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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der Geistliche schien in der That zu schlafen, denn seine Augen waren geschlossen, sein Athem ruhig und regelmäßig, sein Körper unbeweglich.

Nach dieser abermaligen Ueberzeugung erzählte der junge Gardelieutenant: „Meine Mutter und die Frau von Eisenring sind Jugendfreundinnen, haben sich aber seit ihrer Jugend nicht mehr gesehen; meine Mutter wurde die Frau und dann Wittwe eines armen Officiers, während ihre Freundin die reichste Frau des Landes ward. So waren sie auseinander gekommen. Auf einmal erhält meine Mutter vor einigen Wochen einen Brief von ihr, in welchem sie die alte Freundschaft wieder anknüpft und anfragt, ob ihre Tochter und ich nicht ein Paar werden könnten.“

„Ah, und Deine Mutter war einverstanden?“

„Wenn ich es sei.“

„Es war allerdings viel von Dir verlangt, in den Jahren, von denen wir eben sprachen, und daß Du ein leichtsinniger Bursche bist, kann sogar Deine eigene Mutter Dir bezeugen; aber Du brachtest das Opfer.“ Herr von Falkenberg sprach diese Worte gewiß nicht ironisch, sondern im vollen Ernste.

So nahm sie auch sein jüngerer Freund und Camerad auf „Was sollte ich machen? Meine Mutter ist arm; wie viel hat sie in ihrem Leben entbehren müssen, und meist für mich! Auch an meine Schwester hatte ich zu denken.“ Fritz von Horst sprach das ohne allen Leichtsinn eines jungen Gardelieutenants, aber mit einem Ernste und einer Innigkeit, die zeigten, daß sie ihm aus dem Herzen kamen und daß dieses Herz, wenn auch ein leichtsinniges, doch auch ein braves war.

Sein älterer Freund schien sich dennoch beinahe etwas zu verwundern. „Es ist rührend,“ sagte er, „und dabei ein ganzer Roman, den aber blos die Mütter fertig gemacht haben. Ja, ich sagte es gleich, die alte Eisenring ist eine – wie nanntest Du sie doch?“

„Eine sentimentale Schwärmerin?“

„Richtig; schade, daß sie keine Schriftstellerin ist, sie könnte in ehestiftenden Romanen etwas leisten. Uebrigens gratulire ich Dir nochmals. Du hast Deine Braut noch nicht gesehen?“

„Nein.“

„Aber auf meiner Liste steht sie zugleich als schön und liebenswürdig und erst achtzehn Jahre alt. Und auch ihr kann man gratuliren, denn ein hübscher und braver Mensch bist Du; auch hast Du, trotz Deiner Jugend, schon eine ziemliche Portion Abenteuer und Liebschaften gehabt, so daß Du ihnen nachgerade Valet sagen kannst.“

„Leider werde ich das wohl müssen!“ seufzte der junge Gardelieutenant.

„Für so und so viele Hunderttausende kann man das schon.“

Das Gespräch der beiden jungen Herren wurde unterbrochen.

Der neue Postillon der Station hatte seine Pferde angeschirrt und dann zum Einsteigen geblasen. Als er zum dritten Male blies, erschienen der Conducteur und die Reisenden, die mitfahren wollten.

Zuerst der kurze, dicke Herr mit dem rothen, aufgeworfenen Gesichte. Er mußte sich gut gepflegt haben; sein Gesicht war bedeutend röther und er pustete, als er seinen Platz wieder einnahm. Hinter ihm stieg ein sehr wichtig aussehender Mann in mittleren Jahren ein ; er schien ein reisender Kaufmann zu sein. Ihm folgten zwei Landleute, wohlgekleidete, stämmige Männer mit klugen Gesichtern, die aber gar nicht klug aussehen sollten. Namentlich der wohlhabende Bauer liebt das mitunter so. Alle setzten sich in das Innere des großen Postwagens. Der Conducteur nahm seinen Platz vorn im Coupé ein, und der Wagen fuhr ab.

Das Straßenpflaster des Städtchens glich jungen Alpen. So lange man auf ihm fuhr, war an Sprechen im Wagen nicht zu denken. Die beiden Officiere hatten sich zudem auf ihren Sitzen zurückgelehnt, mit einer Miene, die deutlich sagte, daß sie ihrer Reisegesellschaft gegenüber sich fortan nur in ein vornehmes, theilnahmloses Schweigen hüllen könnten. Der Geistliche war einen Augenblick erwacht. Die beiden Bauerleute, die an seinem Aeußeren seinen Stand erkannt haben mußten, hatten ihn mit der Ehrfurcht begrüßt, mit welcher auf dem Lande der Geistliche gegrüßt zu werden pflegt. Er hatte ihnen mit der milden Freundlichkeit seines Standes gedankt und dann die Augen wieder geschlossen. Der kurze dicke Herr warf einen stolzen Blick über die Gesellschaft.

