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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Vater Arndt.
(Schluß.)

Mit heiliger Rührung betraten sie den vaterländischen Boden nach langer Verbannung und mit Entzücken hörten sie den theueren Laut der Muttersprache. Tausend Herzen schlugen ihnen entgegen; sie waren in Königsberg Zeugen jener großen Begeisterung, deren Andenken uns für immer heilig sein soll, wie sich Männer von Weib und Kind losrissen, um in den blutigen Befreiungskampf zu ziehen, wie Mütter ihre Söhne waffneten und das höchste Opfer brachten; denn „was begeistert das Lied gesungen, jetzt ward es in schöner Wirklichkeit wahr.“ – „Noch bin ich,“ preist der alte Arndt von jener herrlichen Zeit, „dieser Königsberger Tage in der Erinnerung froh, ja ich könnte stolz sein, wenn ich bedenke, wie ich zehnmal und hundertmal mehr, als ich werth war, von den besten Menschen hier auf den Händen, ja nach russischer und altdeutscher Weise fast auf den Köpfen und Schultern und Schilden getragen wurde.“

In solch gehobener Stimmung schrieb Arndt auf Stein’s Veranlassung sein „Wort an die Preußen“, den „Soldatenkatechismus“ und das Büchlein über „Landwehr und Landsturm“, das auf fruchtbaren Boden fiel und die geharnischte Saat der Vaterlandsvertheidiger erwachsen ließ.

Unterdeß hatte Friedrich Wilhelm der Dritte seinen Aufruf an das Volk erlassen, das sich in Breslau um den König sammelte. Dorthin war auch Stein mit seinem treuen Begleiter geeilt, um an der allgemeinen Erhebung Theil zu nehmen. Mit dem Heere der Verbündeten zogen Beide nach Dresden, wo Arndt bei dem Appellationsrath Körner, dem Vater des patriotischen Dichters, eine gastliche Aufnahme fand. Hier traf er auch mit Goethe zusammen, der die allgemeine Begeisterung nicht zu theilen vermochte. „Schüttelt nur,“ rief damals der zaghafte Dichterfürst, „an Eueren Ketten. Ihr werdet sie nicht zerbrechen, der Mann ist Euch zu groß.“

Ihm antwortete der Sänger Arndt mit seinen scharfschneidigen Liedern, welche noch heut im Munde des Volkes leben und damals die Krieger zum Kampf und Tode führten. Vor Allem klang sein herrliches Gedicht: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ das Hohelied der deutschen Jugend; hieran schlossen sich die patriotischen Gesänge voll Mark und Kern: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ – „Sind wir vereint zur guten Stunde“ – „Wer ist der Mann? Wer beten kann“ und die Gedichte zur Feier der todten Helden Scharnhorst und Schill.

Diese Lieder sind und bleiben die heiligen Zeugen einer großen Vergangenheit, entsprungen aus dem hohen Geist jener schönen Tage, in ihrer Wirkung mächtiger als alle Proclamationen der Fürsten und der Diplomaten; sie lebten und leben noch heute in der Brust des deutschen Volkes, die Geisterstimmen der jungen Freiheit und Einheit, welche er fortwährend pries:

Nicht Baiern und nicht Sachsen mehr,
Nicht Oestreich oder Preußen;
Ein Land, ein Volk, ein Herz, ein Heer,
Wir wollen Deutsche heißen;
Als echte deutsche Brüder
Hau’n wir die Feinde nieder,
Die unsre Ehr’ zerreißen. –

Nach der Völkerschlacht bei Leipzig, wo Gottes Strafgericht über Napoleon hereinbrach, verwandelte sich der Sänger wieder in den fernblickenden Volkstribun; in dieser Eigenschaft erließ er jene bedeutende Flugschrift: „Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze.“ – Mit überzeugenden Gründen wies er darin nach, daß ohne den Rhein die deutsche Freiheit nicht bestehen kann; denn behält Frankreich den Rhein, so hat es das Uebergewicht über ganz Europa, so ist ihm der Rhein „ein vorgebeugtes Knie, das es, wenn es ihm gefällt, auf Deutschlands Nacken setzen und womit es dasselbe erwürgen kann.“ Ebenso sind dann die Schweiz und Italien von ihm bedroht. Der Rhein ist ein deutscher Fluß und die Lande jenseits des Rheins, Belgien und die Niederlande mit eingeschlossen, sind deutsch.

Leider wurde Arndt’s Stimme auf dem Congresse nicht gehört, so wenig wie seine Wünsche und Ansichten „über künftige ständische Verfassungen in Teutschland“.

