Ohr, wenn er wie sonst zu ihr reden wollte; Theresens Gestalt trat wie zürnend und abwehrend vor ihn, wenn er sich ihr nähern wollte – sein Herz war getheilt, und der Verstand scheute sich, den Zwiespalt zu heben, der ihn zu verwirren drohte.

Die zwischen Beiden entstandene Leere war um so fühlbarer, als auch die durch Anna’s Verlust gebildete unersetzliche Lücke sich täglich und stündlich in schmerzlichen Erinnerungen geltend machte. Amalie hatte das Kind wie ein eigenes geliebt; auch ihr fehlte das liebenswürdige Kind überall, aber sie ertrug die Trennung um Theresens willen; wußte sie doch, daß es ihr nun Alles sein mußte, daß es wohl das einzige Band war, sie wieder mit dem Leben zu vereinen. Rudolphs Empfindung dagegen war die entgegengesetzte: er fand es von Tag zu Tag unerträglicher, sein Kind entbehren zu müssen, er rechtete mit sich selbst darüber, daß es so war; er dachte nach, ob es denn nicht anders sein könne – in seinem Hause war nur der Körper, Geist und Herz zogen ihn dahin, wo er Mutter und Tochter wußte und deren Zusammensein mit aller Leidenschaft einer zügellos gewordenen Phantasie ausmalte.


(Schluß folgt.)




Ein Gang auf den Neuen Friedhof zu Leipzig.


Ein Blatt für Steinmetzen.


Grabstätte des Superintendenten Dr. Großmann.

Auf dem Gefilde der großen Völkerschlacht, nahe der Stelle, von welcher aus Napoleon seine Heeresmassen leitete, liegt der Neue Leipziger Friedhof. Es ist eine durch des Menschen Lust am Leben sehr erklärliche Erscheinung, daß man sich von den Grabstätten der Todten, die uns zu gewaltig an die eigene Hinfälligkeit mahnen, lieber fern hält. Wenn uns auch der mittelalterliche Aberglaube, welcher die Kirchhöfe als geisterhafte Spuk- und Schauerplätze bezeichnete, nicht mehr anhängt, zumal die moderne Gesundheitspolizei solche Orte dem belebten Tagesverkehre ferner gerückt hat, so fühlt doch Mancher, mag er es eingestehen oder nicht, ein unheimliches Schauern beim Anblicke des Gottesackers und wendet seine Blicke und Schritte lieber schneller von dannen. Wir geben gern zu, daß ein überschwänglicher Hang zur Romantik dazu gehört, den Gottesacker vorzugsweise zum Spaziergang zu erwählen, indessen der zeitweilige Besuch eines denkwürdigen Friedhofs hat immerhin Nutzen für unsere sittliche und ästhetische Bildung. Nur ein völlig rohes und verstocktes Herz kann sich der innern Sammlung des Gemüths, welche die Erinnerung an die Todten erzeugt, völlig verschließen. Diese Erinnerung aber bildet einen wohlthätigen und reinigenden Gegensatz zu dem gewöhnlichen Treiben des Tages. Wir empfanden dies beim Anblicke der freundlichen Gärten, welche den Neuen Friedhof bilden. Der alte sogenannte Johanniskirchhof, welcher in der Dresdner Vorstadt liegt und zahlreichere Denkwürdigkeiten enthält, wird seit 1850 abgetragen, weil bei der fortschreitenden Ausdehnung der Vorstädte seine jetzige, den Wohnungen zu nahe gerückte Lage die Gesundheit der Anwohner benachtheiligt. Der neue, etwa eine halbe Stunde von der innern Stadt am Thonberge gelegene Begräbnißplatz faßt einen Flächenraum von fast 150,000 Quadrat-Ellen und besteht aus drei großen Abtheilungen, von denen die letzte erst neu angelegt und noch unbesetzt ist. Grüne, mit Blumen geschmückte Rasenhügel, einfache Kreuze und reiche Denksteine bezeichnen die Grabstätten.

Ein einfacher Würfel von bläulichem schlesischen Marmor, umgeben von einem Eisengitter, in der rechten Mitte der ersten Abtheilung deckt das Grab des Kaufmann Schletter, eines eifrigen und über Leipzigs Marken hinaus wohlbekannten Kunstmäcens, welcher 1853 starb und der Stadt Leipzig seine werthvolle, namentlich an Gemälden der neueren französischen Schule reichhaltige Kunstsammlung unter der Bedingung vermachte, daß die Stadt binnen fünf Jahren ein zur Aufnahme dieser Kunstschätze bestimmtes Museum erbauen sollte. Dieses stattliche Gebäude, nach einer Zeichnung des Prof. Lange in München auf dem Augustusplatze der Universität gegenüber ausgeführt, ist bereits seit 1858 eröffnet.

Dem Schletter’schen Würfel gegenüber, in der Mitte der linken Hälfte derselben Abtheilung, befindet sich die Ruhestätte eines andern Leipziger Patriciers, des Rathsherrn Stieglitz, vorzugsweise bekannt als Erbauer eines am Marktplatze gelegenen Hauses, Stieglitzens Hof.

Am Eingange in die zweite Abtheilung zeichnen sich durch architektonische Schönheit zwei von Sandstein aufgeführte Wandstellen vortheilhaft aus: rechts im byzantinischen Styl die der Familie Sellier, links die von Troost-Simons. Ueberhaupt ist dieser Friedhof reich an plastischen Kunstwerken, welche von der Pietät gegen Verstorbene, wie besonders von dem Kunstsinne und künstlerischer Tüchtigkeit ein gleich rührendes Zeugniß ablegen.

Besonders bemerkenswerth in dieser Hinsicht ist die in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_244.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)