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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

beiden Seiten in den Wagen hinein und musterten scharf die sämmtlichen Reisenden. „Haben die Herrschaften Pässe?“

Alle Reisenden waren lebendig geworden. Auch der alte Geistliche war erwacht. Der Tuchhändler war der Erste, der seinen Paß hervorzog und den Gensdarmen übergab. „In Ordnung!“ wurde ihm der Paß zurückgegeben. Der Geistliche hatte unterdeß den seinigen überreicht. „Ganz in Ordnung!“ wurde er auch ihm zurückgegeben, mit einer gewissen Ehrerbietung. Die Gensdarmen mußten in gewissen Ländern damals schon anfangen, fromm zu werden.

Die beiden Landleute wurden aufgefordert. „Wir sind aus der Gegend; wir haben keine Pässe.“ Sie sagten es ehrlich und unbefangen genug.

„Woher?“ wurden sie gefragt.

„ Sie nannten ein Dorf der Nachbarschaft. Die Gensdarmen waren befriedigt. Die Reihe kam an den rothen, dicken pustenden Herrn. Aber ihm wurde kein Paß abgefordert. Sie kannten ihn schon und begrüßten ihn mit den Worten: „Gehorsamer Diener, Herr Amtmann.“

„Aber Ihr Paß, mein Herr?“ Die Aufforderung war an den Herrn von Falkenberg gerichtet.

„Mein Urlaub,“ reichte er sehr vornehm und nachlässig ein Papier hin.

Es wurde ihm mit militairischem Respect zurückgegeben. „Sehr wohl, Herr Lieutenant.“ Ebenso geschah es mit dem Lieutenant von Horst. Der dicke Herr, von den Gensdarmen Herr Amtmann genannt, war unterdeß neugierig geworden. „Was ist denn los?“ fragte er die Gensdarmen.

Die militairischen Diener der Polizei berichteten ihm: „Es sind plötzlich heute Nacht in der Gegend verwegene Einbrüche vorgefallen, Herr Amtmann.“

„Ei, ei, wirklich?“

„Es muß auf einmal eine fremde Räuberbande ins Land gekommen sein, wahrscheinlich die des berüchtigten Rosenthal,“ berichteten die Gensdarmen weiter.

„Hm, und in welcher Richtung soll sie sein?“ fragte der Amtmann.

„Man weiß es nicht. Daher sind Patrouillen nach allen Richtungen ausgesandt. Gewissen Nachrichten zufolge hätte sich das Gesindel dort nach rechts hin gezogen.“

„Also nicht in den Wald vor uns?“

„Soviel man weiß, nicht.“

„Sie reiten also auch wieder zurück?“

„Wir schlagen uns nach rechts.“

Der dicke Herr war unruhig geworden. „Hm, konnten Sie mir nicht den Gefallen thun, den Wagen durch den Wald zu begleiten?“

„Das ist leider gegen unsere Ordre.“ Sie sprengten davon, nach rechts hin.

Der dicke Herr konnte sich nicht sogleich wieder beruhigen. Man meinte, einen leisen Schweiß gar der Angst auf seine Stirn treten zu sehen. Der reisende Kaufmann aber war sehr vergnügt geworden. „Seht Ihr, Ihr guten Leute? Gerade, was ich Euch gesagt hatte. Da könnte ich Euch noch Geschichten erzählen –“

Er sollte indeß nicht zum Erzählen kommen. Der Postwagen fuhr wieder langsam in dem Sande dahin. Den Wald hatte er noch nicht erreicht. Man sah ihn erst in der Ferne. Auf einmal holte ein anderes Fuhrwerk ihn ein. Es war ein starker, aber zierlicher, langer Korbwagen, mit einer weißen Plane bedeckt. Man sah solche Wagen damals oft auf der Landstraße. Wandernde Schauspieldirectoren fuhren darin, Besitzer von Menagerien wilder Thiere; wenn sie von besserer Sorte waren, auch wohl reiche Bauern, selbst vornehme Gutsbesitzer, die nur einen Besuch der Nachbarschaft machen wollten. Der Planwagen, der den Postwagen einholte, war offenbar von besserer Sorte. Feine, schneeweiße Leinwand bedeckte ihn; ein Kutscher in halber Livree saß auf einer Art Bock, und die Pferde, die ihn zogen, waren ein paar hübsche, kräftige und muthige Thiere. Und was drinnen unter der schneeweißen Plane saß? Man konnte nur die vorderste Bank sehen, unmittelbar hinter dem Bocke.

„Teufel, Falkenberg!“ stieß der Lieutenant Fritz von Horst seinen älteren Cameraden an.

