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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Vater Arndt im neunzigsten Jahr.
Nach einer Photographie.

wie er selbst seine Irrfahrten nannte, wieder antreten. Die Nähe der einrückenden Franzosen trieb ihn im Winter 1812 aus den Armen seiner Familie, von der er sich mit blutendem Herzen losriß. In der Morgendämmerung schlich er sich aus dem Hinterpförtchen durch die Küche in’s Freie, wo er über den unter seinen geschwinden Schritten knirschenden Schnee hineilte, begleitet von der Schwester und dem kleinen Sohn, die er gewaltsam unter Küssen und festklammernden Umarmungen abschütteln mußte. Er hörte noch das Knäblein, als wenn es den Vater einholen wollte, ihm nachlaufen und laut schluchzen. Da ward seine Seele zornig und „fluchig“, aber die aufgehende Sonne, die den hellsten Wintertag verkündigte, goß ihren strahlenden Trost und Ruhe in die Seele des schwer geprüften Mannes, der zum Gebet die Hände faltete und das „glückweissagende Zeichen“ des leuchtenden Tagesgestirns freudiger begrüßte.

Es war damals die Zeit der tiefsten Erniedrigung und höchsten Noth; darum aber auch Gott Arndt und allen Deutschen am nächsten. Napoleon hatte an Rußland den Krieg erklärt und führte, wie einst der persische Xerxes, seine Heerschaaren, bestehend aus unterjochten Völkern, nach dem Norden. Auch Preußen war gezwungen, einen Theil seiner Truppen unter der Anführung des eisernen York gegen Rußland marschiren zu lassen. Die besten Patrioten verließen meist freiwillig, oft auch gezwungen, Berlin, um in dem weniger beobachteten und der österreichischen Grenze nahe liegenden Schlesien eine Zuflucht zu suchen. Dorthin eilte auch Arndt, mit den alten Berliner Freunden, dem edlen Chazot, dem klugen Gneisenau, dem feurigen Gruner in Breslau zusammentreffend. Auch der alte Blücher weilte daselbst mit dem Gesichte, das zwei „verschiedene Welten“ zeigte, auf Stirn, Nase und in den „schwarz dunkeln“ Augen konnten Götter wohnen; um Kinn und Mund trieben die gewöhnlichen Sterblichen ihr Spiel. Hier sah auch Arndt den großen Scharnhorst wieder, der zu den Wenigen gehörte, die glaubten, daß man vor den Gefahren von Wahrheit und Recht auch keinen Strohhalm breit zurückweichen soll.

All diese ausgezeichneten Männer freuten sich mit Arndt und sprachen ihn, gegenüber ihre Hoffnungen und Befürchtungen für die nächste Zukunft aus, insgesammt wie er von dem Gedanken beseelt, lieber mit Ehren unterzugehen als mit Schmach zu leben.

Ueber das Riesengebirge wanderte Arndt zunächst nach Böhmen, wo er in Prag durch eine Einladung des Freiherrn von Stein überrascht wurde, der ihn aufforderte, sich zu ihm nach Petersburg zu begeben, um geistig an dem großen Entscheidungskampfe gegen Napoleon Theil zu nehmen. Zunächst galt es, Deutschland selbst durch Wort und Schrift aufzustacheln und in Flammen zu setzen; dann die deutsche Legion zu bilden, in deren Reihen Männer wie Clausewitz, Boyen, Lützow und Döveberg eintraten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_189.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)