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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

finden, mich zu sehen. Später habe ich freilich meine eignen Gedanken darüber gehabt. – Aber ich bitte um Verzeihung, wenn ich etwas Unziemliches sage,“ fügte sie verlegen hinzu, „es ist möglich, daß ich das Alles nicht recht verstanden habe.“

„Erzählen Sie weiter!“ fiel Eva ermuthigend ein, indem sie einen flehenden Blick auf den vor Ungeduld bebenden Gatten warf, und die Frau fuhr fort:

„Herr von Rieth kam nach Guntershausen und diesmal wirklich meinetwegen. Er brauchte Gold, ich hatte ihm von meinem kleinen elterlichen Erbtheile und meinen Ersparnissen gesagt – und da ich ihn liebte, war’s leicht mich zu bethören. Das unglückliche Duell mit dem Grafen Werner zwang Rieth, für einige Zeit in’s Ausland zu gehen, aber er schrieb mir und endlich fand er auch Mittel und Wege, mich zuweilen heimlich zu sehen, d. h. im Winter, wenn wir in der Hauptstadt waren. Wovon er eigentlich lebte, erfuhr ich nicht, aber es schien ihm schlecht zu gehen. Er war oft mürrisch und unzufrieden, und mein kleines Vermögen floß nach und nach fast ganz in seine Hände.

„Eines Tages schrieb mir Rieth, er hätte die Absicht, mich in Guntershausen zu besuchen, und bat mich ihm mitzutheilen, wann der Herr Graf wieder einmal verreiste. Vergebens versuchte ich, ihn von diesem Plane abzubringen – er bestand auf seinem Willen, und als ich hörte, wie Ew. Gnaden eines Tages der Frau Gräfin sagten, daß Sie auf acht Tage nach Lindenbad gehen würden, benachrichtigte ich Rieth und schrieb ihm, er möchte an dem Tage kommen, wo die gnädige Gräfin und die Dienstboten, wie ich wußte, nach Berndorf zum Erntefeste gingen. Und in der That schien es, als hätten wir keinen günstigeren Zeitpunkt zu unserem Wiedersehen wählen können. Nur der alte Joseph war zu Haus, bewachte den Haupteingang und hatte keine Ahnung, daß die nach dem Garten führende Thurmpforte für Rieth geöffnet war. Dennoch wartete ich in großer Angst auf Rieth’s Kommen. Unzählige Male schlich ich den Gang hinunter, an die Thurmtreppe und wieder zurück in meine Stube, die neben dem Schlafzimmer der gnädigen Gräfin, hart an der Haupttreppe lag.

„Aber wie soll ich mein Erschrecken beschreiben, als ich plötzlich unten im Flur die Stimme des Erwarteten höre! „Freilich bin ich’s, alter Joseph,“ sagte er in seiner spöttischen Manier. „Gräfin Isidore erwartet mich; wenn sie kommt, könnt Ihr sagen, daß ich da bin – bei der Sophie werdet Ihr mich finden!“ Damit kam er in großen Sätzen die Treppe herauf, schloß mir lachend den Mund, als ich ihn mit Vorwürfen überhäufte, zog mich in’s Zimmer und sah so wild und aufgeregt aus, daß ich mich vor ihm fürchtete und nicht auf eine Erklärung zu dringen wagte. Es blieb mir auch nicht lange Zeit dazu, denn nach wenigen Minuten kam der alte Joseph mit leichenblassem Gesicht und an allen Gliedern zitternd. Die Frau Gräfin wäre da, sagte er, und würde Herrn von Rieth im blauen Zimmer erwarten. Ich hatte mir eingeredet, daß sich Rieth einen Scherz mit Joseph gemacht hätte, aber nun sah ich mit Schrecken, daß es Ernst war. Rieth gab mir den Befehl, in meinem Zimmer zu bleiben und womöglich jede Störung fern zu halten, dann ging er in die blaue Stube hinüber. Aber in mir war das Mißtraum rege geworden. Ich wollte wissen, was Rieth mit der Gräfin in dieser geheimnißvollen Weise zu besprechen hatte, ging in das Schlafzimmer und öffnete leise die Thür.“ Die Frau schwieg und warf einen schüchternen Blick auf Lothar.

„Weiter!“ sagte er. Sie nahm sich zusammen und fuhr fort:

„Was Rieth und die Frau Gräfin sprachen, konnte ich erst nicht so recht zusammen reimen. Sie sagte: er wäre ihr eben so verhaßt, als verächtlich. Schon um ihn für immer aus ihrer Nähe zu entfernen, würde sie gern ein Opfer bringen. Aber sie könnte über nichts verfügen, als über den Schmuck, den solle er haben. Dabei reichte sie ihm das Kästchen, das ihre Diamanten enthielt. Aber Rieth verlangte Gold. Er wisse, daß der Herr Graf vor Kurzem große Summen eingenommen hätte, sagte er. Wenn die Gräfin ihm nichts geben wolle, möge sie ihm nur den Ort zeigen, wo das Geld verwahrt wäre, dann wolle er schon in Besitz desselben gelangen.

„Mein Haar sträubte sich vor Entsetzen, als ich diese ruchlosen Worte hörte, und Gräfin Isidore wurde so zornig, wie ich sie nie gesehen hatte. „Fort, Elender!“ rief sie, nach der Thür zeigend, „oder ich lasse Sie vom Bedienten hinauswerfen!“ Aber er schlug die Arme übereinander, trat dicht vor sie hin, sah ihr spöttisch in’s Gesicht und sagte, sie hätte kein Recht ihn zu bedrohen, denn sie wäre daran schuld, daß er ein Mörder und nicht viel besser als ein Vagabund geworden wäre. Dann flüsterte er ihr etwas zu, was ich nicht verstand, und dabei wollte er den Arm um sie schlingen. Aber nun schrie sie laut auf – in meinem Leben habe ich solchen Schrei nicht wieder gehört – stürzte in ihr Schlafzimmer und riß an der Klingel. Daß ich da war, schien sie gar nicht zu bemerken. Rieth war ihr gefolgt. Roth vor Wuth, mit rollenden Augen stand er auf der Schwelle.

