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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Alles lauschte still und machte unwillkürlich Halt; dem General Rouyer wurden die geheimnißvollen Worte hinterbracht; er achtete nicht darauf und befahl den Weitermarsch. Die Avantgarde ist glücklich vorüber, die Hauptmasse folgt. Da erschallt die schreckliche Mahnung: „Hiesel, hau’ ab im Namen der heiligen Dreieinigkeit!“ – Laut tönt die Axt, ein dumpfer Donner dröhnt vom Fels zum Felsen und weckt das Echo in den Klüften.

„Da hob zu dröhnen und zu wandern an
Der Berg und ging, ein rollend Weltgericht,
Hinunter in die Tiefe! – Alsobald
Klang ein erschrecklich Wimmern aus dem Schlunde,
Geschrei und Heulen, wie dicht bei uns, tönte.
Drauf stieg ein Dampf empor und rollte qualmend,
Die Schlucht bedeckend bis zu unseren Füßen.
Wir aber schossen durch den Dampf hinab,
Daß, wer noch lebt, empfing vom Blei sein Grab!
Wie nun der Staub vergangen war, so stiegen
Wir von dem Grat und gingen zu den Feinden.
Da sahn wir nichts, als Stein’ gethürmt auf Stein,
Gebrochne Augen, rauchendes Gebein,
Die Brücke lag in Trümmern, und die Eisack,
Von wild verschränkten Todtengliedern starrend,
Sprang wie ein rasend Unthier über’s – Schlachtfeld!“

Nach einer Reihe von entscheidenden Siegen mußte der Herzog von Danzig mit den Franzosen auf den Rückzug denken. An der Spitze der siegreichen Tyroler rückte Hofer zum zweiten Mal in das befreite Innsbruck ein, wo er jetzt als Obercommandant von Tyrol seinen dauernden Sitz nahm und das ganze Land im Namen seines Kaisers regierte. Die neue Größe fand ihn bescheiden und demüthig; der Regent von Tyrol brauchte für seine Person täglich kaum einen Gulden; er frühstückte nur Käse und Brod und aß zu Mittag aus einem gewöhnlichen Speisehause. Jeder Tyroler nannte ihn Du und redete ihn mit seinem Vornamen „Anderl“ an. Nur mit einer Leibwache hatte er sich umgeben; sie bestand aus den bildschönen, riesengroßen, aber auch furchtbar groben Burschen des Passeierthals in ihrer kleidsamen Landestracht.

Bei seinem Einzuge in Innsbruck drängte sich das Volk um ihn und jubelte dem Sieger zu; er dankte mit naiver Rede: „Grueß Enk Gott, meine lieben Innsprucker! Weil ös (ihr) mi zum Obercommandanten g’wöllt habt, so bin i holt do. Es sein aber viele Andere do, die koane (keine) Innsprucker sein. Alle, dö (die) unter meine Waffenbrüder sein wöll’n, dö muessen für Gott, Koaser und Vaterland, als tapfere, rödle und brave Tyroler streiten, dö aber dös nit thun wöll’n, dö solln heimziehn. Dö meine Waffenbrüder werden wöll’n, dö soll’n mi nit verlassen, i wer Enk aa (auch) nit verlassen, so wahr i Andere Hofer hoaß. G’sagt hab i Enks, g’söhn habt’s mi, b’hied Enk Gott.“

Als der Jubel kein Ende nehmen wollte, zog er sich in die nah gelegene Franziskaner-Hofkirche zurück, um zu beten. Mittags brachten ihm die Studenten eine Tischmuslk, die er sich jedoch verbat, weil sein Herz von ernsten Dingen beschwert sei.

In der That ruhte eine schwere Last und eine hohe Verantwortung auf den Schulten des schlichten, einfachen Mannes. Trotz seiner wiederholten Siege war die Gefahr keineswegs beseitigt. An den Grenzen sammelte sich ein bairisches Heer, während der Herzog von Danzig neue Verstärkungen an sich zog. Vom Kaiser und dem Erzherzog blieb trotz wiederholter und demüthiger Bitten jede Botschaft aus. Endlich kamen zwei von den geflüchteten Tyrolern aus dem österreichischen Hauptquartier; sie brachten für Hofer dreitausend Dukaten, die große goldene Gnadenkette mit der goldenen Verdienstmedaille, das geistliche Verdienstkreuz für den Kapuziner und ansehnliche Geschenke für Speckbacher und die übrigen Häupter des Aufstandes. Außerdem ließ der Erzherzog Hofer mündlich durch die beiden Abgeordneten zu wissen thun, wie Oesterreichs Kriegsmacht wieder 300,000 Mann zähle, wie wichtig es sei, daß Tyrol sich standhaft behaupte bis zum erneuten Kriege oder zum Frieden, daß England es nicht an Geld fehlen lassen werde, und daß Preußen und Rußland gegen Napoleon sich rüste. Solche Nachrichten mußten nothwendiger Weise Hofer in seinem Thun bestärken und ihn auf das Aeußerste anspornen.

Am Namensfeste des Kaisers, am 4. Oktober, wurde in der Hofkirche zu Innsbruck am Grabe Maximilians ein feierliches Hochamt abgehalten und das Tedeum gesungen. Hierauf weihte der ehrwürdige Abt von Wiltau, der einzige des Prälatenstandes, der treu zum Vaterlande hielt, die auf einer silbernen Schüssel befindliche Gnadenkette und hing sie dem knieenden Hofer, um den Hals. Das war der schönste, aber leider auch der letzte Freudentag in dem Leben des Helden!

