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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Monate, seitdem ich Melbourne verließ, geändert und gebessert haben kann. Wie die südaustralische Victoria- und Goldhauptstadt binnen wenigen Jahren äußerlich glänzend aufschoß und sich ausbreitete, verändert sie sich stets eben so rasch, immer im Fieber, immer in einer Art von Wuth, das ältere, solidere, durch dauernd und regelmäßig aufblühenden Handel begünstigte Sidney zu übertreffen. Deshalb tragen auch alle Unternehmungen für Kunst und Wissenschaft, für Cultur und Luxus das Gepräge des Uebereilten und Forcirten, des Unfertigen, Unsoliden und des Humbugs. Erziehung und Unterricht, Kunst und Wissenschaft kommen immer mehr in deutsche Hände. Ich lernte mehrere Hunderte von Landsleuten kennen (von 1848 bekannte und berühmte Namen darunter), die theils als Privatlehrer, theils als Vorsteher eigener Schulen, als Gesang-, Musik- und Sprachlehrer fast durchweg gut leben und zum Theil reich werden. Einige deutsche Vereine sind bis jetzt ohne Bedeutung. Man schätzte die Zahl unserer Landsleute in Melbourne selbst auf 7–10,000, mit der Umgegend und den Goldregionen auf mehr als 20,000. Drei Deutsche geben seit vorigem Herbste die „Melbourner Deutsche Zeitung“, wöchentlich einen halben bis dreiviertel Bogen, heraus, aber die drei Redacteurs Brahe, Kruse und Püttmann finden so wenig Stoff auf diesem „unhistorischen Boden“, daß sie über drei Viertel ihrer Spalten, wie z. B. in Nr. 6, mit Nachdruck aus dem Londoner „Hermann“ füllten.

Deutsche, die auswandern, sollten am allerwenigsten an Australien denken. Die Welt ist hier schon weggegeben. So Viele unserer Landsleute sich auch emporgearbeitet haben, wer zählt die Menge der Untergegangenen? Mir ist besonders ein Beispiel unvergeßlich. Die reiche Frau eines Berliner Philosophen und Schriftstellers, der in Berlin im Elend gestorben ist, wurde von einem ehemaligen Berliner Lieutenant hierher begleitet und verlassen. Sie suchte erst als Lehrerin, dann als Waschfrau zu leben, sank dann bis zum nächtlichen Wandern auf den Straßen, wurde endlich zerknirschte Betschwester und starb mit dem „Brode des Lebens“, der Bibel, in der Hand, aber aus Mangel an irdischer Nahrung.




Die neue Pariser Betäubungsmethode.
Von Dr. Pinkus in Glogau.

Anfangs December 1859 berichteten Correspondenzen verschiedener Zeitungen aus Paris, daß ein Arzt zufällig ein neuen Verfahren entdeckt habe, in kurzer Frist einen Menschen in tiefen Schlaf zu versenken. Das Verfahren war folgendes: „Die Person, welche eingeschläfert werden sollte, setzte sich auf einen Lehnsessel oder ein Sopha, befreite sich von allen beengenden Kleidungsstücken und brachte den ganzen Körper, besonders den Kopf, in eine bequeme Lage; der Arzt hielt in einer Entfernung von 1/2–1 Fuß der experimentirenden Person eine polirte Kupferplatte vor das Gesicht; die Platte wurde von dem Experimentirenden angeschaut. Nach zwei Minuten,“ so wurde weiter berichtet, „nahmen die Züge den Dasitzenden den Ausdruck der Abspannung an, die Augenlider schlossen sich, nach ferneren zwei Minuten war tiefer Schlaf eingetreten; die Kupferplatte wurde entfernt. Das Gesicht des Schlafenden hatte den Ausdruck großer Ruhe; er war unempfindlich gegen die Berührung eines kalten Gegenstandes, unempfindlich gegen laute Geräusche, unempfindlich gegen tiefe Nadelstiche. Zugleich zeigten seine Glieder eine wächserne Biegsamkeit, d. h. der Arzt Kopf, Arme und Beine durch Anwendung einer geringen Kraft in verschiedene Stellungen bringen konnte, und die Glieder verharrten in dieser Stellung (auch wenn dieselbe im wachen Zustande einen Aufwand großer Muskelkraft verlangt hätte) so lange, bis sie in eine andere gebracht wurden. Nach Verlauf einer halben Stunde verlor sich die wächserne Biegsamkeit, die Arme sanken schlaff zur Seite, das Gesicht deutete auf eine eintretende große Abspannung, diese ging jedoch, nach den Zügen zu urtheilen, rasch vorüber, die Miene wurde wieder belebt, der Schlafende erwachte und fühlte keine Beschwerde.

„Bei einem ferneren Versuche richtete sich das Hauptaugenmerk des Arztes auf Prüfung des Empfindungsvermögens des Schlafenden, alle Empfindung schien erloschen.

