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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

liegen bleibt. Aber der Wunsch, das Verlangen, es zu kennen, bleibt in der Seele lebendig. Wir wollen wissen, was mit unsern Kindern geschieht, die man von uns nimmt, und während wir dieses wissen wollen, fallen wir Armen den elenden Betrügern des Marktes anheim, die uns mit ihrer eigenen Weisheit speisen. Ein solcher Helfer in der Noth war St. Germain, war Cagliostro, war ihr Schüler Schröpfer, einstmals Leipziger Kellner, dann hochberühmter Geisterbeschwörer.[1] Der, der aufrichtig sucht, fühlt sich im Laufe der Zeiten immermehr vereinsamt, je langer er lebt: er wünscht oft, einem Irrthum zu unterliegen, nur auf kurze Frist, aber sein Verstand sieht scharf, seine Erfahrung ist eine gewitzigte, für ihn gibt es keine Offenbarung, keine Wunder, keine Geisterspielerei, keine Geheimnisse und keine Freimaurerlogen.

Die Freimaurerei war für Viele eine Art Freistätte geworden; die sonst nichts werden konnten, wurden Freimaurer. Sie drangen in die Logen ein, schufen Reformen, Aenderungen, neue Grade. Der allgemeine Glaube, daß die Jesuiten, deren Orden aufgelöst worden war, unter den verschiedenen Logen in Deutschland und Frankreich Eingang gefunden, machte die Sache auch für die wichtig, denen Geheimnisse nichts Wichtiges waren. Wo Jesuiten sich fanden, fanden sich weltliche Zwecke, und man wußte, wie man sich vor diesen, in der Jesuiten Hände, zu hüten habe. Deshalb schon wurden Viele Freimaurer, um den Spuren des verhaßten Ordens nachzugehen. Deshalb das große Geschrei, das die Illuminaten in München erregten. Schröpfer scheint ein Werkzeug in den Händen jener im Geheimen wirkenden Männer gewesen zu sein, er wußte dieses, hegte dabei Glauben an seine Wunderkraft und beschloß die, die ihn gängelten, plötzlich durch die Kraft, die in ihm wohnte, zu vernichten. Er ging weiter, als man ihm geheißen, und den letzten Theil seines Weges machte er ganz allein. In Sachen des Freimaurerordens war er mit dem Herzoge aneinander gekommen, und dieser, nach Weise der damaligen burlesk-cynischen Aristokraten, ließ ihm eine Anzahl Hiebe geben, für deren Empfang er eine Quittung ausstellen mußte. Wie ihn einige Jahre später der Nimbus des Wundermanns umgab, kroch der Herzog zu Kreuze und bat den Mann, den er so schimpflich beleidigt hatte, um Verzeihung, lediglich nur – um Geister zu sehen. Schröpfer versprach ihm dieses. Er lebte damals in Dresden unter dem Namen eines Barons von Steinbach, in französischer Obristen-Uniform, die er zu tragen vom Herzoge von Orleans die Erlaubniß zu haben behauptete. Der französische Gesandte erkannte dieses nicht an, und weigerte sich, unter diesem Namen ihn dem Kurfürsten vorzustellen. Der Herzog, um den Schwergekränkten zu versöhnen, versprach ihm, unter seiner Führung, den Hof und die Gesellschaft. Vorher sollte aber die Geistercitation stattfinden.

Es traten jetzt mehrere angesehene Männer zusammen, Leute von „Consideration und Respectabilität“, wie es in der Berichterstattung heißt. Es waren außer dem Herzog Karl der Minister Wurmb, der nachmalige Minister Hohenthal, der Kammerherr von Hopfgarten, der Adjutant von Fröden, der Kammerherr, später in Preußen Minister gewordene Bischofswerder und noch einige Andere. Ueber den Geist, den man citiren lassen wollte, war man scheinbar uneinig; der Herzog wußte sehr gut, wen er wollte. Es war der Chevalier de Saxe, der Sohn August des Starken und der Lubomirska, der Oheim des Herzogs von Kurland, der vor Kurzem gestorben war und, als Malteserritter unvermählt, dem Herzoge das Palais und den Garten vermacht hatte, angeblich jedoch noch im Besitze großer Summen gewesen sein sollte. Wo diese hinversteckt waren, hatte der Herzog schon längst überall nachgesucht, hatte aber nichts gefunden. Es war also nicht allein Begierde, über den Zustand des Verstorbenen nach dem Tode etwas zu erfahren, es war auch das liebe Geld, das hier mitspielte. Schröpfer stand hier am Gipfelpunkte seiner Wirksamkeit. Eine solche Citation, wenn sie ihm gelang, mußte Aufsehen machen; die Männer und ihre Stellungen gaben dafür die Sicherheit. Der Schwärmer steckte in einem Gewebe von Lügen und Selbsttäuschungen. Es läßt sich annehmen, daß Manches ihm unter der Hand zu etwas wurde, was er nicht erwartet hatte! Die Wissenschaft hat uns ja in neuesten Tagen tausend kleine Kunststückchen gelehrt, die blenden, ergötzen und – erschrecken können. Es kommt darauf an, in wessen Händen sie sich befinden. Hier war offenbar Manches der Art im Gange. Schröpfer glaubte wirklich gewissermaßen in der fremden Welt Fuß gefaßt zu haben. Anders können wir wenigstens seinen plötzlichen Tod nicht erklären, denn ein gewöhnlicher Gaukler und Betrüger hat viele Mittel zu verschwinden, wenn er fühlt, daß sein Latein zu Ende ist.

