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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Schrecken einjagen mußte. Er trug bürgerliche Reisekleidung, aber auch ihm sah man bald an, daß er ein junger Lieutenant sein müsse, man konnte sogar meinen, die Garde in ihm zu entdecken, denn die vornehme Blasirtheit und der liebenswürdige Leichtsinn einen Gardelieutenants haben nun einmal etwas Unverkennbares.

Er führte eine ältere Dame; ein junges Mädchen ging an seiner anderen Seite.

Fünf Schritte vor dem Postwagen blieben sie stehen und sollten hier Abschied nehmen, da der junge Mann mit der Post reisen wollte. Die Damen, von denen die ältere die Mutter war, hatten ihn zum Wagen begleitet. Dem Scheidenden durften die mütterlichen Abschiedsermahnungen nicht fehlen; sie sind zwar meist schlecht genug angebracht, namentlich in diesem Momente; aber sie sind so gut gemeint, und das Herz der Mutter weint dabei, manchmal freilich auch das des Sohnes. Dieses weinte hier wohl nicht.

„Und, nicht wahr, Fritz,“ sagte die Mutter, „Du denkst an Alles, was Du mir versprochen hast?“

„Gewiß, liebe Mutter.“

„Und Du wirst nicht leichtsinnig sein?“

„Gewiß nicht, liebe Mutter.“

„Und auch keine Abenteuer suchen?“

„Wenn sie mich nur nicht suchen.“

„Dann gehe ihnen aus dem Wege, mein Sohn.“

„Ach, wer das könnte!“

„Fritz, Fritz!“

„Aber ich werde mir alle Mühe geben, Mutter.“

„Kann ich mich darauf verlassen, mein Kind?“

„Es ist wahrhaftig mein Ernst, Mutter. – Aber Himmeldonnerwetter, was ist denn das, mein Herr? wie können Sie sich unterstehen –“

Die jüngere Begleiterin des blutjungen muthmaßlichen Gardelieutenants war noch jünger als er; sie konnte vierzehn bis funfzehn Jahre zählen, war also in dem Alter zwischen Kind und Jungfrau. Als Jungfrau war sie hübsch, als Kind neugierig. Während der mütterlichen Ermahnungen war sie an den Postwagen herangetreten, indem sie doch wissen mußte, wo der Herr, den sie begleitete und der ihr also näher angehörte, bleiben solle. Daher blickte sie in den Wagen und sie war unmittelbar vor dem ungeheuren Schnurrbarte des blasirten Lieutenants. Erschrocken wollte sie zurückfahren, aber sie konnte nicht; der Schnurrbart war plötzlich lebendig getvorden.

„Ach, meine Kleine, Sie wollen mitfahren? Ich werde Ihnen einsteigen helfen, schönes Kind.“

Die junge Dame fühlte sich angefaßt, sie wußte nicht, wie.

Vor Schreck konnte sie kaum schreien, aber die schwarzen Augen ihres jungen Begleiters, die überall dabei sein mußten, waren schon bei ihr, und in dem nämlichen Momente auch ihr Begleiter selbst. Der junge Gardelieutenant hatte sich von der Mutter losgerissen und flog zum Wagen.

„Himmeldonnerwetter, Herr, wie können Sie sich unterstehen! Wissen Sie, daß die Dame meine Schwester ist?“

Der blasirte Lieutenant blieb blasirt. „Nein, mein Herr, das weiß ich nicht.“

„So erfahren Sie es, und –“

„Ich erfahre es, und?“

„Sie werden mir Genugthuung geben, wenn ich vorher erfahren habe –“

„Wer ich bin?“

„Ja, Herr, wer sind Sie?“

Bei diesen Fragen hatten sich die Herren natürlich näher angesehen, und auf einmal rief der lebhafte Gardelieutenant: „Ach, zum Teufel, Falkenberg, bist Du es denn wirklich?“

Und der blasirte Lieutenant sprach ruhig: „In der That, Fritz Horst, ich erkenne auch Dich.“

„Der verdammte bürgerliche Rock macht Einen unkenntlich.“

„Ja, er entstellt. – Also Deine Schwester war die Dame? Sie ist hübsch; aber wo ist sie denn geblieben? Ich muß sie doch jetzt um Verzeihung bitten.“

Die hübsche Schwester des Lieutenants Fritz von Horst war, wie eine schüchterne Taube, davon geflogen, zu der schützenden Mutter. Letztere hatte darauf wohl schützend zu dem Sohne hineilen wollen, aber da hatten die beiden jungen Männer sich schon als Cameraden und Freunde erkannt, und sie trat mit der Tochter zurück.