Acht Tage später schloß Oesterreich mit Napoleon den Frieden zu Wien, worin der Kaiser Franz, uneingedenk seines feierlichen Wortes und seiner Versprechungen, Tyrol an Baiern zurückgab und das treueste Volk der Erde rücksichtslos aufopferte. Ein Handbillet des Erzherzogs Johann bestätigte die unglaubliche Schreckenspost mit nichtssagenden Ermahnungen zur Ruhe. Zugleich erließ der Vicekönig von Italien, der hochherzige Eugen, einen Aufruf an die Völker Tyrols, die Waffen niederzulegen.

Die meisten Anführer fügten sich der Nothwendigkeit; auch Hofer war anfänglich geneigt, dem Befehle zu gehorchen. Aber seine Rathgeber, unter denen sich der halbverrückte Herr von Kolb und der verrätherische Priester Joseph Denay von Schlanders befanden, überredeten aus eigennützigen Gründen den leider nur zu bigotten und von der niederen Geistlichkeit fanatisirten Mann, von Neuem die Fahne des Aufruhrs zu erheben. Vergebens bemühte sich der menschenfreundliche General Baraguay d’Hilliers und der trotz des französischen Bündnisses deutsch gesinnte Kronprinz Ludwig von Baiern, den Verirrten zu retten, umsonst warnte ihn der bekannte Hormayr vor dem trügerischen Pfaffen; Hofer konnte zu keinem Entschlusse kommen und schwankte, von den widersprechendsten Gefühlen hin- und Hergetrieben. Im entscheidenden Augenblicke verließ ihn die ruhige Besonnenheit, durch Oesterreichs Verfahren hatte er den festen Boden verloren und wurde zum Spiel und Werkzeug in den Händen schlauer und gemeiner Intriguanten. Den 15. November forderte er von Neuem seine Landsleute zum Kampfe gegen den Feind auf, mit dem Zusatze: „Dieses sehe ich mich verpflichtet, Euch in Kürze zu melden, wenn ich mich nicht selbst als ein Opfer meiner eigenen Leute Preis geben will, welches auch Ihr von meinen Leuten zu hoffen hättet, wenn Ihr unthätig und nichts mehr für Gott und Vaterland zu thun bereit sein wollt.“

Nur Wenige folgten diesem neuen Aufrufe; bald wurden die Insurgenten von der Uebermacht der Feinde unterdrückt und Hofer sah sich mit den übrigen Häuptern gezwungen, zu fliehen. In einer verfallenen Sennhütte, auf den in dieser Jahreszeit fast unnahbaren Schneebergen, fand er mit seinem Schreiber Dönniger, einem verdorbenen Studenten, eine Zuflucht. Aber auch hier war er nicht sicher vor Verrath; ein Bauer, Namens Raffel, entdeckte ihn und eilte, trotzdem ihn Hofer beschwor, Niemandem von seinem Aufenthalte Etwas zu sagen, zu dem General Baraguay d’Hilliers, um in Gemeinschaft mit dem Pater Denay das auf Hofers Kopf ausgesetzte Blutgeld von 1000 Gulden zu verdienen. Noch funkelten am 27. Januar die Sterne am Himmel, als eine Abtheilung französischer Soldaten die Hütte umringte, in der Hofer mit seiner Familie schlief. Ruhig und gefaßt trat er seinen Häschern entgegen.

„Sie sind,“ sagte er zu dem Commandanten des Piquets, „gekommen, mich gefangen zu nehmen, hier stehe ich; mit mir mögen Sie thun, was Sie wollen, denn ich bin schuldig, aber für mein Weib, meinen Sohn und meinen Schreiber, den jungen Menschen, bitte ich um Gnade, denn sie sind wahrhaftig unschuldig.“

Doch man achtete nicht auf seine rührende Bitte, sondern fesselte ihn und all die Seinigen. So wurden sie zunächst nach Botzen gebracht, der Zulauf des Volkes war groß, Einige weinten, Andere beteten, doch fehlte es auch nicht an Abtrünnigen, die Hofer als die alleinige Ursache des Unglücks verwünschten und beschimpften. Der französische General benahm sich edel und menschenfreundlich, er achtete den besiegten Helden, ließ ihm die schweren Ketten abnehmen und wies ihm ein anständiges Gefängniß an. Hofers Frau und Sohn wurden sogleich von ihm freigegeben, dagegen der Schreiber am nächsten Morgen mit nach Mantua abgeführt. Herzzerreißend war der Abschied des Gefangenen von seiner Familie, die er nicht mehr wiedersehen sollte. In Mantua wurde sogleich ein Kriegsgericht über Hofer niedergesetzt; die Stimmen waren getheilt, mehrere sprachen sich nur für Gefängniß aus. Ein junger, talentvoller Advocat jüdischer Religion, Namens Basera, wendete seine ganze Beredsamkeit an, um ihn zu retten, aber aus Mailand kam der Befehl zu Hofers Hinrichtung. Während man in der Hofburg zu Wien über die nahe bevorstehende Verlobung Napoleons mit der österreichischen Erzherzogin Marie Louise jubelte, schrieb der Verurtheilte an seine verlassene Familie seinen letzten Gruß: – – „und so lebt’s denn Alle wohl auf der Welt, bis wir oben im Himmel wieder zusammenkommen und dort Gott loben ohne Ende. – Alle Passeyrer und Bekannten sollen meiner eingedenk

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