Dann legte er sich zurück, faltete die Hände über dem Bauche und pustete behaglich. Der reisende Kaufmann aber sah mit seinem wichtigen Gesichte die Mitreisenden langsam einen nach dem anderen an. Es war darauf zu schwören, daß er ein Mann war, der gern erzählte, und daß er seinen Mann aussuche, dem er recht viel erzählen könne. So war es auch.

Kaum hatte der Wagen das Thor der Stadt hinter sch und fuhr schwerfällig und langsam und ohne Geräusch in der sandigen, weichen Landstraße, als er zu sprechen anfing. Er wandte sich an die beiden Landleute, mit denen er auf derselben Bank saß. „Hm, Ihr guten Leute,“ begann er mit einer Frage, „seid Ihr hier aus der Gegend?“

„Ja,“ war die Antwort.

„Dann kennt Ihr auch die Gegend wohl?“

„Gewiß, Herr.“

„Hm, hm, das freut mich. Ich reise zwar viel. Fahre alle Jahre zweimal zur Messe, um einzukaufen. Ich bin nämlich Tuchhändler. Aber in dieser Gegend war ich noch nicht, und nun höre ich, daß wir bald in einen großen Wald kommen werden; hat das seine Richtigkeit?“

„Ja. Herr, dan hat seine Richtigkeit.“

„Er soll zwei Meilen lang sein.“

„Das mag wohl so sein, Herr, wir fahren mit der Post vier Stunden darin.“

„Hm, hm, das wäre also richtig.“

Sein wichtiges und geheimnißvolles Wesen schien die beiden Bauern besorgt gemacht zu haben. „Der Herr hat doch nichts über den Wald gehört?“ fragten sie.

Der messereisende Kaufmann wurde noch geheimnißvoller und wichtiger. „Hm, hm, über den Wald nun wohl eigentlich nicht. Aber ich bin da vorhin auf einer Seitenstraße gefahren, und da habe ich denn ein paar Meilen von da allerdings etwas gehört, was Einen wohl auf allerlei Nachdenken bringen kann.“

„Darf man es wissen, Herr?“

„Gewiß, Ihr guten Leute. Auf einem Edelhofe und in einem Dorfe, eine halbe Meile davon, sind plötzlich zwei verwegene Einbrüche verübt. Auf dem Edelhofe ist die herrschaftliche Kasse gestohlen; in dem Dorfe ist einem reichen Leinwandhändler sein ganzer Laden ausgeräumt. Beide Verbrechen können nur von mehreren Menschen verübt sein; sie müssen auch zu derselben Zeit vorgefallen sein, des Nachts um zwei Uhr, denn um diese Stunde hat man im Dorfe und auf dem Edelhofe die Hunde bellen gehört.“

Die beiden Bauern waren sichtlich ängstlicher geworden. „Das ist ja eine schreckliche Geschichte, Herr.“

„Ja, Ihr guten Leute. Und dabei kann man wohl an den großen Wald denken, den wir zu passiren haben. Ist er noch weit von hier?“

„Wir müssen ihn in einer Viertelstunde erreichen, Herr.“

„Und wir fahren ganze vier Stunden darin?“

„Volle vier Stunden.“

„Wir treffen doch auf Häuser?“

„Nur auf ein einziges, Herr, nach der ersten Stunde. Es ist eine einzelne Schenke.“

„Hm, eine Waldschenke! Da ist es auch wohl nicht ganz richtig? Da pflegen die Diebesbanden ihr Hauptquartier aufzuschlagen. “

„Wir haben hier noch nie von Diebesbanden gehört, Herr.“

„Ach, Ihr guten Leute, wenn einmal eine solche Bande in der Gegend hauset, dann kann man für nichts mehr einstehen.

Und nun müssen wir gar noch im Dunkeln den Wald passiren.

In einer halben Stunde geht die Sonne unter.“

„Wäre man da schon jenseits!“

„Ja, ja, und dazu habe ich in dem Städtchen noch von dem vorigen Postillon gehört, es sei heute viel Geld im Postwagen.

Er wollte gar von zehntausend Thalern wissen.“

„Zehntausend Thaler?“

„In Gold und in Cassenscheinen.“

„Und wer soll sie bei sich führen?“

„Ich denke, der Schirrmeister wird sie haben.“

Der kurze, dicke Herr war plötzlich unruhig geworden. Erst als der Tuchhändler die Vermuthung in Betreff des Schirrmeisters aussprach, schien er sich wieder zu beruhigen. Gleich nachher sollte er jedoch wieder unruhiger werden.

Zwei Reiter sprengten im Galopp hinter dem Wagen her und holten ihn ein. Es waren ein paar Gensdarmen, welche dem Postillon anzuhalten befahlen. „Mit Erlaubniß,“ blickten sie zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_147.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)