„Die Entdeckung dieses Verfahrens ist von der höchsten Wichtigkeit,“ wurde hinzugefügt. Es sei unzweifelhaft, daß Operationen aller Art während dieses Kupferplatten-Schlafs vorgenommen werden könnten; die bisherigen Betäubungsmittel wirkten alle in hohem Grade schwächend, ließen nach einmaliger Anwendung eine unüberwindliche Abneigung gegen ihren ferneren Gebrauch zurück und hätten in mehreren Fällen den Tod herbeigeführt. Das neue Mittel ließe sich ohne jede Gefahr anwenden! – Unzweifelhaft sei damit die Herrschaft des Chloroform beendet!

Die ersten Correspondenzen machten in Deutschland wenig Eindruck. Das große Publicum verhielt sich passiv, denn das magische Tischrücken und der Psychograph hatten den Gläubigen viel bedeutendere Resultate geboten, als einen todtenähnlichen Schlaf, mit dem selbst der größte Heißhunger nach sinnlicher Wahrnehmung überirdischer Kräfte nichts anfangen konnte; – und der Arzt hatte ein Recht, sich der neuen Entdeckung gegenüber mit einem ungläubigen Lächeln abzufinden.

Allein Mitte December nahm der Entdecker das Recht der Wissenschaftlichkeit für seine Entdeckung in Anspruch, nachdem er eine sehr große Zahl von Versuchen gemacht habe; er stellte eine Theorie der magischen Kupferplatten-Wirkung zusammen, für welche die Lehren des Magnetismus, der Elektricität, des Mesmerismus, der Polarität des Geistes Bausteine hatten liefern müssen. Er hoffte, der wissenschaftliche Dünkel der Collegen würde diesmal nicht der Aufnahme einer so segensreichen Entdeckung hinderlich in den Weg treten. – Die Correspondenten berichteten weiter, daß in einer außerordentlich großen Anzahl von Familien zu Paris der Versuch wiederholt worden sei; in der größeren Mehrzahl der Fälle mit Erfolg; die Versuche mit negativem Resultat wären an höchst unruhigen oder böswilligen Subjecten gemacht worden, die nicht veranlaßt werden könnten, zwei Minuten lang unverwandt in die Kupferplatte zu schauen.

Die Lehre wurde bald verbreitert: eine große Zahl der Menschen, an welcher die Kupferplatte keinen Schlaf herbeigeführt, wären in todtenähnliche Starrheit versunken, sobald der Arzt seine ausgebreitete Hand von der Platte aus langsam nach dem Kopfe des ruhig Dasitzenden hinbewegte. Die Zeitdauer von zwei Minuten wurde übrigens im Allgemeinen als zu kurz befunden, hingegen sollte nach spätestens fünf Minuten der Erfolg unausbleiblich eintreten, wenn nicht etwa das Individuum überhaupt zu der kleinen Minderheit gehörte, die unempfindlich sei gegen die neuentdeckte Kraft. Die Stellung der Platte wurde dahin bestimmt, daß sie höher als der Kopf des Sitzenden und diesem nahe genug gehalten würde, um ein geringes Schielen der Augen hervorzurufen.

Diesen Berichten gegenüber durfte sich der Arzt nicht mehr einfach abwehrend verhalten; er mußte von ihnen Notiz nehmen und durfte erwarten, daß bei dem regen Verkehr, der gerade in Paris zwischen den Laien und den Männern der Wissenschaft herrscht, die Entdeckung bald die Aufmerksamkeit höherer Kreise erregen würde, falls nicht etwa die Correspondenten das Opfer einer Mystification geworden waren.

Ende December berichteten auch in der That medicinische Journale, daß die Akademie zu Paris eine Commission zur Untersuchung der neuen Entdeckung niedergesetzt habe, und daß an der Spitze der Commission Velpeau stehe, ein Mann von europäischem Rufe. – Von diesem Augenblicke an lag für den Mediziner die Verpflichtung vor, die neue Entdeckung wo möglich durch eigene Versuche zu prüfen.

Verfasser hat durch die freundliche Bereitwilligkeit seiner Bekannten zweiundvierzig Versuche machen können, von denen indeß nur einige wenige hier angeführt werden sollen, da sie alle ziemlich dasselbe Resultat ergaben.

A. Versuche mit einer Kupferplatte und gleichzeitigen Manipulationen der Hand.

Ein Mädchen von dreizehn Jahren, von mäßiger Phantasie, cholerischem Temperament, reizbarem Nervensystem. Kurz nach Beginn der Sitzung macht sich ein Gefühl des Unbehagens in der Augen- und Stirngegend bemerkbar; die Augen müssen öfter geschlossen werden. Gefühl der Spannung: was wird nur daraus werden? darauf Gefühl der Langweile. Dauer der Sitzung: sechs Minuten. – Dasselbe Mädchen, fünf Minuten später. Es schildert die Empfindungen und Gedanken, welche es während des Versuchs gehabt hat, folgendermaßen: „Bin ich nicht eigentlich eine Närrin, daß ich mich zu solchem Blödsinn hergebe? – aber es ist doch spaßhaft. Was der Doctor für närrische Bewegungen mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_119.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)