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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Treue an ihm. Seine Diener, seine Adjutanten sind mehr als seine Freunde; sie gehen auf in dem Begriffe Garibaldi, sie geben ihre eigene Persönlichkeit auf, um ein Theil von ihm zu werden, „als wär’s ein Stück von mir“. – So wie Garibaldi sich hinlegen würde und sich ruhig den Hals abschneiden ließe, wenn das zum Heile Italiens nothwendig wäre, so würde sich Jeder aus seiner Umgebung für ihn aufopfern. Hat man einen Blick in diesen Kreis und in die daselbst herrschende Gesinnung gethan, so hält man es für unmöglich, daß hier, unter welchen Umständen immer, Verrath geübt werden könne. Nur seine esoterischen Freunde und neuen Bekannten loben und rühmen ihn, begeistern sich für ihn; seine nächste Umgebung schweigt, wenn von ihm die Rede ist. So oft ich im Palazzo Alprandini oder auch nur in Gesellschaft der nächsten Freunde Garibaldi’s war, kam es mir vor, als befände ich mich in einem eng verbündeten, verbrüderten Kreise, der durch ein ernstes und liebes Geheimniß, etwa durch einen verborgenen Cultus, zusammengehalten würde, und als ob ein Mensch, der mit der Absicht des Verrathes in diesen Kreis träte, aus einem Saulus ein Paulus werden müßte.

Aus dem Munde einer älteren, vielerfahrenen Dame hörte ich, als Garibaldi das Zimmer verließ, den Ausruf: „Endlich ein Mensch, der die Vorstellungen von einem echten Helden nicht täuscht!“ – Garibaldi ist, um es in einem Worte zu sagen, wie ein Mensch aus besseren Zeiten – wenn es jemals solche gegeben. Fabelhafter Muth in der Schlacht, eben so großer Muth den ungeheuersten Schwierigkeiten gegenüber, Ausdauer und Unermüdlichkeit trotz aller Niederlagen, vollkommenste Uneigennützigkeit, Alles für die Sache, die als die gute erkannt ist, und nichts für sich, Verachtung aller äußeren Vortheile, Würden, Ehren und Reichthümer, unbegrenzte Aufopferungsfähigkeit, Stärke im Unglück, Treue und Liebe für die Freunde, Seelengüte, Milde für Andere, Strenge gegen sich selbst – wenn diese Elemente einen großen Menschen machen, dann ist Garibaldi gewiß ein großer Mensch und werden alle Verleumdungen und alle Parteileidenschaft ihm in der Geschichte von diesem Titel kein Jota rauben können. Im Bewußtsein des Volkes lebt er schon als solcher; er ist ihm mit dem Begriffe Italiens oder der Hoffnung Italiens Eins geworden, und es liebt ihn persönlich, als ob es zu jenen Freunden gehörte, obwohl es ihn kaum persönlich kennt, aber instinctmäßig angeweht von der Atmosphäre, die von ihm ausgeht. Garibaldi sterbe heute auf seiner Insel, das Volk wird ihn nicht sterben lassen, er wird ihm weiterleben, wie alle Helden, von denen die Völker Befreiung hoffen. Schon heute ist Garibaldi eine Mythe, die unausrottbar ist.

Ich werde das Bild nie vergessen, das die Straßen vor Garibaldi’s Hause am 17. November Abends darboten. Einzelne Eingeweihte kannten schon die Nachricht von seiner Abdankung, aber Niemand wagte es, sie weiter mitzutheilen, aus Furcht vor dem Ungewissen, das auf diese Mittheilung folgen konnte; hatte doch selbst die Regierung nicht den Muth, die Thatsache in der officiellen Zeitung mit einem Worte zu erwähnen. Doch war die Nachricht zu vielen Einzelnen durchgedrungen; Niemand wollte daran glauben. Vor dem Hause Garibaldi’s aber sammelten sich diese Einzelnen, als ob sie dem Hause die Bestätigung oder Verneinung absehen könnten. Es lag dunkel da in dunkler Nacht; die sonst beleuchteten Fenster waren erloschen, das Thor war geschlossen, in dem es noch gestern so lebhaft gewesen, und die Schildwache hatte sich aus der Straße in den inneren Thorweg zurückgezogen. Das sagte den Fragenden genug. Schweigend, in ihre Mäntel gehüllt bis über’s Kinn, gingen sie auf und ab; manchmal blieben zwei und drei der nächtlichen Wanderer in einem Schatten stehen und sprachen leise. Dann gingen sie wieder auseinander und sahen wieder zu den Fenstern hinauf. Wer aus dem Hause herauskam, wurde fragend angesehen, aber mit keinem Worte gefragt. Nach und nach sammelte sich eine große Anzahl solcher nächtlicher Wanderer, aber die Menge war eben so still und schweigsam, wie es anfangs die wenigen Einzelnen gewesen. So mag es in einer Stadt sein, durch die das Gerücht schleicht, daß in ihren Mauern die Pest ausgebrochen. Diese schweigenden Wandler sagten mir mehr, als das Evviva, das Garibaldi umtobte, wenn er sich in den Straßen zeigte.

