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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

einundvierzigstes Jahr zurückgelegt und stand im kräftigsten Mannesalter; sein Wuchs war hoch wie die Tannen seiner Berge, seine Gestalt herkulisch, sein Auge schwarz, voll Demuth, wenn er betete, aber gleich einer verzehrenden Flamme, wenn er zürnte oder sich ereiferte. Besonders auffallend war sein langer, dunkler Bart, den er in Folge einer Wette bis zum Gürtel wachsen ließ und sorgsam pflegte. Er ging in der Tracht seines Thales, nur daß er einen großen schwarzen Hut mit breiter Krämpe und niederhangender, gekrümmter Feder trug. Seine gewöhnliche Kleidung war ein kurzer, grüner Lodenrock, ein rothes Unterwamms, darüber ein grüner Hosenträger; rings um den Leib nach Landessitte der schwarze Gürtel, kurze Beinkleider, rothe Strümpfe und Schuhe, die nur bei hohen Festtagen oder auf weiten Reisen mit Stiefeln vertauscht wurden. An seinem Halse hing ein kleines Crucifix, das er jeden Morgen und vor dem Einschlafen andächtig küßte. In Nichts unterschied er sich von den übrigen Landleuten der Gegend und doch übte er von jeher auf Alle einen großen Einfluß aus, nicht durch seinen überlegenen Geist, sondern weit mehr durch die Biederkeit und Treue seines Charakters, durch die Trefflichkeit seines Gemüthes und durch die erprobte Liebe zum gemeinsamen Vaterlande. Er war die lautere Wahrheit selbst, für Lüge und Heuchelei hatte er durchaus keinen Sinn. Wie Schiller’s Tell war er kein Freund von Worten, aber wo es galt, zu helfen und zu handeln, wo eine That, ein Opfer verlangt wurde, da zögerte er nicht lange und stürzte sich ohne Bedenken in die Gefahr. Mit seinen Landsleuten theilte er ihre begeisterte Anhänglichkeit für den Glauben der Väter und die Treue für das österreichische Kaiserhaus.

Als im Jahre 1805 Kaiser Franz nach dem unglücklichen Kriege sich durch Napoleon gezwungen sah, Tyrol an Baiern abzutreten, da war Andreas Hofer unter den Abgeordneten seines Thales, von denen der geliebte Erzherzog Johann zu Brunnecken einen rührenden Abschied nahm. Seitdem hatte der Sandwirth keinen andern Wunsch, kein anderes Gebet, als seinen alten Herrn wieder in Tyrol zu sehen und die verhaßten Baiern zu verjagen. Vor dem Ausbruche des neuen Kampfes im Jahre 1809 ging er mit mehreren seiner Landsleute nach Wien, um dort mit dem populairen Erzherzog Johann im Geheim den Aufstand des Landes zu verabreden, der sich im Stillen vorbereitete. Reich an Versprechungen kehrte er in die Heimath zurück, wo er Alles zum Ausbruch vorbereitete.

Auf das von Wien gegebene Signal erhob sich plötzlich das ganze Land wie ein Mann, die Feuerzeichen loderten von den Bergen zum Himmel auf. Botschafter flogen von Dorf zu Dorf, rothe Fähnchen, Blut und Mehl wurden in den Inn geworfen, um die bewaffnete Mannschaft aufzubieten, die Sturmglocken geläutet, und ehe die überraschten Feinde eine Ahnung hatten, sahen sie sich angegriffen und im mörderischen Kampfe von den Bauern geschlagen. Wie in Spanien siegte das Volk, welches für seinen Glauben und die Freiheit kämpfte.

Allen voran zog der Sandwirth Hofer; auf der Ebene des Sterzinger Mooses griff er die Baiern muthig an. Der verderblichen Wirkung ihrer Geschosse begegnete er durch vorgeschobene Heuwagen, hinter denen geborgen seine Schützen ihre mörderischen Kugeln sandten. Dort war es, wo eine muthige Bauerndirne sich auf die durch das Kanonenfeuer scheu gemachten Pferde schwang und unter lautem Jauchzen den ungeheueren Wagen lenkte. Zahllose Feinde bedeckten den blutigen Boden und die Ueberlebenden mußten die Waffen strecken. In achtundvierzig Stunden waren die Baiern aus Tyrol vertrieben und Innsbruck befreit. Unter lautem Jubel hielten die Sieger ihren Einzug und grüßten den österreichischen Adler mit ihren Thränen und heißen Küssen. „Gelt!“ rief ihm ein alter Bauer zu, „Du Saggra-Schwanz, sein Dir halt doch die Federn wieder gewachsen!“

Zum Lohn für so große Liebe und Treue erließ der Kaiser Franz folgendes Schreiben an seine tapferen Tyroler aus dem Lager von Welkersdorf, den 29. Mai 1809:

„Im Vertrauen auf Gott und meine gerechte Sache erkläre ich hiermit meiner treuen Grafschaft Tyrol, mit Einschluß des Vorarlbergs, daß sie nie mehr von dem Körper des österreichischen Kaiserstaates soll getrennt werden und daß ich keinen andern Frieden unterzeichnen werde – als den – der dieses Land an meine Monarchie unauflöslich knüpft. – So bald möglich wird sich mein lieber Herr Bruder, der Erzherzog Johann, nach Tyrol begeben, um so lange der Anführer und Schützer meiner treuen Tyroler zu sein, bis alle Gefahren von der Grenze der Grafschaft Tyrol entfernt sind.“

Gestützt auf dieses feierliche Versprechen ihres Kaisers gelobte das Volk von Tyrol dagegen: bis an’s Ende auszuharren und die ganze Welt zu überzeugen, daß es eher möglich sei, den Tyroler über dem Erdboden zu vertilgen, als ihm seine angeborene Liebe und Anhänglichkeit für Eure Majestät und Dero durchlauchtigstes Kaiserhaus zu benehmen.

Es sollte bald anders kommen.

Nach dem Siege bei Aspern, den der Erzherzog Karl gegen das französische Heer erfochten, wandte sich das Kriegsglück; eine Niederlage folgte der andern; Kaiser Franz sah sich genöthigt seine Hauptstadt aufzugeben, in die Napoleon einzog. Mit der geschlagenen Armee floh jener nach Ungarn und schloß endlich den Waffenstillstand zu Znaym mit dem übermüthigen Sieger. In einem Artikel desselben verpflichtete er sich, seine in Tyrol mit dem Volke verbundenen Truppen zurückzuziehen und das treue Land den einrückenden Baiern und Franzosen Preis zu geben. Er entschloß sich um so leichter dazu, da schon vorher in der nächsten Umgebung des Kaisers bedenkliche Stimmen laut wurden, welche den Tyroler Aufstand als ein böses Beispiel bezeichneten. Es hieß: „Was das Volk heute für den Kaiser leistet, könne es ein ander Mal gegen ihn thun!!!“

Unglaublich erschien den Betheiligten diese Schreckensbotschaft, wodurch die Regierung sich von ihnen öffentlich lossagte; um so mehr, da die Nachricht ihnen nicht auf gesetzmäßigem, officiellen Wege zukam, sondern nur durch ein Zeitungsblatt, welches ein bairischer Vorposten zwei Tyroler Schützen zustellte. Außerdem hatte der Erzherzog Johann noch am 18. Juli aus dem Hauptquartier zu Téth, zwischen Raab und Papa, an den Baron von Buol, den Befehlshaber der österreichischen Truppen, folgenden Brief erlassen:

„Da es sein kann, daß ein feindlicher Parlamentair Ihnen den Befehl bringt, Tyrol in Folge eines Waffenstillstandes zu räumen, so haben Sie diesem Befehl nicht nachzukommen, ausgenommen, er wäre von mir unterfertigt.“

Konnten und durften die Tyroler unter solchen Verhältnissen die Waffen niederlegen?

Bald aber bestätigte sich die Nachricht von dem abgeschlossenen Waffenstillstande; die österreichischen Soldaten rüsteten sich zum Abzuge aus Tyrol; sie thaten es knirschend und forderten wiederholt die Anführer des Aufstandes auf, sie zu begleiten und ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Viele thaten es, aber Hofer blieb, unerschüttert, er vertraute noch immer auf das Wort seines Kaisers. Als er auch seinen treuen Waffenbruder, den tapferen Speckbacher, unter den Flüchtigen erblickte, da rief er schmerzlich: „Joseph, Joseph! Du willst mich auch in Stich lassen?“ – Bei diesen Worten sprang Speckbacher ohne Hut von dem Wagen, auf dem er bereits saß, wieder herab und folgte seinem alten Cameraden. Beide waren entschlossen, den Krieg auf eigene Faust fortzusetzen und den einrückenden Franzosen den entschiedensten Widerstand zu leisten. – Sie wurden dazu außerdem durch die Sprache des Wiener Cabinets und durch das Benehmen des Erzherzogs Johann aufgemuntert, der es nicht an geheimen Instructionen und Aufforderungen fehlen ließ. Der Regierung mußte Alles daran gelegen sein, Napoleon während des Waffenstillstandes so viel Schwierigkeiten als möglich zu bereiten; es lag daher ganz und gar in ihrem Interesse, den Aufstand in Tyrol im Stillen von Neuem anzufachen, während sie sich öffentlich von den Insurgenten lossagte. Zu diesem Zwecke hatten die abziehenden Oesterreicher nach des Erzherzogs Weisung einige tausend Stück Gewehre und mehrere kleine Gebirgskanonen mit der nöthigen Munition zurückgelassen.

Vielen versuchten Unterofficieren und Soldaten wurde zu verstehen gegeben, man würde sie nicht als Deserteure ansehen, wenn sie bleiben und mit den Tyrolern fortkämpfen wollten. Auch die nöthigen Geldmittel wurden den Häuptern zur Disposition gestellt. Das Alles geschah mit so großer Vorsicht, daß man sich durchaus nicht compromittiren und im Nothfalle das arme Volk für die eigene Rettung opfern konnte. – Verführt durch das zweideutige Spiel der Regierung, durch die Versprechungen ihres geliebten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_123.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)