Nach geschlossenem Frieden ging Arndt von Berlin nach Köln, wo er in demselben Geiste des besonnenen Fortschritts die Zeitschrift: „Der Wächter“ in drei Bänden herausgab, worin er den eigentlichen Begriff der politischen Freiheit als „die höchste und ausnahmelose Herrschaft des Gesetzes“ auffaßte. Besonders redete er dem Bauernstand, den er von jeher hoch stellte, das Wort in seiner Schutzrede „über Pflege und Erhaltung der Fürsten und Bauern im Sinne einer höheren, d. h. menschlichen Gesetzgebung.“

Im Jahre 1817 ließ er sich, nachdem ihm der Staatskanzler Hardenberg ein Wartegeld bewilligt und die Aussicht auf eine Professur an einer preußischen Universität eröffnet hatte, in dem reizenden Bonn nieder. Hier an den Ufern des deutschen Rheins, aus dessen Wellen die Sagen der Vorzeit rauschen, erwachte in Arndt von Neuem der Geist der Poesie; nachdem er sich von dem wilden Kriegsgetümmel ausgeruht, schrieb er seine lieblichen „Märchen und Jugenderinnerungen“ voll zarter Innigkeit und Gemüth, das Erbtheil seiner milden, liederkundigen Mutter. Zugleich erfaßte ihn die Sehnsucht nach der stillen Häuslichkeit; er hatte in Berlin die Schwester seines Freundes Schleiermacher kennen und lieben gelernt. Diese führte er jetzt, nachdem er eine Anstellung als Professor der neueren Geschichte an der Universität zu Bonn erhalten, in sein Haus, und sie wurde seine „treue, tapfere“ Frau.

Das Glück schien ihm zu lächeln, aber neue Prüfungen brachen bald herein, in denen sich der Mann wie das echte Gold im Feuer bewähren sollte.

Auf die allgemeine Erhebung und Begeisterung folgte eine natürliche Reaction, welche zunächst gegen die Freiheit gerichtet war. Die Fürsten vergaßen nur zu schnell die in der Noth ihren Völkern gegebenen Versprechungen. Einer der Ersten, der sie daran erinnerte, war der unerschrockene Arndt. Im vierten Bande von seinem „Geist der Zeit“ ließ er kühn seine Mahnung erschallen; er zog sich dadurch das Mißfallen der Machthaber und eine Verwarnung des Königs von Preußen zu. Vergebens vertheidigte er sich in einer an den Staatskanzler Hardenberg gerichteten Rechtfertigungsschrift, worin er sich einen alten, treuen, königlich gesinnten Patrioten mit Recht nennen durfte. Er war derselbe geblieben, aber die Ansichten der Regierung hatten sich geändert.

Immer frecher erhob die Partei des Rückschrittes in Preußen, mit einem Kamptz und dem zweideutigen Schmalz an der Spitze, ihr Haupt, schlau die Ermordung Kotzebue’s und das Wartburgfest für ihre Zwecke ausbeutend, die furchtsamen Fürsten und Staatsmänner durch Gespenster schreckend, die besten Patrioten verdächtigend. Die Zeit der Demagogenverfolgungen war gekommen; auch Arndt schien verdächtig, weil er die Sprache der Wahrheit redete. Mitten in der Nacht wurde er von der Polizei überfallen, sein Haus durchsucht, seine Bücher, Papiere und vertrauten Briefe der Freunde und der Familie mit Beschlag belegt, er selbst aber am 10. November 1820 von seinem Amte suspendirt. Im Bewußtsein seiner Unschuld, denn von jeher war er ein Feind aller geheimen Verbindungen, schrieb er tief gekränkt an den Staatskanzler: „Was soll das nichtige und blöde Gefecht gegen die Geister, die durch leibliche Fäuste nicht zu besiegen sind? Was sollen die Streiche gegen das Unvermeidliche und die Banne und Achte gegen das Unsichtbare und Allenthalbene? Wehe uns Allen, wenn, was über der Erde entschieden und geschlichtet werden soll, in den gemeinen Staub des Faustkampfes hinabgerissen wird! Das war von jeher der Weg, aus Wasser Blut zu pressen und fliegenden Sand zu Granitfelsen zu verhärten.“

Aber Hardenberg, von den Intriguen der Reaction umgarnt und selbst in seiner Stellung bedroht, blieb taub für den Ruf der Unschuld und Wahrheit. Gegen Arndt wurde eine eben so quälende, als lächerliche Untersuchung eingeleitet wegen „Theilnahme an burschenschaftlichen Umtrieben“, wobei ihm verschiedene unter seinen Papieren gefundene Randglossen, welche der König selbst über die Einrichtung des Landsturmes verfaßt hatte, zum Verbrechen angerechnet wurden. Zu seiner Rechtfertigung schrieb er „Abgenötigtes Wort aus meiner Sache.“ Zu seiner Vertheidigung drängten sich Männer wie Welker, Mittermaier, Esser, Leist und Ammon, aber der Schmerz über ein solches Verfahren drückte ihn zu Boden. „Ich wäre längst untergegangen,“ schrieb er darüber, „wenn ich mich an der eisernen Mauer eines guten Gewissens nicht hätte aufrecht erhalten können.“

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