Aber man hätte Unrecht, zu glauben, daß Garibaldi eine vereinzelte bedeutende Erscheinung, ein exotisches Gewächs sei im heutigen Italien. Er ist in seiner Art die bedeutendste, vielleicht wohlthuendste, aber er ist nicht eine vereinzelte Erscheinung. Bedeutende Menschen sind immer Bäume, die familienhaft wachsen, sie ragen nur aus der Familie hervor und sie sind immer Produkte der Zustände, des historischen Bodens und vielfacher Factoren. Diese Zustände, dieser Boden, diese Factoren sind für Viele zugleich da und üben ihre Zeugungskraft auf vielfache Weise, an vielen Persönlichkeiten zugleich aus. Wie in Literatur und Kunst, trotz dem Aberglauben des Publicums, das nur das Fertige sieht, kein Genie fix und fertig aus dem Boden springt, sondern aus den Vorbereitungen und geistigen Arbeiten von Jahrzehnten und Jahrhunderten, deren Gesammtheit in einer Person es repräsentirt, hervorgeht, so auch die populären Geister, die das Freiheitsstreben einer Nation in einer Person darstellen. Wie Michel Angelo aus dem ganzen Streben zweier Jahrhunderte seit Giotto, wie Shakespeare aus dem Streben dreier Regierungszeiten nach einer nationalen Bühne geboren wurde, und wie solche Spitzen der Kunstwelt immer von einer überaus zahlreichen Verwandtschaft umgeben sind, welche mehr oder weniger ausgeprägte Familienzüge trägt, so auch die bedeutendsten Menschen lange vorbereiteter und in der Nation und ihren Geschicken begründeter politischer Bewegungen.

Der Verleumdung der Mächte, in deren Interesse es war, sich als die berechtigten Kerkermeister Italiens darzustellen, ist es gelungen, Italien als ein Land der Dummheit, der Kriecherei, als das Land der Intriguanten und Meuchelmörder zu malen, den Italienern die Fehler, die man ihnen mit den sclavischen Zuständen eingepflanzt, als ihrem Charakter natürliche Verbrechen anzurechnen und sie als ein unverbesserliches, jeder Freiheit, jedes besseren Zustandes unfähiges und unwürdiges Volk darzustellen. Der Krieg, den ein Theil Italiens gegen das Gesetz führte, weil dieser Theil durch das Gesetz selbst verderbt, und weil das Gesetz unerträglich und mit dem Despotismus identisch, daher mit ihm verhaßt war, mußte den Beweis liefern, daß Italien von Gesetzlosen bewohnt sei, die man als außer dem Gesetze behandeln müsse. Diese Darstellungen sind im Geiste Europa’s zu Thatsachen, zu Vorurtheilen geworden. Die Masse glaubte, was man ihr seit hundert Jahren planmäßig vorsagte, und immer und immer wiederholte, ohne sich die Geschichte in der Nähe anzusehen, ohne die unvergleichliche Schaar großer Menschen, die auf diesem Boden gewachsen, zu berücksichtigen, ohne das seit fünfzig Jahren ununterbrochene, unermüdliche Streben nach einem besseren Zustande, ohne die ungeheuren Opfer und Martyrien zu beachten. Die Menge ist zu entschuldigen, da es der Verleumdung gelungen ist, jene Vorurtheile selbst den gebildeten Menschen einzuimpfen.




Berliner Bilder.

Von E. Kossak.
8. Ein Polterabend.

Gewöhnlich vermitteln alle geselligen Spiele an öffentlichen Orten die nähere Bekanntschaft der Theilnehmer und veranlassen nicht selten die Entstehung von wahren Freundschaften, die bis an den Rand des Grabes und in der Erinnerung bis darüber hinaus dauern. Nur das Schachspiel rückt die Menschen einander nicht näher. Schachziehende Menschen können täglich zusammenkommen, um an einem neutralen dritten Orte tiefsinnig ihre Hölzer zu schieben, ohne daß es ihnen jemals einfallen wird, im Schachspieler auch die menschliche fühlende Creatur neben dem kalten berechnenden, den Untergang des Gegners ausstudirenden Phantom zu suchen. So hatte auch ich fast zwanzig Jahre lang monatlich mehrmals mit einem Herren Schach gespielt, aber selbst im Traume waren wir Beide nicht auf den Gedanken gekommen, einen genaueren Umgang anzuknüpfen, und wir wußten von einander wenig mehr, als Stand und Namen. Wir liebten oder haßten einander nur als Schachspieler.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_137.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)