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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 7. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Guntershausen.
Von Claire von Glümer.
(Fortsetzung.)

„Eines Tages,“ fuhr Eva fort, „als ich wieder damit beschäftigt war, wurde die Thür heftig aufgerissen. Tante Ernestine trat ein, an ihrer Seite ein junger Mann mit glühendem Gesicht und auffallend stolzer Haltung. Es war Lothar, ich erkannte ihn auf den ersten Blick und war einen Moment vor Ueberraschung so gelähmt, daß ich nicht im Stande war, mich bemerklich zu machen. „Ich versichere Dich, Tante, daß ich nicht studire!“ rief Lothar im Hereintreten; „ich muß und will Soldat sein!“ Dabei blitzten seine Augen, wie ich’s nie bei einem andern Menschen gesehen habe. „Das wird sich finden, mein Junge,“ sagte die Tante in ihrem strengsten Tone und hätte vielleicht noch mehr gesagt, wäre ich nicht in diesem Augenblicke hinter den Bücherschränken hervorgetreten. Erst sah mich die Tante mit bösen Augen an, aber dann wurde ihre Miene freundlicher. „Gut, daß Du da bist, kleine Eva,“ sagte sie. „Ich übergebe Dir diesen Trotzkopf, sieh zu, daß Du ihn zur Raison bringst, ich habe jetzt nicht Zeit dazu.“ Mit diesen Worten wandte sie uns den Rücken und rauschte zur Thür hinaus.

„Auch Lothar hatte mir den Rücken gekehrt. Er stampfte mit dem Fuße, recht wie ein trotziges Kind, schüttelte die geballte Hand über seinem Kopfe und murmelte vor sich hin: „Und wenn sie mich einer Legion von Teufeln übergäbe, den Willen thu’ ich ihr doch nicht!“ – „Oho, seh’ ich denn aus wie der Teufel?“ rief ich empört. Lothar drehte sich um, starrte mich einen Augenblick an, brach dann in ein helles Lachen aus und erwiderte, indem er meine beiden Hände faßte: „Nein, kleine Eva, wahrhaftig nicht. – Aber Du solltest wissen, wie sie mich peinigt,“ fuhr er ernsthaft fort, und nun erzählte er mir ausführlich von seinen Kümmernissen. Statt ihn zur Raison zu bringen, wie Tante Ernestine befohlen hatte, schloß ich ein Schutz- und Trutzbündniß mit ihm, d. h. ich versprach zu thun, was ich könnte, um den Papa, der ja auch mit Leib und Seele Soldat war, für Lothars Pläne zu gewinnen – und so waren wir von Stund an die besten Freunde. Ich war damals fünfzehn Jahr alt, Lothar achtzehn. Du erinnerst Dich gewiß noch an die Zeit – erst gab’s heftige Kämpfe mit der Tante, aber Lothar blieb fest, Papa stand ihm bei, und so kam er bald darauf als Fähndrich in Vaters Regiment. Nicht wahr, Du erinnerst Dich jetzt?“

„O, nur zu deutlich,“ erwiderte Frau von Hersenbrook. „Ich wollte, liebe Eva, daß Deine Erinnerungen so klar wären, wie die meinigen; vielleicht stürztest Du Dich dann nicht so in Dein Unglück hinein. Je länger ich über Alles nachdenke,“ fuhr sie nach einer Pause fort, „je unbegreiflicher ist’s mir, wie Du zu diesem Mann Vertrauen haben kannst. Was ihm versagt ist, will er besitzen; hat er’s erreicht, so wirft er’s weg. Erst will er Soldat sein – es ist sein Beruf, er will eher das Leben verlieren, als ihm entsagen; die ganze Familie kommt in Aufruhr, zum ersten Male im Leben gibt Tante Ernestine nach – und wenige Jahre später nimmt Lothar den Abschied. Als Du ihm bestimmt warst – ich nehme an, daß Tante Ernestine im Ernste gesprochen hätte – kümmerte er sich nicht um Dich. Seines Bruders Braut ist die Erwählte. Das Geschick ist ihm günstig. Die schöne Isidore wird sein Weib – und nun ist er der kälteste, gleichgültigste Ehemann. Wochen lang sollen die Beiden kein Wort mit einander gesprochen haben. Lothar ist am Spieltische oder auf der Jagd, während Isidore Gesellschaften und Bälle besucht. Aber nun stirbt Isidore, und plötzlich ist die alte Leidenschaft wieder da. Lothar lebt nur in der Erinnerung an sie; er kann die Räume, in denen sie gelebt hat, nicht mehr verlassen. Alle geselligen Beziehungen werden abgebrochen; einst der leidenschaftlichste Jäger, nimmt er jetzt kein Gewehr in die Hand. Nach dem Tode Deines Vaters ziehen wir wieder in seine Nähe, aber Graf Guntershausen, der in frühern Jahren täglich bei uns aus- und einging, kommt nicht über unsere Schwelle. Endlich führt uns der Zufall mit ihm zusammen – und weil ich Unselige so unvorsichtig bin, ihm zu sagen, daß ich seine Lebensweise ebenso unbehaglich als thöricht finde, faßt ihn das Verlangen, mein einziges Kind in diese düstere Umgebung hinein zu ziehen. Du wirst zugeben müssen, liebe Eva, daß ich berechtigt bin, Deiner Zukunft an der Seite dieses Mannes mit Entsetzen entgegen zu sehen.“

Frau von Hersenbrook hatte mit steigender Bitterkeit gesprochen. Die Erkenntniß, daß sie bis zu dieser Stunde dem Seelenleben ihres Kindes fremd geblieben war, that ihr weh – aber sie wollte noch immer nicht daran glauben, wollte sich einreden, daß Eva in einem Wahn befangen wäre, der ihr Vergangenheit wie Gegenwart in falschem Lichte zeigte, und daß es noch Mittel und Wege geben müßte, die Bethörte zum Bewußtsein zu bringen. Darum wollte sie jetzt keine Einwendungen hören, und als Eva den Versuch machen wollte, sie zu beruhigen, fiel sie ihr hastig in die Rede.

„Laß es gut sein!“ sagte sie. „Wir wollen heute nicht weiter davon sprechen, wir sind Beide zu aufgeregt und verwirrt, um Alles gehörig zu erwägen.“ Mit diesen Worten hüllte sie sich fester in ihren Shawl und lehnte sich seufzend in die Kissen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_097.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)