„Alle Wetter!“ mußte selbst der blasirte Herr von Falkenberg ausrufen, der nur noch Listen von reichen Erbinnen führte.

Auf jener vordersten Bank saß nur eine einzelne Dame. Aber sie war jung und sehr schön und sehr elegant gekleidet, freilich auch etwas bunt, aber auch etwas kokett, und diese Koketterie war eine außerordentlich reizende. Ein schwarzseidenes Reisecapuchon, mit blauem Sammet eingefaßt, umschloß das schöne Gesicht und ließ zugleich eine Fülle rabenschwarzer Locken hervorquellen. Ein hellrother Shawl, nichts weniger als dicht angezogen, zeigte einen wundervoll weißen Nacken und Schultern, die man nicht schöner rund und nicht blendender sehen konnte. Und kokett, wie die Kleidung der Dame, waren ihre feurigen schwarzen Augen und die lächelnden frischen Lippen, zwischen denen man die glänzendsten, weißen Zähne sah.

Wohl hatten die beiden Gardelieutenants Teufel und alle Wetter ausrufen können. Der leichtsinnige Fritz von Horst suchte es noch einmal rufen, und die schwarzen Augen der schönen Dame trafen ihn dafür neugierig und herausfordernd zugleich, und ihre frischen Lippen lächelten ihm höhnisch und doch noch mehr neckisch und freundlich zu, und ihr rother Shawl fiel tiefer von Nacken und Schultern herab. Fritz von Horst fluchte alle Teufel herbei, wahrscheinlich weil er nicht aus dem alten Postwagen in den weißen Planwagen hinüberspringen konnte.

(Fortsetzung folgt.)




Der Morgenstern in tiefer Nacht.
Von Ludwig Storch.

Louis Bonaparte’s Staatsstreich am 2. December 1851 brachte in Deutschland die politische Reaction zur üppigsten Blüthe, eine Upasblüthe, deren narkotischer Duft das geistige Leben, das eigentliche deutsche Element, starr zu machen drohete. Das Jahr 1852 lag wie eine bleischwere Nebelnacht auf den echten und wahren deutschen Herzen. Die Männer des Rückschritts, nicht allein in Kurhessen, sondern auch in Berlin, Wien, München und wo nicht alles sonst noch, die sich keck die „Retter des Vaterlandes“ nannten, wirtschafteten toll genug. Heute sind sie überall gerichtet – denn auch die Weltgeschichte fährt als Weltgericht mit Dampf – und wandeln als Urheber unsäglichen Elends gekennzeichnet umher. Wie viele der edelsten und trefflichsten deutschen Brüder haben sie in Verzweiflung und Tod gestürzt. O, es war ein schreckliches Jahr, in welchem Herr Fischer das Lieblingskind aller Herzen, die begeistert für deutsche Größe schlugen, die deutsche Flotte, unter den Hammer bringen durfte, als der hohe deutsche Bundestag den deutschen Krieg in Schleswig-Holstein für einen unrechtmäßigen erklärte, und die deutschen Farben schwer verpönt waren.

Doch hier kann nur an die beängstigende Nacht jener Zeit im Allgemeinen erinnert werden. Wir wollen vielmehr von einem Strahle des Morgensterns ausführlich reden, der die Nacht, wenn auch nur schwach, durchdrang, als sie am schwärzesten war, und sich hoffnungerweckend in manches niedergedrückte Herz einschmeichelte. Damals konnte von der Sache begreiflicher Weise öffentlich nicht viel Redens gemacht werden, heute dürfen wir sie dem deutschen Vaterlande mit stolzem Selbstgefühl erzählen; denn der Strahl hat nicht gelogen. Die Nacht weicht, es glüht wieder Morgenroth an unserm Himmel, und der „Retter der Gesellschaft“ ist drauf und dran, nun auch der Retter des deutschen Volks zu werden, aber wahrlich in anderm Sinne!

Eins der reizendsten Thäler des Thüringerwaldes ist der Dietharzer- oder Schmalwassergrund im nordwestlichen Theil des Gebirgs und im herzoglich coburg-gothaischen Territorium. Vier Stunden südlich von Gotha liegen im anmuthigen Thalkessel, durch welchen die alte Straße nach Schmalkalden über den Gebirgsrücken führt, die beiden uralten Orte, der Marktflecken Tambach und das Dorf Dietharz nahe beisammen. Die köstlichsten, mit malerischen Felsgruppen gezierten, von hellen Bächen durchtanzten Thäler ziehen sich fächerartig von diesem Thalkessel zum Hochgebirg empor. Das köstlichste von allen ist der Dietharzergrund, dessen Ader-Rinnsal

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_148.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)