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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

er faßt die Jungfrau, die sich in Verschämtheit sträubt, und trägt sie auf seinen Armen auf’s Trockene. Jetzt erst bemerkt die Mutter, was vorgeht; sie eilt herzu, sie ist außer sich, sie faßt die Hände des Fremden, sie nennt ihn ihren Wohlthäter, den Retter ihres theuren Kindes. In Aufregung bewegt sich die ganze Gruppe der Wohnung zu.

Ein Roman wäre denn glücklich eingeleitet. Zelia ist zwar die Jüngere, aber Pauline ergibt sich gern in ihr Schicksal; die Geschichte, die Verhältnisse der Familie müssen doch eine Wendung nehmen. Wenn nur Zelia verheirathet ist, und zwar mit einem reichen jungen Manne, der hoffentlich Freunde hat!

Der Roman wird hoffentlich seinen guten Gang gehen. Man kann es nicht leugnen, daß die beiden Mädchen ihre Reize haben, die selbst erfahrenere Männer, als es Herr v. Faillet ist, umstricken könnten. Sie sind nicht eben außerordentlich schön, aber sie haben feine, braunblasse, regelmäßige Gesichtchen mit großen, braunen Augen; die Komödie selbst, die sie im Leben spielen müssen und die sie lieber nicht spielen möchten, gibt ihnen einen intelligenten, zugleich geheim traurigen Ausdruck, der desto anziehender ist, je schwerer man sich ihn erklären kann. Hinter diesem Ausdruck ahnt man tiefe Seelenvorgänge, obwohl es eigentlich nur traurige häusliche Angelegenheiten sind, sogar sehr prosaische. Aber was schadet das? die Mädchen sind interessant; das muß jeder gestehen, der sie in Dieppe zum ersten Male sieht.

In der Familie wird beschlossen, daß der junge Mann fern gehalten werden müsse, auf daß er nicht einen Blick in die Geheimnisse der Familie werfe. Man empfängt ihn doch einige Male, und nachdem er mit einem Worte, mit einem Blicke gegen Zelia Muth und Liebe gezeigt, bittet ihn die Mutter auf das Freundschaftlichste, seltener zu kommen, es sei um seinet- und um Zelia’s wegen. Zwei Tage lang macht Herr v. Faillet einen großen Umweg, sobald er die Familie Faussimont aus weiter Ferne erblickt. Am dritten Tage erhält Zelia einen geheimen Brief; er kann nicht ohne sie leben, er muß sie sprechen. Triumph und Familienrath!

Nachmittags trifft man ihn auf der Düne. Die Mutter erklärt ihm, daß sie die Sache nicht so arg genommen; er solle ihnen doch nicht so ausweichen; sie seien ja gute Freunde. Er müsse nur verstehen, daß eine Wittwe mit zwei Töchtern mehr als andere Mütter auf ihrer Hut etc. etc. Und sie kenne ja Herrn v. Faillet nicht, und er müsse bedenken, daß sich so viele junge Leute, Glücksritter, épousseurs, Mitgiftjäger etc. herandrängen etc. etc. Sie sagt das Alles auf die zarteste Weise, und Herr v. Faillet kann nicht umhin, er muß ihr Recht geben, er muß sie nur höher achten. Nur Eines thut ihm weh, daß Madame Faussimont glauben könne, er nähere sich Fräulein Zelia wegen der Mitgift.

Indessen geht er an Zelia’s Seite, von Mutter und Schwester gefolgt, am Ufer des Meeres auf und ab, manchmal im Mondenschein, und er weiß es schon, daß seine Liebe erwidert wird. Aber was nützt das Alles? der Bruder Zelia’s – ein schrecklicher Bruder, vor dem Alles zittert und der glücklicherweise nicht in Dieppe ist, sonst hätte er Herrn v. Faillet längst den Hals gebrochen – hat andere Pläne mit ihr. Pläne, bei denen sie mit ihrem Herzen nicht im Geringsten betheiligt ist, denen sie sich aber, einmal nach Paris zurückgekehrt, nicht wird entziehen können. Das Alles erfährt Herr v. Faillet nur stückweise, in abgebrochenen Sätzen, an verschiedenen Tagen; er muß sich die Geschichte selbst zusammensetzen. Seine Leidenschaft und sein Unglück sind grenzenlos. Schon hat er einmal von Entführung gesprochen, aber der zornige Blick Zelia’s wies ihn wieder in die Schranken des Anstandes zurück. Am Abende jenes Tages, da das Wort „Entführung“ gefallen, findet wieder großer Familienrath statt. Die Sache muß so rasch als möglich zu Ende geführt werden. Einmal nach Paris zurückkehrt, werden sich die Verwandten Faillets drein mischen, wird Alles seinen regelmäßigen, langsamen Schritt gehen, und wie Vieles kann in so langer Zeit hindernd dazwischen treten!

