Seite:Die Gartenlaube (1860) 094.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

die eigenen Verwandten diese Ruhestatt ausgewählt haben, und meine Trauer, das lebensfrohe Wesen in dem düstern Gewölbe zu wissen, verwandelt sich in Wehmuth, wenn ich daran denke, daß die strengen Ordensregeln die Nonnen fest an’s Kloster binden und ihnen nie einen alleinigen Spaziergang in Gottes freier Natur erlauben. Allein in die Loge der Kreuzkapelle darf aber wohl eine Nonne gehn, und somit kann Nina Sontag ungestört das Grab der Schwester besuchen. Für sie wird sich gewiß die düstere Stätte des Todes mit dem sonnighellen Lichte der Erinnerung umgeben und aus dem tiefen Schatten des Gewölbes eine so freundliche Gestalt aufsteigen, daß sie über diese die finstere Schattenseite der Umgebung vergißt.

Welche Vorliebe Henriette Sontag selbst für das Marienthaler Kloster gehabt, beweisen am besten ihre Besuche, die sie dort zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens gemacht. So oft sie konnte, entriß sie sich dem Trouble der großen Welt, dem stets vielfach an sie Anspruch machenden Leben, um in dieses stille, einsame Thal zu eilen. Freudig verließ sie Ehre, Glanz, Ruhm, das in der Welt ihr Theil war, gern brachte sie Glück, Freude, irdische Seligkeit zum Opfer, das sie im häuslichen Kreise aufgab, um einige Zeit im Kloster zu verleben. Dort harrte ihrer nie eine laut jubelnde Menge, dort erwartete sie kein Lorbeerkranz, keine Huldigung! Da fand sie von all den Herzen, die warm für sie schlugen, nur eins, das ihrer einzigen Schwester! – Was muß das Herz ihr gewesen sein, daß sie es zu Zeiten für Alles hingab! – Sie, die so Vieles besaß, die Alles hatte, was das Leben reich, schön und werthvoll macht, sie vermißte dennoch unter all den Gaben, mit denen das Glück sie überschüttet, jenes eine Herz, das sich Gott geweiht und dem Himmel ergeben. Darum eilte denn die in der Welt so hoch geachtete Dame, die von ihrem Gatten und ihren Kindern geliebte Frau, die von Allen gefeierte Künstlerin fort aus der lichten glänzenden Sphäre ihres Lebens, hin in die engen Mauern eines abgeschiedenen Klosters.

Dort war sie weder die Frau des Gesandten, noch die berühmte Künstlerin, sondern einzig und allein Schwester, Schwester der Nonne! In stiller Zelle sang sie mit dieser geliebten Schwester die Lieder, die sie einst als fröhliche harmlose Kinder im Hause der Eltern gesungen; dort sangen sie zusammen die Duette, die sie einst vereint auf der Bühne gesungen, und dort besprachen sie auch die Ereignisse ihres Lebens, den Gang ihrer Laufbahn, die Wendungen ihres Geschickes, – ihre Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft.

Verschieden sind die Geschicke der Menschen, verschieden waren es die der Schwestern Sontag, wie auch stets ihre Neigungen und Ansichten verschieden gewesen sind. – Henriette Sontag hing mit ganzer Seele an Leben, Welt und Bühne, froh und freudig erfüllte sie die Pflichten ihres Berufes, ihre Laufbahn war eine helle, rosige, und Kränze des Ruhms wurden ihr gewunden, wo ihre Stimme erklang, die Herzen flogen ihr entgegen, wo ihre liebliche Erscheinung sich zeigte. Aus der Bahn des Ruhmes zog sie im Zenith ihres Glanzes sich zurück, wählte den Pfad der Liebe, und das Glück blieb auch dort ihr Begleiter! – Nina Sontag sehnte sich dagegen immer fort aus dem Leben der Bühne und dem Geräusche der Welt. Ihr Ziel war ein ernstes, – für sie entfaltete die Welt umsonst ihre heitern Reize, und ihr Herz fand erst Befriedigung, als der Nonnenschleier ihre Gestalt umhüllte und ihre Seele die göttliche Weihe empfangen hatte.

Wohl den Menschen, die ihr Ziel auf Erden erreichen und mit der Wendung ihres Geschickes zufrieden sind! – Beide Schwestern Sontag waren zufrieden. Liefen auch in ihrer frühesten Jugend ihre Wünsche nach entgegengesetzten Richtungen, – in der Liebe zu einander begegneten sich ihre Herzen immer; – mochten auch in spätern Jahren ihre Wünsche und Hoffnungen ein verschiedenes Ziel haben, sie einigten sich in dem einen Wunsche, in der einen Hoffnung, eine vereinte Ruhestätte in Marienthal zu haben.

Für die Erfüllung dieses Wunsches wirkte Gräfin Rossi durch ihre Liebenswürdigkeit. Sie entzückte und bezauberte die Nonnen im Kloster ebenso, wie sie es in der Welt mit allen Menschen gethan. Sie sang sich in die frommen Herzen, wie in die weltlichen. Nicht allein standen die Nonnen lauschend in den Gängen des Klosters, wenn die zauberisch schönen Stimmen der Schwestern in der kleinen Zelle erklangen, sondern sie hörten sie auch in dem großen Saale singen, wo die Aebtissin musikalische Abende arrangirt hatte und Gräfin Rossi bereitwillig sang, was man zu hören verlangte.

