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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

auf, daß sich darunter viele Polizeibeamte in Uniform befanden, die freilich von ihren weiblichen Ängehörigen begleitet wurden, aber doch nach und nach der Gesellschaft einen gewissen officiellen Anstrich verliehen, bei dem einem bürgerlichen Menschen unmöglich wohl werden konnte.

Da war zuerst ein Polizeirath in Civil und dann noch ein Zweiter, welche Beide dem Schuhfabrikanten durch ihre Anwesenheit außerordentlich wohl zu thun schienen. Er eilte auf sie zu, als sie eintraten, küßte Beide, reichte ihnen Prisen, drückte ihre Hände, kurz er that alles unter deutschen komischen Männern Uebliche, um ihnen seine Freude über ihr Erscheinen darzuthun. Wenn auch nicht ganz so zärtlich, doch immer liebevoll genug, benahm sich der Hochzeitsvater gegen die zahlreichen uniformirten Beamten. Er umarmte Einige, klopfte Anderen freundlich auf die Schultern und zwang Alle, ein Glas Sect oder nach Umständen auch mehrere zu leeren. Da die Herren von der Schutzmannschaft keine verwöhnten Zungen zu besitzen schienen, so ließen sie sich die gastliche Anfeuchtung mit großer Zufriedenheit gefallen. Ich sah diesen Begrüßungsceremonien mit einiger Verwunderung zu, als der Architekt sich mir leise näherte und sagte: „Sie wundern sich gewiß über die eigenthümliche Bekanntschaft meines Bruders, aber schließen Sie daraus auf nichts Arges; es ist bei ihm nur reine Liebhaberei!“ Eine derartige Liebhaberei kam mir denn doch etwas sonderbar vor. Es ist nichts Neues, daß namentlich unter Frauenzimmern eine unerklärliche Vorliebe für militairische Personen herrscht, daß viele Fürsten eine ebenso räthselhafte Neigung verrathen, sich mit Priestern zu umgeben, daß Hypochonder viel mit allerlei Aerzten verkehren; aber eine solche Schwärmerei für eine Classe nothwendiger Beamten, denen jeder physisch und organisch normalmäßig construirte Mensch lieber aus dem Wege, als entgegen geht, war mir überraschend und unheimlich. Nur indem ich annahm, daß der Schuhfabrikant in Paris gegründete Veranlassung gehabt, sich ein solches Steckenpferd anzueignen, vermochte ich mich zu beruhigen. Im Verlaufe des Abends wurde die Nähe der Herren für einen unbescholtenen Privatmann immer unheimlicher. Für ein Talent, das sich mit Taschendiebstahl oder einer ähnlichen freien Kunst beschäftigt, liegt sicherlich etwas Aufregendes und Pikantes darin, der Aufmerksamkeit so vieler ausgezeichneten Beamten, die von dem Princip leben, jeden Menschen so lange für bescholten zu halten, als seine Unbescholtenheit nicht durch gerichtliche Untersuchung festgestellt ist, ausgesetzt zu sein; wer sich jedoch in jenen freien Künsten noch nicht versucht hat, geht in solcher Genossenschaft moralisch vollständig zu Grunde. Beim besten Willen war mit den Herren keine Unterhaltung anzuknüpfen. Sie sprachen vielmehr fast ausschließlich unter einander von Personen, welche nicht die geachtetste Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft zu behaupten schienen und die Aufmerksamkeit der Herren vielfach in Anspruch nahmen. That ich Unrecht, diese Personen für Spitzbuben und, insofern sie nicht männlichen Geschlechtes waren, für Wesen zu halten, denen kein Abbruch an ihrer Unschuld und Ehre mehr gethan werden konnte? Es mußte bei diesen Vermuthungen bleiben, da die Herren Beamten sich in ihren halblauten Besprechungen einer mysteriösen Redeweise bedienten, die dem Laien zum größten Theile unverständlich war.

In sehr gedrückter Stimmung suchte ich mich dem Brautpaare zu nähern, da ich mich durch die Nähe von Jugend und Natur aufzurichten hoffte. Wie fühlte ich mich getäuscht, als ich den Bräutigam und die Braut erblickte! Das arme Paar war augenscheinlich nur auf Befehl der beiden Väter zusammengekoppelt worden. Zwei weniger entwickelte junge Leute erinnere ich mich nicht, jemals gesehen zu haben. Aus dem kleinen Kohlwurst hätte durch gute Pflege wohl noch etwas werden können, da die Gliedmaßen bei seiner Jugend noch zurückgeblieben waren, hätte ihm nur nicht der unverkennbare Blödsinn auf dem Gesichte gelegen! Die Tochter des Schuhfabrikanten war aber ohne alle Einrede eine Homuncula. Sie gehörte zu der Species jener sogenannten chinesischen Zwerge, welche vor einem Jahre bei Kroll gezeigt wurden und offenbar künstlich verkümmerte Menschen waren. Wer sie für ein kleines, aus feinem Schafleder verfertigtes, mit Brillanten und Spitzen besetztes Frauenzimmer halten wollte, dürfte nur schwer zu widerlegen sein. Meine dargebrachten Glückwünsche verstand das Paar kaum und setzte, ohne mir zu danken, sein Geplauder mit anderen jungen Leutchen von ähnlichen Geisteskräften fort.

