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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die Stockente.

Geschlechtsgenossen hält. Mit echt mütterlicher Sorgfalt sorgt dagegen die Ente für die Kleinen, die sie sofort, wenn sie aus dem Ei geschlüpft sind, an’s Wasser führt oder, wenn sie hoch genistet hat, wie auf einem Baume, hinabträgt in ihr Element. Hier lehrt sie die junge Brut, beschützt sie vor Gefahren, entweder durch muthige Bekämpfung des nicht etwa allzu überlegenen Feindes oder durch List, die sie dem Stärkeren, mit dem sie im Kampfe augenscheinlich unterliegen müßte, entgegensetzt. Nehmen wir zu solcher Zeit, wenn die jungen Enten noch unmittelbar unter dem Schutze der Mutter stehen, das Gewehr und streifen an den See hinaus, uns durch den Augenschein vom Gesagten zu überzeugen und dabei vielleicht einen guten Schuß zu thun. Gibt es doch am Wasser das ganze Jahr über etwas zu jagen. Ein prachtvoller, lachender Morgen im nun schon vorgerückten Frühlinge gibt uns hierzu willkommene Gelegenheit. Mit gutem Winde und vorsichtig schleichen wir uns hinter Bäumen bis an den Rand des See’s vor, um uns einer Kitte[1] Enten zu nähern. Ruhig schwimmt oder vielmehr schaukelt inmitten ihrer Jungen die alte Ente auf den sanft wogenden Wellen, die, von der Frühsonne beschienen, rosig und silbern glitzernd im Schilfe plätschern. Hier und da hört man das „Quak, quak“ anderer Enten, die im Schilfe verborgen liegen, das unsere Beobachtete wie zu irgend einer Verständigung beantwortet. Dann sich manchmal stürzend[2] ist sie doch sofort nachher doppelt aufmerksam, ob sich etwas Verdächtiges kund gebe, um nöthigenfalls einer Gefahr rechtzeitig ausweichen zu können, was ihr auch meistens gelingt, da die Enten vorzüglich scharf äugen, vernehmen und winden.[3] Irgend etwas ihr nicht Geheueres oder die zu weit vorgerückte Tageszeit läßt unsere Ente in das Schilf hineinsteuern, so daß sie uns bald aus dem Auge verschwunden ist; nur die sich neigenden und schwankenden Spitzen der Schilfstengel, welche die Kitte im Schwimmen berührt, bezeugen den Pfad, den sie genommen. Ein hinter uns aufsteigender Entvogel veranlaßt uns aber jetzt, vom Gewehre Gebrauch zu machen und ihn herunter zu schießen.

Da er in die Gegend der Ente niederfällt, so gibt der darnach einspringende Hund Veranlassung zu einer neuen Beobachtung. Die alte Ente nämlich, die ihre Jungen bedroht glaubt, flieht vor dem Hunde in einer Weise, daß man darauf schwören möchte, sie sei flügellahm geschossen, und könne sich nicht mehr erheben; denn nur flatternd streicht sie kurz vor dem Hunde her, der sich wirklich dadurch täuschen läßt, sie für den heruntergeschossenen Entvogel zu halten, und sie zu fangen und zu apportiren sucht. Die Ente aber hat ihren Zweck erreicht, den Hund von ihren Jungen zu entfernen, die sich unterdessen dicht am Ufer in das Gras gedrückt haben. Natürlich pfeifen wir, den Irrthum bemerkend, den Hund ab, um ihn nicht auf dieser trügerischen Spur fortarbeiten zu lassen, Ehe er aber zu uns zurückkommt und auf weiteren Befehl wieder in’s

  1. Kitte: Alte und Junge zusammen, die Familie.
  2. Stürzend: sich wie die zahmen Enten mit dem Vordertheile untertauchend und den Steiß in die Höhe richtend.
  3. Aeugen, vernehmen und winden: sehen, hören und riechen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_141.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)