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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Sie machte sehr witzige Spottverse und gereimte Charaden und kam oft mit ihrem Rocken eigens zu diesem Zwecke des Abends zu uns, um sich von mir darin secundiren zu lassen, Was sie aber besonders originell erscheinen ließ, war nicht nur dieses Talent und ihre Kenntniß der Heilkraft jeder Feld- und Wiesenblume, sodaß sie allmählich der geheime Arzt des Dorfes geworden war, sondern ihr großer Aberglaube und ihre Gespensterfurcht. Dies machte sie gerade für mich besonders interessant, weil sie alle Geschichten, die in der Gegend umher durch die Geister, böse und gute, verübt worden waren, genau kannte und somit eine lebende Chronik von Erzählungen für mich wurde, welche sich Jahrhunderte von der erzählenden Großmutter im Lehnstuhl auf die horchenden Enkel vererbt und erhalten haben mochten. Sie blieb Abends nie allein, seitdem ihr selbst der letzte Spuk am Heerde passirt war.

Das hatte sich so zugetragen. Ihr Großvater, längere Jahre irrsinnig, durfte, da er lediglich fixe Ideen verfolgte, ohne Jemandem zu schaden, frei umhergehen und machte dabei allerhand Schwänke. So warf er sein Taschentuch auf den Weg und lauerte versteckt wohl stundenlang, bis es Jemand aufhob. Alsdann folgte er unbemerkt dem Finder. Erkundigte sich dieser in der nächsten Nachbarschaft, ob Jemand ein Tuch verloren, so war der Großvater befriedigt. Er trat dann herzu und meldete sich als Verlierer. Wehe aber, wenn der Finder Miene gemacht hatte, das Tuch ohne Weiteres still beiseit zu sich zu stecken und, ohne in der Nachbarschaft zu fragen, zu behalten! Der Großvater erklärte, als er wegen eines Vorfalls zur Rede gesetzt wurde, bei dem er einen verdächtigen Finder mit Schimpfreden überschüttet hatte, „daß er ehrliche Menschen suche und deshalb diese Proben mache.“ Sein Stübchen sah aber nicht anders aus, als Faust’s Küche. Er hatte nämlich mehrere Schock Pflanzenbündel an den Wänden hängen, meist solche von einer irgendwie eigenthümlichen Form, die seine Phantasie gereizt haben mochte, Bündel von Pilzen, Disteln, Dornen etc., und versicherte, daß der Teufel sich vor seiner Stube sicher hüten werde. Der gutmüthige Alte verfiel zuletzt in Schwermuth und erhängte sich an einem Bret auf dem Heuboden.

Anne-Rose versicherte leise, man könne nie vorsichtig genug mit möglichst baldiger Vertilgung desjenigen Holzes sein, an welchem ein solcher Mensch gehangen, da der Teufel auch damit seinen Spuk treibe. Unglücklicherweise war jenes Bret mit zu Brennholz verhackt worden. Sie ahnte dies nicht und wollte eines Abends spät, nachdem schon alle Anderen sich schlafen gelegt, noch für den folgenden Tag Kaffee brennen. Das Feuer fängt an zu flackern, kaum hat sie die Kaffeetrommel einige Male gedreht, da – ein furchtbarer Knall und – die Holzscheitel fliegen brennend zur Esse hinaus! – – Sie waren von dem Bret, an dem sich der Großvater gehängt!

Einfache Bauersfrau, hatte sie doch ein warmes deutsches Herz und fragte bald, ob ich auch Schleswig und Holstein gesehen hätte. Sie trug einen tiefen Dänenhaß in sich, der ihr in der schönen, wenn auch schlichten Weise, in welcher sie vom letzten Kriege der deutschen Truppen sprach, sehr wohl anstand und manche stolze Frau der Städte beschämte, deren ganzes Vaterland im Putzzimmer liegt. Sie hatte mir schon früher offenbart, daß sie mehrere Sprüche besäße, welche mich gegen Gefahren jeder Art schützen würden. Ich hatte mir allmählich ihre Liebe erworben. So oft ich von der Universität kam, schickte sie mir des Sonntags früh zur Kirche ein „Sträuchel“ (jeder Mann nimmt auf den dasigen Dörfern einen Blumenstrauß mit in die Kirche, der während des Gottesdienstes die Runde unter den Kirchnachbarn neben der Tabaksdose macht); so oft ich wieder zurückging, mußte ich jederzeit eine Wurst oder sonst etwas aus der Esse zum Abschied nehmen; das eine Mal sogar, da es ihr an Consumtibilien fehlte, – ein Fläschchen Magentropfen aus ihrer eigenen Apotheke.

Ich hatte also auch ihr mütterliches Vertrauen, und diesem verdanke ich den folgenden Freibrief. Bei allen diesen Dingen halten solche Leute ungemein zurück, und es wird einem Culturhistoriker sehr schwer werden, zu diesem oder jenem Aberglauben in seiner wahren Gestalt zu gelangen, wenn er nicht, auf dem Lande selbst geboren, schon hierdurch dem Volke näher steht.