„Du willst mich verrathen!“ zischte er in einem Tone, der mir das Blut gerinnen machte. Wie er das sagte, griff er in die Brusttasche und zog ein Pistol hervor. Gräfin Isidore hatte sich nach ihm umgewendet, in demselben Augenblicke fiel ich ihm in den Arm aber es war zu spät! Der Schuß ging los und ohne einen Laut sank die Gräfin zu Boden. Als ich mich neben ihr niederwarf, war sie schon todt – mir selber war, als ob ich einen Todesstreich empfangen hätte. – Auch Rieth stand wie versteinert da, und eben wollte ich ihn, zwischen Mitleid und Abscheu schwankend, zur Flucht antreiben, als ich draußen im Gange Schritte hörte und gleich darauf die Stimme des Herrn Grafen.

„Jetzt fuhr Rieth empor und eilte in’s blaue Zimmer zurück, das Ew. Gnaden zu gleicher Zeit von der andern Seite betraten. Ich hörte die drohenden Worte: „Steh’, Niederträchtiger, oder ich schieße Dich nieder!“ Wie ich Rieth in Gefahr sehe, ist alles Andere vergessen – ich stürze hinaus und werfe mich sinnlos vor Angst an die Brust des Bedrohten. Wieder fällt ein Schuß, und diesmal bin ich getroffen. Mit einem Schrei der Wuth faßt mich Rieth in die Arme, wirft die Thür des Schlafzimmers hinter sich in’s Schloß, das krachend zuspringt, und eilt mit mir durch meine Kammer, den Gang entlang, die Haupttreppe hinunter und durch den Park in’s Freie, wo Rieth’s Wagen wartete. Er hob mich schnell hinein, die Pferde zogen an – das ist Alles, was ich davon zu sagen weiß.“

Die Frau schwieg; Lothar drückte Eva’s Hand, daß sie kaum einen Schmerzensschrei unterdrücken konnte. Er athmete tief, es war, als ob die Brust, von ihrer Last befreit, sich ausdehnte, als ob die Gestalt sich aufrichtete, als ob urplötzlich ein frisches, warmes Leben durch alle seine Adern fluthete. Eva sah zu ihm auf. Sein Gesicht war traurig – wie konnte das anders sein, wo solche Erinnerungen an ihn herantraten, aber die Starrheit, die sie so oft mit tödtlicher Angst erfüllt hatte, war verschwunden – und er, der sich sonst ganz in seinen Trübsinn verlor, war jetzt am schnellsten gefaßt.

„Und wie haben Sie seitdem gelebt?“ fragte er in so weichem Tone, daß die Frau überrascht empor blickte. „Und was ist aus Rieth geworden?“

„Wo er jetzt sein mag, weiß ich nicht,“ erwiderte die Unglückliche mit thränenvollen Augen. Erst gingen wir nach England. Rieth hatte mich mitgenommen, ob aus Liebe, wie er mir sagte, oder um die einzige Zeugin seines Verbrechens unschädlich zu machen, wage ich nicht zu entscheiden. Im ersten Augenblicke hatten mich Verwirrung, Schrecken und Körperschwäche aller Besinnung beraubt und zu jedem Widerstande unfähig gemacht, und nachher fesselte mich die Erinnerung an das Entsetzliche, das wir mit einander erlebt hatten. Wir wurden getraut, aber Rieth hatte nirgends Ruhe. Es war, als ob ihn das Gespenst der Ermordeten verfolgte. Anfangs zogen wir in England von einem Orte zum andern, dann, als wir von keiner Verfolgung hörten, kehrten wir nach Deutschland zurück, natürlich unter falschem Namen.

„Eine Weile lebten wir in ganz anständigen Verhältnissen – ich habe zu spät erfahren, daß der Schmuck der Gräfin Isidore die Mittel dazu hergab. Aber diese Quelle erschöpfte sich, und nun ging’s in rasender Eile tiefer und tiefer in’s Elend hinein. Rieth suchte sich zu betäuben, er trank. Zuletzt habe ich ihn kaum noch nüchtern gesehen. Er kam überhaupt nur nach Hause, wenn er Geld brauchte. Endlich, als ich zu schwach und krank war, um durch meiner Hände Arbeit so viel zu verdienen, als bisher, hat er mich verlassen, und ich habe nichts wieder von ihm gehört. Ueber ein halbes Jahr habe ich vergebens nach ihm geforscht; jetzt habe ich mir nun so viel erspart, daß ich in meine Heimath zurückkehren kann – und ich habe den Umweg über Guntershausen gemacht, um den Herrn Grafen zu bitten, mich wegen des Schmuckes nicht länger im Verdacht zu haben – die Last, die ich auf der Seele trage, ist ohnedies so groß!“ Sie brach wieder in Thränen aus und verhüllte das Gesicht. Eva legte die Hand auf ihren Arm.

„Beruhigen Sie sich, gute Frau!“ sagte sie herzlich. „Sein Sie überzeugt, daß wir Ihren Worten vollen Glauben schenken. Und nun kommen Sie in’s Haus; Sie müssen ausruhen, und dann wollen wir von Ihrer Zukunft sprechen.“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Ich danke Ihnen, gnädige Gräfin,“ erwiderte sie, „aber das kann ich nicht. Hier erdrückt mich Alles, und der Boden brennt mir unter den Füßen. Ich muß mich auch beeilen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_135.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)