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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

benutzt, um sich mit den Diamanten der Todten, die erst später vermißt wurden, zu entfernen. Daß ich sie nicht gerichtlich verfolgen würde, hatte sie natürlich vorausgesehen, alle Nachforschungen, die ich unter der Hand anstellte, blieben erfolglos, und so darf ich wohl annehmen, daß auch von dieser Seite nichts mehr zu fürchten ist.

„Wie mein Leben seither gewesen ist, wißt Ihr Alle – was ich gelitten habe, weiß nur Gott. Erst seit der Stunde, wo es mir vergönnt war, Dich, meine Eva, aus dem Feuer zu retten, wage ich wieder zu hoffen, daß auch für mich Versöhnung, Vergebung zu finden ist! Ich füge nichts weiter hinzu; Dein Herz, Eva, mag entscheiden.“

Hedwig schwieg und faltete die Blätter zusammen, während Eva Lothars Hand erfaßte und an die brennenden Lippen drückte.

„Es ist entschieden!“ sagte sie dann, schlang die Arme um seinen Hals, legte den Kopf an seine Brust, und er hielt sie fest, als ob er sie nie mehr lassen könnte. Als sie sich endlich aufrichtete, reichte sie Hedwig die Hand und fragte: „Begreifst Du nun, daß ich nicht anders kann?“

Hedwig sah traurig zu ihr auf. „Du hast Recht, Du bist gut,“ erwiderte sie, „aber freuen kann ich mich nicht, denn glaube mir,“ fuhr sie flüsternd fort, „wenn Dir auch Hildegunde nicht erscheint, an den Fluch der Guntershausen wirst Du doch glauben müssen. Isidorens blutende Gestalt wirst Du immer, immer vor Augen haben, und sie wird Euch Beide zu keiner Freude kommen lassen.“




VI.

Von Tante Ernestine unterstützt, hatten die Liebenden den Widerstand der Generalin endlich besiegt. Nach kurzem Verlöbniß wurden sie in der Stille getraut, und unter der Leitung der eben so umsichtigen als gütigen Herrin begann für Guntershausen ein neues Leben.

Aber leider nicht für den armen Lothar! Als die erste Aufregung des Glückes vorüber war, kam die alte Schwermuth mehr und mehr zurück, und als das dritte Jahr seiner zweiten Ehe herankam, war er, obwohl sich äußerlich Alles nach seinen Wünschen gestaltete und obwohl sich Eva’s treue Liebe immer gleich blieb, fast noch düstrer und menschenscheuer, als vor der Verbindung mit ihr. Es war fast als sollte Hedwigs Prophezeihung in Erfüllung gehen. Eva litt ebenso viel wie er, aber sie verrieth es nie, sie gestand es sich selber kaum. Ihr einziges Sinnen und Streben war Lothar zu stützen und zu erheitern. Von diesem Wunsche getrieben, eilte sie am Abende eines schönen Octobertages nach allen Seiten ängstlich umherspähend durch den Park von Guntershausen. Sie war sehr mager geworden, die sanften, braunen Augen sahen in dem schmalen, weißen Gesichte viel größer aus als sonst, und trotz der Hast, mit der sie vorwärts eilte, war eine gewisse Ermüdung in ihrem ganzen Wesen nicht zu verkennen. Plötzlich blieb sie stehen, athmete auf, und für einen Moment flog ein Rosenschimmer über ihre blassen Wangen. Am Ende der Allee, in die sie jetzt einbog, hatte sie die gebeugte Gestalt ihres schwermüthigen Gatten erkannt, den sie nie, auch nur auf wenige Minuten, ohne die tödtlichste Angst aus den Augen verlor. Mit langsamen Schritten ging sie ihm entgegen. Als sie in seine Nähe kam, war ein heiteres Lächeln in ihren Augen und auf ihren Lippen.

„So weit ist’s schon gekommen,“ scherzte sie, „daß ich Dir nachlaufen muß, wenn ich mich Deiner Gesellschaft erfreuen will.“ Mit diesen Worten hing sie sich an seinen Arm und ging an seine Seite geschmiegt mit ihm den Gang hinunter.

„Eine traurige Freude!“ erwiderte er, ohne den gesenkten Kopf zu erheben. „Weißt Du, daß ich heute ein Erinnerungsfest feiere?“ fügte er nach einer Pause hinzu, „hast Du vergessen, daß es heute vor drei Jahren war, als Du mir dort oben am Fenster das Versprechen gabst, mich nicht zu verlassen?“

„Und habe ich das so schlecht gehalten?“ fragte sie in dem heitern Tone, der ihr, obwohl erkünstelt, fast zur zweiten Natur geworden war.

„Gutes, treues Herz, ich weiß, daß Du mich nicht verlassen wirst,“ antwortete der Graf. „Darum eben sehe ich kein Heil für Dich und keine Hoffnung!“

„Lothar!“ fiel Eva in beinahe strengem Tone ein; „Lothar, versündige Dich nicht! Wie viel Glück hat uns der Himmel schon gegeben! Oder zählst Du es für nichts, daß wir uns nach so langer Trennung wieder zusammen fanden, daß wir so ganz für einander, mit einander leben? Und kannst Du leugnen, daß ein ganz besonderer Segen auf allen Deinen Arbeiten und Unternehmungen ruht? Und unser Kind! Denke doch an unsern lieben, prächtigen Jungen!“

„Aber trotz Alledem liegts wie ein Schatten auf Guntershausen,“ erwiderte Lothar. „Es ist etwas Lastendes, Kältendes, Drückendes, das die rechte Lebensfreude nicht aufkommen läßt. Isidorens blutige Gestalt geht überall an meiner Seite. Sie steht zwischen Dir und mir – sie beugt sich über das Bett des Kindes …“