Wir kommen jetzt zu der Nacht selbst. Man denke sich die Mitternachtstunde, die langsam austönt, die kleine Gesellschaft von Herren in der großen Gallerie, die nur schwach erleuchtet ist, und wo man Fenster und Thüren auf das Sorgsamste verschlossen hält und bewacht. Der Herzog, obgleich der Urheber dieser Dinge, sitzt gedrückt und verschlossen in seinem Lehnstuhle; es thut ihm fast leid, das Spiel gewagt zu haben, denn es handelt sich darum, einen nahen Verwandten mit Gewalt seiner letzten Ruhestätte zu entziehen! Wird er kommen, wird er nicht? Denn daß Schröpfer ihn zu rufen die Macht hat, davon ist der Herzog fest überzeugt. Nicht so die übrigen Gäste. Ein Paar sind darunter, die offene Ungläubige und Zweifler sind, und die sich deshalb an die Thüren stellen, um zu sehen, daß sie nicht geöffnet werden. Sie nehmen auch nichts von dem Punsche, der aufgetragen wird und zu dem die Gesellschaft greift, um ihren Nerven die gehörige Spannung zu geben. Die Citation beginnt. Man hat Schröpfer in einem einfachen schwarzen Anzuge lange stillschweigend in der Gallerie auf und ab wandeln sehen; plötzlich wirft er sich in einer Ecke der Gallerie nieder und mit einem Crucifix in den Händen beginnt er die Hersagung oder vielmehr Hersingung geheimnißvoller Formeln und dunkler Sprüche. Die Gesellschaft lauscht gespannt. Eine Stunde vergeht, es geschieht nichts. Da plötzlich rauscht es von außen an den Fenstern, und bald darauf klingt ein Ton durch das Gemach, ähnlich dem Klingen einer Aeolsharfe. Das Rauschen an den Fenstern von außen macht einen geheimnißvollen Eindruck, die Gesellschaft weiß sich ihn nicht zu erklären, und der Geisterseher sagt ihnen, dies deute auf die Ankunft der guten Geister, die zu dem Werke nothwendig seien. Plötzlich dringt eine augenblickliche Helle in das Gemach, und zugleich läßt sich ein Gewirr heulender und wehklagender Stimmen hören, die, wie es scheint, aus der obern Region des Saales selbst kommen. Dies sind die bösen Geister, die da kommen, um das Treiben der guten zu vernichten oder wenigstens zu hemmen. Jetzt bereitet sich die Erscheinung selbst vor. Wie vom Sturm aufgerissen, öffnet sich die obere Saalthür und herein braust, in eine Art Wolke oder Nebel gehüllt, ein Etwas in Form einer Kugel. Aus dem Kerne dieser Kugel starrt ein menschliches Antlitz, und dieses Antlitz ist – der Gerufene. Alle erkennen ihn – Alle erschrecken und verstummen. Der Herzog sinkt auf die Kniee und wendet schamhaft und zitternd sein Antlitz; er kann es nicht ertragen, dem in’s Angesicht zu sehen, den er so frevelhaft gerufen.

„Was willst Du von mir, Karl? Warum störst Du mich?“ erschallt eine furchtbare Stimme.

Niemand antwortet.

Die Kugel mit dem drohenden Antlitz bleibt mitten im zurückweichenden Kreise der Männer. Eine düstere Schwefelhelle geht von ihr aus. Der Zustand der Gesellschaft wird ein so beängstigender und drückender, daß man Schröpfer himmelhoch bittet, das Phantom wieder verschwinden zu machen. Aber das ist nicht so leicht. Schröpfer bekennt, daß er das nicht vermöge.

Ein schrecklicher Aufruhr in der Gesellschaft; soll man sitzen bleiben und immer das unheimliche Etwas in seiner Mitte behalten? Unmöglich. Einem Jedem liegt ein Berg auf der Brust. Der Herzog wird angegangen, auf die Frage zu antworten; er vermag es nicht. Die Augen des Gebildes sind mit einer durchbohrenden Kraft auf ihn gerichtet. Er stammelt endlich etwas, das so klingt, als wenn er nichts zu sagen hätte und daß er von dem, was er wissen wolle, nunmehr überzeugt sei. Die Kugel bleibt stehen. Schröpfer liegt im Winkel, windet sich unter Convulsionen und ruft wilde Beschwörungsformeln in die Lüfte. Endlich weicht das Gespenst, die Gesellschaft athmet wieder auf; doch kaum ist die Kugel fort, die Thüre hinter ihr verschlossen, so geht sie nochmals auf, und von Neuem steht das Entsetzliche wieder da. Jetzt taumelt die Gesellschaft durch einander, sie drückt sich an den Wänden, sie sucht hinter die Tische zu kommen, und manches Taschentuch ist getränkt vom Angstschweiß seines Besitzers. Schröpfer flieht wieder in die Ecke und liegt wieder da. Neue Gebete, neue Beschwörungen, endlich – endlich umgibt ein dichter Dampf die Kugel, als sich dieser verzogen hat, ist sie fort, um nicht mehr wiederzukommen. Diese Nacht, sie wird ewig unvergeßlich sein für die,

  1. Siehe Gartenlaube, Jahrgang 1859, Nr. 14, Artikel: „Bischofswerder und Wöllner“.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_106.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)