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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

erstrebte. Daß ich zuweilen in der Wahl der Mittel fehl gegriffen habe, will ich nicht leugnen.“

„Aber beste Schwägerin, davon ist ja gar nicht die Rede,“ fiel die Generalin ein, die mit Schrecken bemerkte, daß sie sich immer weiter von ihrem Ziele entfernte. „Im Gegentheil, das Vertrauen auf Sie ist’s ja gerade, was mich zu Ihnen führt. Ich lege Ihnen meine Sorgen und Wünsche an’s Herz, weil ich weiß, daß mir Niemand besser rathen und helfen kann, als Sie. Ihre Hand ist die einzige, die dies unheilvolle Band wieder lösen kann. Lothar wird gegen Ihren Willen keine Verbindung schließen, das weiß ich. Ich halte es überhaupt für Wahnsinn, für Unrecht, daß er heirathet – und nun gar diese Wahl! Wenn es noch ein junges, lustiges frisches Wesen wäre, das ihn aus seinem Trübsinn aufrütteln könnte – aber meine stille Eva! Glauben Sie mir, Eva ist keine Frau für Lothar!“

„Sagen Sie lieber, daß Sie keine Schwiegermutter für ihn sind,“ fiel die Aebtissin spöttisch ein. „Uebrigens ersparen Sie sich die Mühe, mich umstimmen zu wollen,“ fuhr sie ernsthaft fort. „Ich habe mir, wie ich schon sagte, mein Urtheil über die Partie gebildet. Die jungen Leute lieben sich; der Himmel hat sie gleichsam durch Zeichen und Wunder zusammengeführt – ich werde sicher nichts thun, um sie zu trennen. Außerdem, liebe Hersenbrook, habe ich gelobt, in solchen Dingen nie mehr weder Hand noch Fuß zu rühren. Hätte ich das nicht mit heiligen Eiden geschworen, so wären Lothar und Eva längst durch meine Vermittelung zusammengekommen, und was Sie heute beklagen, wäre vielleicht schon vor Jahr und Tag geschehen.“

Die Generalin starrte die Sprechende an, als ob sie ihren Sinnen nicht traute. „Sie wollen nicht eingreifen?“ stammelte sie endlich, „Sie wollen sich jede Einmischung untersagen? Aber ohne Ihre Zustimmung wird ja in der ganzen Familie nie auch nur das Geringste beschlossen oder ausgeführt! Wahrhaftig, liebe Schwägerin, ich verstehe Sie nicht mehr!“

„Als ob Sie mich je verstanden hätten,“ erwiderte die Aebtissin bitter. „Ihr Alle,“ fuhr sie nach einer Pause grollend fort, „Ihr Alle haltet mich doch nur für ein herrschsüchtiges Geschöpf, das überall seinen Willen durchsetzen, seine Launen befriedigen will. Das ist Eure Meinung! Aber fragt einmal, was ohne mich, ohne mein, wenn Ihr wollt, despotisches Eingreifen aus Guntershausen geworden wäre!“

Die Aebtissin stand auf und ging mit über der Brust gekreuzten Armen in gemessenem Schritt auf und nieder. Das schwarze Seidenkleid rauschte in schweren Falten um ihre Gestalt, die in diesem engen, niedern Raume viel größer erschien als sonst. Dazu hatte ihr Gesicht seinen strengsten, stolzesten Ausdruck, und die großen Augen starrten glanzlos in unbestimmte Fernen. Der Generalin wurde immer unbehaglicher zu Muth, die gewöhnliche Sicherheit ihres Benehmens war erschüttert; sie wußte nicht, ob sie schweigen oder sprechen sollte. Endlich fing die Aebtissin wieder zu reden an. „Heut zu Tage kommt freilich nichts mehr darauf an, ob alte Geschlechter zu Grunde gehen,“ sagte sie, „ob Familien zerrissen und zerstreut werden, und ob das Haus, wo wir geboren wurden, in fremde Hände übergeht. Ihr wollt nur leicht, behaglich, lustig leben. Das gotteslästerliche: „après moi le déluge“ ist Euch Allen in Fleisch und Blut übergegangen.“

Die Generalin zuckte die Achseln. „Ihr alter, ungerechter Vorwurf!“ sagte sie. „Was können wir gegen das Geschick? Was zerfallen soll, zerfällt, was vergehen soll, vergeht, wir mögen uns noch so sehr dagegen stemmen.“

„Feige Ausreden, nichts als feige Ausreden!“ rief die Aebtissin. „Ich habe an mir selbst erfahren, was Entschlossenheit, Beharrlichkeit und feste Hand vermögen. Hätte ich damals, als der Vater verunglückte und seine Angelegenheiten in der größten Verwirrung hinterließ, auch gedacht: „was zerfallen soll, zerfällt“, Guntershausen wäre längst in fremde Hände übergegangen, und der Sohn meines Bruders hätte keine Heimath mehr.“

„Sein Leben hätte sich darum vielleicht nicht unglücklicher gestaltet,“ fiel die Generalin ein.