Zu jener Zeit ahnte Gräfin Rossi wohl nicht, daß sie noch einmal wieder aus dem stillen Kreise des häuslichen Lebens heraus und in die Oeffentlichkeit treten würde. Im Jahre 1849 geschah, was sie und Niemand geahnt und geglaubt hatte! – Ihren Kindern zur Liebe brachte sie das Opfer, um sich und ihrem Mann ein sorgenfreies Alter zu verschaffen, betrat sie von Neuem die Bühne, die ihr ein Vermögen in Aussicht stellte, das sie verloren.

Vor ihrer Reise nach Amerika 1852 war Gräfin Rosst zum letzten Male in Marienthal. Da hörten die Nonnen auch das letzte Mal den schönen Gesang der beiden Schwestern. Am Schlusse des Duetts aus der Norma sagte die Gräfin zu der Nonne, die so wunderbar schön gesungen hatte, daß nicht allein die Schwester, sondern Alle bezaubert waren: „Wenn Du mir doch Deine wundervolle Stimme geben könntest, Nina!“ Die von der Nonne gegebene Antwort lautete: „Wie gern thäte ich es, da Du etwas aus ihr machen könntest, was mir nie gelungen ist!“

Der Grund, daß Nina Sontag mit ihrer schönen Stimme keinen der Erfolge erzielt hat, wie ihre Schwester, soll ihre nicht zu besiegende Befangenheit und Aengstlichkeit gewesen sein – ihre Unlust zum Bühnenleben! – Jetzt, wo sie ihre Stimme nur zur Ehre Gottes, zum Lobe des Höchsten erhebt, ist jede Spur von Scheu und Angst von ihr gewichen. Der wahrhaft himmlische Klang ihrer Stimme entzückt jetzt noch oft die Hörer. Athemlos lauschend soll stets beim Gesange der Nonnen in der Kirche die Menge dasitzen, und Viele glauben, wenn sie die Töne von Schwester Julianens Stimme vernehmen, daß ein Engel auf dem Chore singe und sein Lied mit dem der frommen Nonnen vereine.

Auch ohne die Stimme der Schwester mit in die Ferne zu nehmen, errang sich Gräfin Rossi, als sie nach beinahe zwanzigjähriger Pause abermals die Bühne betreten, Triumphe, wie sie sie in gleicher Weise als Henriette Sontag gefeiert hatte.

Mit dem Vorsatze, jedem ihrer vier Kinder ein Vermögen von 100,000 Thalern, und für sich und ihren Gemahl die Summe einer halben Million zu ersingen, soll sie zum zweiten Male öffentlich aufgetreten sein. Die unerhörten Anerbietungen der Londoner Direction der italienischen Oper haben diesen Entschluß in ihr erregt.

Nachdem sie 1849 in London, später in Paris, dann außer in Wien und Berlin in allen Hauptstädten Deutschlands mit dem größten Erfolge gesungen, schiffte sie sich, um die sich gestellte Aufgabe zu lösen, am 25. August 1852 in Begleitung ihres Gatten mach Amerika ein. Die Aufnahme, welche sie dort fand, ließ den glühenden Enthusiasmus der Europäer noch hinter sich zurück. – Man empfing sie bei ihrer Landung in New York wie eine Fürstin, und jede mögliche Huldigung wurde der talentvollen deutschen Künstlerin von den Amerikanern zu Theil.

Sie trat außer in New-York in Philadelphia, Boston und mehreren andern bedeutenden Städten Amerika’s auf. Im April 1854 kam sie nach Mexiko, wo sie den Beschluß ihrer theatralischen Laufbahn machen wollte. Im Sommer beabsichtigte sie zu ihren Kindern zurückzukehren, die sie in Europa zurückgelassen hatte. Der Tod setzte dort im fernen Lande ihren Plänen, Wünschen und Erwartungen ein Ziel. Während ihrer Anwesenheit in Mexiko gestaltete sich die Cholera, die seit 1850 dort von Zeit zu Zeit epidemisch wüthete, furchtbarer, als sie seit lange gewesen. Sie forderte viele Opfer und ergriff am 11. Juni auch die Gräfin Rossi, die Tags zuvor noch blühend und gesund gewesen und in der Probe zur Lucretia Borgia gesungen hatte. Schon am 17. starb sie in den Armen ihres verzweifelnden Gatten.

Am Tage nach dem Tode der Gräfin Rossi erschienen in Mexiko sämmtliche Zeitungen mit einem Trauerrande, und der „Heraldo“ brachte eine Vignette, die einen weinenden Engel darstellte, der ein Grabkreuz mit einem Lorbeerkranze schmückte. Die Todesanzeige war in spanischer Sprache abgefaßt, und zugleich versuchten einige Worte den Schmerz zu schildern, den man allgemein über den Verlust der berühmten Künstlerin empfand.

Von der Art und Weise, wie Gräfin Rossi im fernen Lande verehrt und betrauert worden ist, gibt folgender Artikel aus einer mexikanischen Zeitung Zeugniß:

„Mit Thränen im Auge und Trauer im Herzen schreiben wir unsern zweiten und letzten Bericht über die von zwei Welten bewunderte Künstlerin, die wie ein glänzendes Meteor am europäischen Himmel aufging, dort Jahre lang als Stern erster Größe leuchtete

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_094.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)