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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Ich muß mich ein wenig stärken,“ sagte dieser unterdeß; „ich habe seit heute früh nichts genossen.“

Der mitleidige junge Mann führte den Greis, der vor Ermüdung des langen Fahrens beinahe zitterte, an seinem Arm in die Schenke.

Das Innere des Postwagens hatte außer den Beiden Niemand verlassen. Aus seinem Coupé war aber der Schirrmeister mit einem Briefbeutel hervorgekommen, den er hier abzugeben hatte, und aus seinem Sattel hatte sich der Postillon losgemacht, der hier nach alter Gewohnheit einen Schnaps zu trinken hatte. Die Schenke hatte nur ein einziges, großes Zimmer. In diesem mußte Jeder suchen, was er zu suchen hatte. Der Schirrmeister gab dort an den Wirth sein Felleisen ab. Der Postillon erhielt seinen Schnaps.

„Kann ich ein Glas Wein bekommen?“ fragte der Geistliche. „Nur ein einziges Glas, aber der Wein müßte gut sein; ich bin sehr erschöpft.“

Er konnte es bekommen. Auch etwas Brod dazu. Der genügsame Greis war damit zufrieden und setzte sich an einen kleinen Seitentisch. Man sah, wie der einfache Nachtimbiß ihm wohl that. Der junge Lieutenant suchte[WS 1] unterdeß sein Abenteuer, und auch er fand, was er suchte. In der großen Schenkstube befanden sich außer den vier Eingetretenen nur noch wenige Fremde. Ein finster aussehender Herr ging schweigend in dem Zimmer auf und ab spazieren. Ganz hinten in der Stube saßen zwei Damen auf einer Bank. Neben ihnen lag, in Kissen eingepackt, ein kleines Kind von vielleicht einem halben Jahre; es schlief.

Zu den Damen zog es den Lieutenant. Er sah zwar auch jetzt keinen kokett zurückgeworfenen rothen Shawl, und kein schwarzes Capuchon, mit hellblauem Sammet eingefaßt. Auch keinen runden, weißen Nacken konnte er sehen; ein einfaches Tuch hatte sittsam die Schultern verhüllt, nach denen er blickte. Aber mit desto wunderbarerem Zauber glänzte ihm eine ungefesselte Fülle rabenschwarzer Locken entgegen und aus dem feinsten Gesichte ein Paar großer dunkelglühender Augen. Und diese Augen wandten sich nicht von ihm ab. Sie waren überrascht, als sie ihn plötzlich eintreten sahen; sie blickten ihn dann, als er so liebevoll den Greis führte, mit einer unverhohlenen Freude an und sandten ihm einen dankbaren Blick zu, als er sorgsam den Geistlichen an den kleinen Seitentisch geführt hatte.

Der leichtsinnige Gardelieutenant stutzte beinahe, und es regte sich etwas in ihm, das ihn auf dem Wege zu der schönen Dame aufhalten wollte. Allein der Leichtsinn trug seinen gewohnten Sieg davon. Er nahete sich der Dame, vielmehr den beiden Damen.

Die Schöne hatte sich zu ihrer Begleiterin gewandt. Auch diese war schön, aber sie war eine sehr blasse junge Frau, etwas älter als die andere. Ihr Auge hing an dem Kinde. Sie mußte die Mutter des Kindes sein, zu welchem sie schmerzlich, gramvoll niedersah, und doch war das Aussehen des Kindes so frisch, und es schlief so ruhig. Die junge Dame mit den schönen schwarzen Locken sah etwas sorgenvoll auf die Mutter.

Der junge Lieutenant war zu ihnen getreten. Auf dem Wege hatte er sich noch einmal in dem Zimmer umgesehen. Von den Anwesenden konnte nur Einer zu den beiden Damen gehören, der finstere Herr, der schweigend aus und ab spazierte. Allein er hatte nicht einmal nach ihnen hingeblickt, er kümmerte sich auch weiter nicht um sie.

„Die Damen reisen ganz allein?“ fragte der Lieutenant sie.

Da glitt durch das Gesicht der schönen Dame mit den schwarzen Locken ein freundliches, freilich auch schalkhaftes Lächeln. „Nicht doch, mein Herr, dieses Kind reist mit uns.“

Der Lieutenant hatte nur das freundliche Lächeln gesehen, welches ihn bezauberte. „Meine Damen, darf ich Ihnen meine Dienste anbieten? Befehlen Sie über mich.“

Die schöne Dame, die ihm geantwortet hatte, schlug erröthend und in holder Verwirrung die Augen nieder. Ihre ältere Begleiterin aber hatte unterdeß, wohl zufällig, nach dem alten Geistlichen an dem Seitentische hinübergeblickt, und dieser hatte jetzt ihr einen ebenso sonderbaren Blick zugesandt, wie vorhin im Walde der jüngeren Dame, nur zugleich strenge und befehlend. Es war darauf, als wenn die blasse Frau erschrocken zusammenfahre, sich aber auch in dem nämlichen Momente gewaltsam aufraffe. Sie antwortete dem Lieutenant. „Ja, mein Herr, wir reisen allein, mit diesem Kinde, ohne Schutz. Wir müssen noch in der Nacht weiter durch den Wald, der noch drei Stunden währt. Und – es ist gewiß kindisch von mir, mein Herr, aber ich kann nicht dafür – ich bin einmal ein furchtsames Wesen, und ich fürchte mich auch hier. – O, mein Herr, lachen Sie mich nicht aus,“ unterbrach sie sich.