Eva war tief erschüttert, aber sie sagte sich selbst, daß sie ihren Empfindungen nicht nachgeben dürfe, und sagte mit erzwungener Mühe: „Du mußt Dich von diesen Phantasiebildern abwenden. Es ist damit wie mit dem Anblick des Wassers. Je länger Du in die rinnenden, hüpfenden Wellen siehst, je mächtiger lockt und zieht es Dich in die Tiefe. Aber nur ein Blick in die Höhe, und der Zauber ist gebrochen.“

„Meinst Du?“ fragte Lothar mit trübem Blick. „Wohin soll ich die Augen wenden? Auf Dein blasses, bekümmertes Gesicht, das mir deutlicher noch, als die Klagen Deiner Mutter, erzählt, wie viel Du schon in Deiner kurzen Ehe gelitten hast? Oder auf mein armes Kind, das doch auch nur geboren ist, um den Fluch der Guntershausen auf sich zu nehmen? Ober wohin sonst? Nein, nein, Eva, für Dich und mich gibt es keine Erlösung, bis sie mich dort unten zur Ruhe legen,“ fuhr er fort, indem er auf die Grabcapelle deutete, deren Mauern zwischen dem Buschwerk sichtbar wurden.

Eva antwortete nicht. Nach einer Pause suchte sie dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, aber Lothar ging nicht darauf ein. Hörte er überhaupt, was sie sagte? Sein Blick war so starr, seine Miene so düster – ließ sich denn nichts, gar nichts finden, was sein Interesse erregte? Unwillkürlich sah Eva umher und bemerkte, daß aus einem der Seitenwege eine unbekannte Frau in einfacher Trauerkleidung auf sie zukam. Das Zusammensein mit Fremden war Lothar in seinen schwermüthigen Stunden im höchsten Grade peinlich, und Eva war im Begriff die Frau durch einen Wink zurückzuweisen, als ihr die tiefe Bewegung in dem bleichen, sorgenvollen Gesicht der Nahenden auffiel. Nun konnte sie es nicht mehr über sich gewinnen, die Fremde ungehört fortzuschicken, blieb stehen und sah ihr freundlich entgegen.

Die Frau mußte früher schön gewesen sein; die großen, dunkeln Augen, das schwarze Haar, die regelmäßigen Züge waren es noch, aber die Gestalt war von Kummer oder Krankheit gebeugt, das Gesicht früh gealtert und jetzt wie verzerrt von Angst und Schmerz. „Ich wünschte den Herrn Grafen zu sprechen,“ sagte sie kaum hörbar und verbeugte sich in einer Weise, die eine gewisse Bildung verrieth; und als Lothar in seiner halb schwermüthigen, halb zerstreuten Weise fragte, womit er ihr dienen könne, trat sie dicht an ihn heran.

„Kennen mich der Herr Graf nicht mehr?“ fragte sie, und in Thränen ausbrechend fügte sie hinzu: „Ich bin ja die Sophie, die Kammerjungfer der seligen Gräfin Isidore.“

Lothar fuhr auf und starrte sie an, als ob er ein Gespenst vor sich sähe.

„Sie erkennen mich nicht,“ fing die Frau wieder an; „ich bin freilich furchtbar verändert, um zwanzig Jahr älter geworden in der kurzen Zeit, aber ich trage mein Kennzeichen an mir. Ich meine die Narbe vom Schuß des Herrn Grafen. Die Kugel ist mir hier oben durch den Arm gegangen.“

Lothar drückte die Hand an die Stirn. Seine Gedanken verwirrten sich. „Der Schuß!“ wiederholt er. Aber schnell besonnen fiel ihm Eva in’s Wort. „Kommen Sie, gute Frau,“ sagte sie. „Setzen Sie sich dort auf die Bank und erzählen Sie uns Alles. Wir haben nie erfahren können, was damals aus Ihnen geworden ist. Auch können Sie uns vielleicht noch einige Aufklärungen über das schreckliche Ereigniß geben.“ Und kaum im Stande, sich selber aufrecht zu halten, führte sie die Zitternde nach der nächsten Bank und blieb auf Lothars Arm gestützt vor ihr stehen.

Eine Weile schien die Frau nach Fassung zu ringen, endlich sagte sie mit niedergeschlagenen Augen und leiser Stimme: „Es liegt mir vor Allem daran, mich vor dem Herrn Grafen wegen der Diamanten zu rechtfertigen, die damals zugleich mit mir verschwunden sind. In allem Unglück, das mich in letzter Zeit betroffen hat, war es mir ein Trost, daß ich nun wieder in diese Gegend kommen könnte, um mich von dem Verdacht zu reinigen, der doch wahrscheinlich auf mir ruht.“ Sie trocknete sich die Stirn und fuhr nach einer Pause, durch Eva’s Blick ermuthigt, in festerem Tone fort. „Ich kann Ihnen ganz genau erzählen, wie das Unglück geschah. Vor Allem aber muß ich Ihnen sagen, daß ich mit Herrn von Rieth schon lange bekannt war. Wir waren Nachbarskinder, hatten jahrelang täglich zusammen gespielt, und so war’s natürlich, daß wir uns freuten, als wir in der Hauptstadt zusammentrafen. Damals fing er auch an, der Comtesse Isidore den Hof zu machen – es war noch vor der ersten Verlobung der gnädigen Gräfin – und wie er mir sagte, that er das nur, um Gelegenheit zu

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