Sie zeigte mir nun eines Tages mehrere schmale Papierstreifen, auf denen ich zu meiner Verwunderung griechische Buchstaben geschrieben sah. Die Zettel waren also jedenfalls ursprünglich von einem gelehrten Betrüger und mochten vielleicht viele Menschenalter hindurch von den Landleuten nachgemacht worden sein. Es ließen sich nämlich die Worte nicht mehr entziffern. „Die Zettel helfen,“ sagte mir meine alte Freundin, „gegen gewisse Fieber, bei deren Epidemien man sie bei sich zu tragen habe, vollständig alsdann gegen Ansteckung geschützt.“

Im Vertrauen theilte sie mir nun mit, daß, wenn ich einmal Nachts durch einen Wald oder sonst in einem fremden Lande reise, ich nur einen der folgenden Sprüche sagen möge:

     „Gott der Vater vor mir,
     Gott der Sohn über mir,
     Gott der heilige Geist hinter mir,
Wer mehr Macht hat, als diese drei Personen,
 der greife nach mir!“

oder ich solle vor mich Hinsprechen:

„Zu jeder Zeit und Stelle
Sei Gott Vater mein Geselle,
Christi Kreuz mein Schild und Schwert,
So ich überall wohlbewehrt!“

Ich möge nur daran glauben, so werde mich kein Räuber anzufallen wagen. Sie habe genügende Beweise der Kraft solcher Sprüche. Die sämmtlichen aus dem Dorfe gebürtigen Soldaten seien aus dem schleswig-holsteinschen Kriege unversehrt zurückgekehrt, und zwar – mit ihrer Hülfe. Sie offenbarte mir nun auf mein Befragen, daß sie noch einen uralten Freibrief besitze, der kugel-, hieb- und stichfest mache. Auf meine Bitte brachte sie ihn mir eines Tages, und ich theile ihn hier der Merkwürdigkeit wegen mit, da ich glaube, daß es wenig solcher Documente mehr geben, seltner aber noch eines derselben zu Gesicht der gebildeteren Stände kommen wird. (Für Culturhistoriker hier gleichzeitig das Anerbieten, daß ich auf weitere etwaige Anfragen unter Vermittlung der geehrten Redaction gern bereit bin.)

Frei-Brief.
im
Namen Gottes des Vaters und des Sohnes
und des heiligen Geistes,
Amen.

„Das Blut Jesu, der wahrer Mensch und Gottes Sohn ist, behüte mich.

† † †

vor allen Waffen und Geschoß, langen oder kurzen Schwerdtern und Degen, Karbienern und Feltpanzern, Bley und dergleichen. So sei der Herr Christus bei uns und verschone uns vor allen, es sei von Eisen oder Stahl, Metall oder Ertz, es sei Kugel, Messing oder Holz. Jesus Christus, der behüte mich. †. †. †. vor allen bösen Brauchstücken. (?) O Heiland Jesu, verlaß mich nicht und laß mich nicht verdammet werden, noch verloren gehen und sei bei mir bis an mein letztes Ende und laß mich nicht sterben ohne Dein heiliges Sacrament. Das helfe mier die Heilige Dreifaltigkeit und Gottheit; sey bei mir auf Wasser und Lande, in den Haus, in derselben Stadt oder Dorf oder wo ich mich befinde, gehe oder stehe, wo ich bin.“

„Der Herr Jesus Christus, der behüte mich †. †. †. vor allen sicht- und unsichtbaren Feinden, es bewahre mich die ewige Gottheit und Heilige Dreifaltigkeit, durch das bittere Leiden und Sterben Jesu Christi und sein rosinfarbenes Blud, das er am Stamme des heiligen Kreuzes vergossen hat. Jesus Christus, vom heiligen Geist empfangen, zu Bethlehem gebohren, zu Jerusalem gekreuziget worten und gestorben, das sind wahrhaftige Worte, also müssen auch wahrhaftige Worte sein, welche hier geschrieben sind, (!) daß es helfe den Menschen vom Gefangenen und Gebundenen, oder, wenn ich in Gefahr komme, so müssen weichen von mier † † †[1] daß Geschütz, Gewehr und Waffen keines an mir hafte, daß sie von mier weichen und ihre Kraft verlieren, wie Pharao sein Gewand verloren hat. (?) Blut und Geschoß (?), meine Schutzheit müsse ganz an seine heilige fünf Wunden angereimet und gebunden sein, alles Geschütz müsse verschwinden, wie der Mann, der dem Herrn Jesum seine rechte Hand both. (?) Geschoß, behalte (beachte?) den Schutz bei dem gemelteten Heiligen Band, (?) wie der Sohn Gottes gehorsam war bis in den Tod †. †. †.“

„Es müsse von mier alles weichen und alles Geschütz und Geschoß verschwinden im Namen Jesu. Jesus ging über das Rote Meer, er fuhr in das heilige Land, er sagt, es müssen zerreißen alle Strick und Band, zerbrechen alle Geschoß und Gewehr, Herr Jesu, behüte mich, daß mich kein Feindfall (Feindüberfall)

  1. Wohl der unausgesprochene Name den Teufels.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_238.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)