Der Lieutenant legte seine Hand auf das Herz. „Wahrhaftig nicht, Madame –“ Er konnte es in Wahrheit betheuern.

Er hatte gelächelt, aber wohl noch nie glücklicher. Auf seine Betheuerung erhob auch die jüngere Dame die Augen wieder, nicht mehr in holder Verwirrung, aber mit dem holdesten Blicke von der Welt die Bitte ihrer Gefährtin unterstützend.

„Madame,“ rief der junge Gardelieutenant, „haben Sie keine Furcht mehr. Darf ich Ihnen meine Begleitung anbieten ?“

„Sie wollten, mein Herr?“ fragte die jüngere Dame.

„Ich verlasse Sie nicht mehr.“

„O, mein Herr, wie soll ich Ihnen danken?“

Die jüngere Dame hätte beinahe seine Hand ergriffen, um sie zu drücken, so dankbar war sie.

„Ich nehme Ihren Schutz,“ sagte die blasse Dame, „nur bis zur nächsten Station in Anspruch. Sie ist am Ausgange des Waldes. Wir werden in unserem Wagen vor der Post dort anlangen, sodaß Sie diesen nicht verfehlen können.“

Der Postillon hatte seinen Schnaps getrunken, der Schirrmeister seinen Briefbeutel in Ordnung gebracht, der Geistliche sein Glas Wein und sein Stück Brod verzehrt. „Wieder eingestiegen!“ befahl der strenge Schirrmeister.

„Angela,“ sagte die blasse Dame zu ihrer jüngeren Gefährtin, „dem würdigen Geistlichen verdanken wir zum großen Theile mit die Hülfe, die uns im Walde wurde. Gehst Du wohl, ihm zu danken?“

Die jüngere Dame war schon aufgesprungen. Die helle Freude leuchtete in ihrem schönen Gesichte. Sie eilte zu dem Geistlichen, nahm dessen Hand und sah so dankbar zu ihm auf; ihre schönen Lippen flüsterten so kindlich zu ihm. Was sie sprach, konnte man nicht hören. Aber es mußte das Herz des Greises rühren, denn er sah ihr mit einem väterlichen Wohlwollen in das Gesicht, und man glaubte die Worte der innigsten Freude zu vernehmen, womit er ihren Dank aufnahm und erwiderte. Sie sprachen lange zusammen, und es war ein herrliches Bild, der würdige Greis und das liebliche Mädchen in dem heimlichen, freundlichen Gespräche.

Fritz von Horst ging unterdeß zum Conducteur, ihm mitzutheilen, daß er durch den Wald in dem Wagen der Damen fahren und erst auf der nächsten Station in den Postwagen wieder einsteigen werde. Das hörte der finstere, in der Stube auf und abspazierende Herr. „So ist bis dahin Platz für mich in der Post?“ wandte er sich an den Conducteur.

,O ja, der Herr kann auf der nächsten Station nachträglich bezahlen.“

Die mit dem Postwagen weiter fahren wollten, verließen die Schenkstube, und Fräulein Angela kehrte zu ihrer Gefährtin zurück.

„Welch ein herzlicher, edler Mann ist dieser Geistliche!“ sagte sie zu dieser, „er sendet auch Dir und Deinen Kindern seinen Segen; ich mußte ihm von Dir erzählen.“

In diesem Augenblicke erschien der Kutscher der Damen im Zimmer. „Befehlen die gnädige Frau,“ wandte er sich an die blasse Dame, „daß wir ebenfalls weiterfahren?“

„Auf der Stelle, Konrad. Du fährst dem Postwagen wieder vor, hältst Dich aber immer in seiner Nähe.“

„Zu Befehl, Euer Gnaden.“

„Du fürchtest Dich doch noch, Emilie?“ sagte die jüngere Dame mit einem schalkhaften Seitenblick auf den jungen Lieutenant.

„Sie verzeihen meine kindische Furcht, nicht wahr, mein Herr?“ bat die blasse Dame den Lieutenant.

„O, Emilie,“ fiel rasch die Andere ein, „ein Ritter hat nie seiner Dame etwas zu verzeihen – aber brechen wir auf. Der Herr wird Dir den Arm reichen und ich nehme das Kind.“ Sie befahl so bestimmt und doch so munter und neckisch, weshalb man ihr gern gehorchte, und so stiegen sie in den Planwagen, der vor der Thür der Schenke hielt. Auch dabei ordnete die jüngere Dame an. „Der Herr hat die Güte, sich da hinter zu Dir zu setzen, Emilie, denn Du fürchtest Dich; ich bleibe wieder hier vorn mit dem Kinde.“ Wieder gehorchte man ihr, allein der Lieutenant ärgerlich genug.

Der Postwagen war schon abgefahren. Man hörte sein schwerfälliges Krachen noch in der Nähe. Der Planwagen fuhr ihm

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sucht
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_163.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)