Fritz von Horst erklärte seinem Freunde, daß er die Bitte um Verzeihung seiner Schwester selbst überbringen wolle, und der Herr von Falkenberg ließ sich dies gefallen und blieb im Wagen sitzen. Sein jüngerer Camerad kehrte zu den Damen zurück und nahm von ihnen Abschied.

Die Mutter rief dem Sohne noch leise zu: „Du denkst doch daran, was Du versprachst, Fritz? Und kein Leichtsinn, kein Abenteuer!“ Dann entfernte sie sich mit der Tochter. Fritz von Horst sandte ihnen ein paar Grüße nach und stieg in den Postwagen.

Der Mutter mochte das Herz schwer genug sein, während es dem Sohne, wenigstens im Wagen, leicht war, und beide Cameraden begannen ein lebhaftes Gespräch mit einander.

„Aber, wie treffen wir uns hier, Falkenberg?“

„Ein Freund, der in der Nähe wohnt, hat mich zur Jagd eingeladen. Und Du?“

„Ich bin auf der Brautfahrt.“

„Du?“

„Nun ja, warum nicht?“

„Ah, Deine Braut ist wohl reich?“

Der junge Gardelieutenant Fritz von Horst, den seine Mutter vor Leichtsinn und vor Abenteuern hatte warnen müssen, und der auch wohl danach aussah, daß er einer solchen Warnung bedurfte, sah sich, bevor er auf die Frage seines Freundes antwortete, doch etwas bedenklich nach dem alten Reisenden in der Ecke um, der ein Geistlicher zu sein schien. Der Herr von Falkenberg bemerkte ihm aber mit der ungenirten Nachlässigkeit eines vornehmen Lieutenants kurz: „Er schläft!“

Fritz von Horst entgegnete auf die noch zu beantwortende Frage seines Freundes fast eben so kurz: „Ja, sie ist sehr reich.“

Diese Antwort gab dem Herrn von Falkenberg etwas Leben, und er sagte: „Ich gratulire; Teufel, Du hast Glück, Fritz!“

„Glück muß ein junger Mensch haben.“

„Wie heißt Deine Braut?“

„Lucina von Eisenring.“

Bei diesen Worten wäre Herr von Falkenberg beinahe in Feuer gerathen, wenn das bei ihm noch möglich gewesen wäre. „Teufel, Mensch,“ rief er, „der alte Landrath von Eisenring ist ja der reichste Edelmann im Lande!“

„Ich sage Dir ja, daß meine Braut sehr reich ist.“

„Sie ist die einzige Tochter?“

„Das einzige Kind!“

„Die Mutter ist nur eine Närrin.“

„Sie ist etwas sentimental.“

„Aber sie führt das Regiment im Hause, der Alte ist eine Null.“

„Du scheinst die Familie genau zu kennen?“

„Wie werde ich nicht?“

„Darf ich fragen, woher?“

„Ei, mein Freund, wenn man schon in einem gewissen Alter ist, wie ich, und kein Vermögen hat, auch noch immer nichts ist, als Lieutenant, so muß man anfangen, an seine Zukunft zu denken.“

„Ich begreife nicht recht.“

„Ich glaube es. In Deinem glücklichen Alter – wie alt bist Du jetzt?“

„Dreiundzwanzig Jahre.“

„Ich habe eben so viele Dreißig. Also in Deinem Alter denkt man nur an hübsche Mädchen und Abenteuer, vor denen mit Recht Deine brave Mutter Dich gewarnt hat; wenn man aber in meine Jahre gekommen ist, so ist man nur noch auf reiche Erbinnen und eine solide Existenz bedacht. Begreifst Du jetzt?“

„Ah, und da hast Du Dir wohl ein Verzeichnis von reichen Erbinnen angelegt?“

„Aller, die es im Lande gibt.“

„Und dabei ist auch meine Braut?“

„Eigentlich steht sie obenan; das heißt jetzt: sie stand, – aber darf ich fragen, wie Du ihre Bekanntschaft gemacht hast?“

„Ich kenne sie noch gar nicht.“

„Wie? Und Du bist schon verlobt mit ihr? Das mußt Du mir erzählen.“

Fritz von Horst schien zwar vor dem Freunde kein Geheimniß haben zu wollen, sah aber doch noch einmal besorgt auf den muthmaßlichen Geistlichen.

„Ich sage Dir, er schläft,“ wiederholte der Herr von Falkenberg.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_146.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)