Die Aebtissin blieb stehen und sah sie mit zornig funkelnden Augen an. „Unglücklicher vielleicht nicht,“ sagte sie; „aber unwürdiger jedenfalls. Haben Sie denn wirklich kein Gefühl für die Heiligkeit des Vaterhauses? Sie sind freilich nie in Gefahr gewesen, daraus vertrieben zu werden,“ fuhr sie milder fort, indem sie den Platz am Fenster wieder einnahm. „Man muß es erlebt haben, wie ich, als nach des Vaters Tode ganze Schaaren jüdischer und christlicher Wucherer über uns herfielen, mit gierigen Blicken unsere Habe taxirten, die begehrlichen Hände nach allen Seiten ausstreckten. So oft ich unter unserm Wappen am Portale den Wahlspruch: „Wahr dich, wehr Dich“ erblickte, gab es mir einen Stich in’s Herz, und ich schrie zu Gott mir Kraft zu geben, um zu wahren und zu wehren. Die Brüder waren noch halbe Kinder, neunzehn, siebzehn und fünfzehn Jahre alt, die Mutter war eine schwache Frau, die ganz in ihrer Wittwentrauer unterging; ich selber war ein unerfahrenes Geschöpf von kaum einundzwanzig Jahren – aber die Noth machte mich selbstständig. Nach kurzer Zeit hatte ich eine vollständige Uebersicht der Verhältnisse gewonnen. Sie waren trostlos. Eine Menge Processe, zum Theil um Nichtigkeiten, fraßen unsere Einkünfte, die Lehen waren auf Jahre verpfändet, die Forsten verwüstet; die Oekonomie war schlecht verwaltet. Das war schon zur Zeit des Großvatern so gewesen. Der Vater hatte aus Bequemlichkeit Alles im alten Gleise gelassen. Jetzt nahm ich die Zügel der Wirthschaft in die Hand. Ich erzwang, daß Einschränkungen gemacht, unredliche Diener entlassen, günstigere Pachtverträge abgeschlossen, Processe beigelegt wurden. Und weil ich mit Muth und Vertrauen an’s Werk ging, gelang es mir. Als Bruder Hans fünf Jahr später Guntershausen übernahm, konnten wir ohne zu schwere Sorgen in die Zukunft blicken. Am Wollen, Frau Schwägerin, da liegt’s.“

„Es liegt auch am Können,“ erwiderte die Generalin. „Sie hatten gerade die Aufgabe gefunden, die Ihnen angemessen war. Hersenbrook hat mir zu hundert Malen voll Bewunderung erzählt, mit welcher Umsicht und Energie Sie damals zu Werke gegangen sind.“

„Hat er das?“ fragte die Aebtissin und für einen Moment flog eine leichte Röthe über ihr Gesicht. „So hat er Ihnen auch wohl erzählt, daß er sich damals um mich bewarb, daß ich ihm von Herzen gut war, ihn aber zurückwies, weil ich erkannte, wie viel leichter ich in seinem neu zu gründenden Hause ersetzt werden könnte, als in dem verfallenden meiner Väter. Hans war wie der Vater eine stille, weiche, träumerische Natur, wenig zur Verwaltung großer Güter geeignet. Er hatte das auch selbst erkannt, und ich hatte ihm versprechen müssen, ihn nie zu verlassen. Ich erwähne das jetzt nur, liebe Hersenbrook, um Ihnen zu beweisen, daß ich vor keiner Consequenz zurückgewichen bin, die mit der Aufgabe verbunden war, Guntershausen für seine angestammten Herren zu erhalten und unsrer Familie so viel als möglich vom alten Glanz und Wohlstand wiederzugeben.

„Dies sind denn auch die Zielpunkte gewesen, die ich im Auge behalten habe, als es sich später um die Berufswahl und Verheirathung meiner Neffen handelte. Ich weiß nicht, ob Sie erfahren haben, daß Hans, etwa fünf Jahre vor der Verheirathung mit Hersenbrooks Schwester, schon einmal verlobt war. Seine Braut war eine der schönsten Geschöpfe, die mir jemals vorgekommen sind. Sie haben ja die arme Isidore gekannt – gerade so war Friederike von Waldburg. Dasselbe blonde Haar, dieselben tiefblauen Augen, die rosige Färbung, die weichen Formen, das halb anschmiegende, halb spöttisch neckische Wesen. Hans nannte sie scherzend seine Sirene – es war ein ganz bezeichnender Ausdruck. Wie sie sich zu meinem einfachen, stillen Hans gefunden hatte, begriff ich nicht, vielleicht hatte sie auch nur den Vorstellungen ihrer Mutter nachgegeben. Aber sie schien glücklich, Hans war es in der That – es war einmal wieder Sonnenschein nach langer, schwerer Zeit. Die Hochzeit war schon bestimmt, als mein jüngster Bruder Max von langen Reisen zurückkam. Er war ein schöner, gewandter Mann, sehr jung, sehr feurig – Friederike und er entbrannten in einer wahnsinnigen Leidenschaft für einander. Sobald Hans das erkannte, trat er zurück. Seine Großmuth setzte das Paar in den Stand sich zu verheirathen, und gleich nach der Hochzeit ging Max als Gesandtschafts-Attaché mit seiner jungen Frau nach Paris. Es hat kein Segen auf dieser Ehe geruht. Max war eifersüchtig, Friederike soll kokett gewesen sein – so haben sich Beide, im vollen Sinne des Wortes, zu Tode gepeinigt. Nach zehnjähriger Ehe ist Friederike gestorben; Max ist ihr ein Jahr später gefolgt, und von ihren fünf Kindern hat nur das jüngste, Isidore, die Eltern überlebt. Das Kind wurde mir übergeben, aber ich mußte seine Erziehung fremden Händen überlassen, denn es war seiner Mutter so ähnlich, daß sein Anblick auf Hans den traurigsten Eindruck machte. Gleich nach Friederikens Treubruch

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