Nicht um ihm meine Huldigungen darzubringen, sondern nur um mein Skizzenbuch durch eine neue Studie und Charaktermaske zu bereichern, näherte ich mich jetzt Kohlwurst, dem Vater und Hauszüchter. Auch für diese Vermessenheit sollte ich gebührend bestraft werden. Als ich mich dem großen Manne vorstellte, erhob er sich und sagte: „Es ist mir lieb, daß ich Sie kennen lerne. Ich habe gern mit der Presse zu thun, und schon so Manches als „civis“ in die Vossische und Spenersche Zeitung einrücken lassen. Sie werden etwas über dies Haus in Ihrer Zeitung sagen – Sie thäten mir den Gefallen, wenn Sie auch über mein neuestes Haus etwas schreiben wollten. Vermiethet sich leichter an die Ladenbesitzer. Ja, ja, keine Frage, sehen Sie mich nicht so an; die Leute sind nun einmal argwöhnisch und glauben nicht eher an Etwas, als bis es ihnen von den Zeitungen vorgekäut wird. Kenne selbst politische Redacteure, habe das oft genug mit ihnen durchgesprochen. Gleichviel ob es sich um Verfassungen, Braunschweiger Wurst, Bücher, Schnaps oder Häuser handelt; nur besprochen muß Alles ordentlich werden. Wäre es möglich, einigten sich heute die Zeitungen, sie könnten einen berühmten Kaiser mausetodt schweigen. Aber um wieder zur Sache, auf besagten Hammel zu kommen: ich habe in der Friedrichsstraße Nr. 411 ein prächtiges Haus gebaut, unten Bazars, erster Stock wirkliche Geheimrathswohnungen oder Quartiere für Generäle, zweiter Stock für nette Leute, oben für ansehnliche Ouvriers, Hofschneider ohne chambre garnie, gothischer Styl, vier Zinkpuppen auf den Dachecken, auf dem Schornsteine eine Figur, ein kupferner Jäger, der sich nach dem Winde dreht. Besuchen Sie mich bald! Sollte Ihnen der Weg zu weit sein, so bezahle ich gern die Droschke! Daß ich für die Insertionskosten aufkomme, versteht sich natürlich von selbst.“ – Ich war noch ungewiß, was ich auf diese unverschämte und zum Ueberfluß frech vorgetragene Zumuthung: für den argen Geldbroz eine Reclame zu schreiben, antworten sollte, als die Theaterklingel erschallte und die Versammlung durcheinander lief und ihre Sitze einzunehmen suchte.

Die dramatischen Leistungen waren nicht die starke Seite dieses Polterabendes; das leuchtete mir nach Verlauf einer Viertelstunde ein. Mit Ausnahme einer Scene, welche von einem begabten Polterabendsliteraten verfertigt schien, wurde fortwährend nach den Nummern jener poetischen Werke declamirt, die eigens dazu bestimmt sind, den literarischen Verlegenheiten dieses liebenswürdigen Festes abzuhelfen. Nur in zwei Punkten beschäftigten mich die Vorgänge lebhaft. Erstens erschien mein Schachfeind, der Architekt, als Herold in einer Art Waffenrock, auf dem allerlei Embleme der Baukunst als Wappen prangten, und führte jede einzelne Person redend ein, was streng genommen ganz unnütz war, da das, was die Ueberbringer von Gratulationen und Geschenken zu sagen hatten, mit dem, was er selber hinzufügte, nicht den mindesten Zusammenhang besaß, auch mehr guten Willen für das Haus seines Herrn Bruders, als Anlage zur Poesie verrieth. Mit der Würde seinen dichterischen Amtes war jedoch so viele Selbstzufriedenheit vereint, daß man ihm seine vergängliche Herrlichkeit gern gönnte. Zweitens wurde der Leidenschaft des Hochzeitsvaters für den geselligen Umgang mit Polizeimännern durch eine eigenthümliche Schlußscene eine artige Huldigung gebracht. Nachdem bereits eine beträchtliche Menge von Geschenke überbringenden Personen das Brautpaar und die beiden verbundenen Häuser, deren publicistische Verherrlichung man mir im Stillen zugedacht hatte, gefeiert, nachdem Jean und mehrere gemiethete Lakaien, in Folge des von ihnen eben so fleißig, als von den Gästen genossenen Sectes, uns mit den Erfrischungsapparaten und Theebretern vor lauter Diensteifer fast die Rippen eingestoßen hatten, und der deutsche Sect nachgerade selbst bei den ältesten Polizeimannen seine Wirkung zu äußern begann: erscheint plötzlich auf der Schaubühne Freund Architekt mit einem wirklichen Constabler im lebhaftesten Wortwechsel.

Es war der Helm, die Uniform und die mit Buchstaben und Ziffern signirten Achselklappen dieser gefürchteten Mannschaft, und selbst die zahlreichen Herren Beamten lächelten verlegen und spitzten die Ohren.

„Meine Pflicht zwingt mich,“ sagte der erwähnte Constabler, „diese Versammlung, so leid es mir thut, aufzulösen. Der Herr Wirth hat unterlassen, dem Polizeipräsidium die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige zu machen.“

Diese Worte wirkten im ersten Momente auf die gedankenlose Versammlung so verwirrend, daß ein verlegenes Murmeln entstand, und einige kleine Knaben, die bisher nur mit Mühe abgehalten

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