Nächsten Tag vertraut Zelia dem erschrockenen Geliebten das Geheimniß, daß die Mutter in sehr kurzer Zeit in ihr Hotel nach Paris zurückkehren wolle; sie wird dann Faillet nie wieder sehen. – Die letzten Worte sind von einer fließenden und einer unterdrückten Thräne begleitet. Herr v. Faillet sieht sie mit einem eben so vielsagenden, als verzweifelnden Blicke an. Mit ausgestreckten Armen ruft er aus: „Dort drüben liegt England!“ – „Alles, alles will ich für Dich thun, Alles gebe ich für Dich hin, die Achtung meines stolzen Bruders, die Liebe meiner theuren Mutter und meine Ehre.“

Das Dampfschiff im Hafen braust und lärmt, aber gewaltiger lärmt es im Herzen des jungen Herrn v. Faillet, der vor der Landungsbrücke auf- und abgeht; über dem lärmenden Herzen eine Brieftasche tragend, in welcher viele Pfundnoten und ein falscher Paß für Zelia neben einander ruhen. – Wird sie kommen? wird sie nicht kommen? Gott, wenn die Mutter das Complott durchschaut hätte! – Aber nein! sie kommt, sie eilt athemlos herbei, ohne das mindeste Gepäck, selbst ohne Porte-Monnaie; Pauline hat Alles an sich genommen, als man sich Adieu sagte, ein heiteres, glückliches Adieu. – Zelia spricht kein Wort. Faillet führt sie auf’s Schiff wie sein Opfer und kommt sich vor wie ein Opferer, wie ein Verbrecher. Und hinaus, gegen Brighton zu, dampft der Jean Bart. Lächelnd sehen ihm hinter dem Fenstervorhange Madame und Mademoiselle Faussimont nach.

Tags darauf kehrt man nach Paris zurück. Dort erhält man den ersten Brief von Zelia; auf ihren Knieen bittet sie die Mutter um Verzeihung, sie ist zerknirscht, ihr Herz ist voll Reue, aber auch voll Liebe. – Herr v. Faillet wagt es, seine Bitten mit denen Zelia’s zu verbinden. – Die Mutter ist unbarmherzig. – Sie bleibt es, als sie drei Wochen später die Nachricht erhält, daß Zelia Frau v. Faillet geworden. Erst mit Anbruch des Winters kehrt das junge Ehepaar nach Paris zurück und im Dunkel des Spätabends wagen sie es, in Nr. 5 Quai Voltaire einzudringen; die Mutter ist überrascht, gerührt – sie verzeiht.

Glaubt der Leser, ich hätte ihm die Geschichte einer Spitzbubenfamilie erzählen wollen? Nein, nur die Geschichte einer Pariser Familie. Unter anderen, weniger drängenden Verhältnissen, unter minder tyrannischen Ansprüchen der Gesellschaft wäre die Familie Faussimont so ehrlich geblieben, wie tausend andere ehrliche Familien in kleinen Städten. Sie aber schwamm mitten in einem grossen Meere auf einem schwankenden Balken, in ewiger Angst, verschlungen zu werden. Zelia ist eine gute und treue Frau geworden, und man kann nicht leugnen, daß sie die Bekanntschaften und das große Vermögen ihres Mannes gewissenhaft benutzt hat, um auch ihrer älteren Schwester einen Mann zu verschaffen. Es ist ihr gelungen. Pauline ist die sehr wirtschaftliche Ehegattin eines Unterpräfecten im Departement der Gironde und bringt jeden Sommer auf dem Landgute ihrer Schwester Madame de Faillet zu.




Andreas Hofer.
Zur fünfzigjährigen Todtenfeier seiner Ermordung.

Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
Führt ihn der Feinde Schaar;
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach! in Schmach und Schmerz,
Mit ihm das Land Tyrol. –

So klingt das schöne Lied des schwer erkrankten Julius Mosen zum Andenken des unsterblichen Volkshelden von Tyrol, der vor fünfzig Jahren, am 20. Februar 1810, von den Franzosen auf den Wällen von Mantua erschossen wurde und mit seinem Blute seine Treue für das Haus Oesterreich besiegelte.

Wenn man auf der Wanderung durch das schöne Tyrol in das ernste Passeierthal tritt, auf das der hohe Jausen, der Mons Jovis der Römer, melancholisch niederschaut: so gelangt man auf steinigem, zerrissenem Pfade zu einem Hause von zwei Stockwerken, mit einer Doppelgallerie geziert. Dort wohnte der Sandwirth Andreas Hofer mit seiner treuen Ehefrau Anna Ladureer und gab den einkehrenden Gästen ein Obdach und ein Glas von dem rothen Landwein, so gut er es selber hatte. Nebenbei betrieb er die Sennwirthschaft und einen einträglichen Pferdehandel, der ihn bis nach dem benachbarten Italien führte und mit vielen Menschen zusammenbrachte. Er hatte zu jener Zeit sein

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