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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aus dem Kirchenstaate.
Von Moritz Hartmann.
Nr. 1.
Der Eintritt in den Kirchenstaat. – Bologna. – Die Müßiggänger von Bologna. – Leben der Aristokratie. – Zustand der Romagna. – Eine kleine Geschichte.

Die schmale Panara bildet die Grenze zwischen Modena und der Romagna. Man passirt die kleine Brücke und die großen Zollgebäude, an denen man sonst allerlei Paßplackereien ausgesetzt war, und es ist wunderbar, wie rasch man es fühlt, daß man sich in einem anderen Staate befindet. Boden, Klima, Volk sind dies- und jenseits der Panara dieselben; beide Staaten wurden despotisch regiert – aber der Despotismus hatte verschiedene Formen, und schon das reichte hin, beide äußerlich wie innerlich so sehr zu unterscheiden. Die Straße wird gleich an der Brücke etwas schlechter, und die vielen Ausbesserungen, welche die neue Regierung jetzt vornehmen läßt, tragen für den Moment zum bequemen Weiterkommen nicht viel bei. Die vielen einzeln zerstreuten Häuser und Ortschaften wissen nichts von Fensterscheiben; das Glaserhandwerk scheint hier ganz unbekannt. Die großen leeren Fensterlöcher, die schwarz auf die Straße sehen oder mit Bretern geschlossen sind, lassen jedes Haus öde und verlassen erscheinen. Die Tracht der Einwohner nimmt jenen pittoresk-zerrissenen Charakter an, den die Maler so sehr lieben, der aber zur Erwärmung in kalten Wintertagen, wie sie bereits eingetreten sind, wenig beitragen mag. Die Scheibenlosigkeit der Fenster und diese allgemeine Armuth erinnerte mich lebhaft an das Innere der Türkei; so hatte mich auch schon die kleine Festung Urbano, auf deren Wällen noch vor Kurzem österreichische Schildwachen auf- und abgingen, auf’s Lebhafteste an türkische Festungen erinnert. Ach, wie elend sah sie aus, als ich an ihr vorbeikam! Große Stücke der Mauer waren in die Gräben gefallen und ragten aus den Pfützen derselben wie Klippen hervor. Das Ganze schien sich demnächst in einen chaotischen Erdhaufen verwandeln zu wollen.

Von all diesem Erdenjammer wendete man sich gern dem himmlischen Schauspiele zu, das die Sonne auf den Spitzen und in den Thälern der Apenninen mit Feuersäulen, Wolken, Schatten, vergoldeten Bäumen, Fata-Morganaschlössern, luftigen Rosenbüschen und phantasmagorischen Arabesken und Fabelthieren ausführte. Sie schien es vergessen zu haben, daß sie den Tag hindurch mit verfrühten winterlichen Strahlen geleuchtet, oder wollte es im Augenblicke des Scheidens gut machen. Die Apenninen, so verklärt, rückten uns immer näher, und plötzlich lagen die Hügel mit Madonna di San-Luca und San Michele di Bosco, mit den unendlichen Arkaden, die auf den Hügel führen, und mit der ganzen zaubervollen Decoration von Bologna vor uns.

Die Stadt der Pepoli’s, Bentivoglio’s, Lambertazzi’s, die Stadt Giovanni’s, Caraccio’s, Guido’s, Guercino’s, Domenichino’s, war bei meiner Ankunft noch die Stadt Garibaldi’s. Aber man merkte nicht viel davon. Das eigentliche Lager der italienischen Liga befand sich in Rimini; die Bataillone, die noch in Bologna standen, verloren sich in den unendlichen Straßen der großen Stadt und in den Arkaden, welche keinen Ueberblick gewähren und die Mitte der Straße immer etwas öde erscheinen lassen. Ein Wallensteinsches Lager, oder daß Bologna in dem Momente ein Pilsen war, erkannte der tiefer Eingeweihte nur an den Ottavio’s und Quästenbergen, die daselbst ihr Wesen trieben. Bologna sah wie in den gewöhnlichsten Zeiten aus. Die Arkaden mit ihren Dämmerungen, die an beiden Seiten fast aller Straßen Bologna’s hinlaufen, vereiteln alles Auffallende, das sich im Straßenleben zutragen mag. In ihnen kann sich eine große Volksmenge aufgeregt und wild dahinwälzen, ohne daß man von einem nahen Standpunkte aus in der Mitte der Straße oder an einem Fenster etwas davon bemerkt. Bei schlechtem Wetter wird selbst der Markt leer, und Käufer und Verkäufer verschwinden in den Wölbungen.

Wie sonst saßen die Müßiggänger Bologna’s in den Kaffeehäusern und bei den Friseuren, denn Bologna ist nicht nur die Stadt der Caracci’s, sie ist heute vor Allem die Stadt der Müßiggänger und der Friseure. An der Stelle des Wortes Libertas, das groß und breit und seit Jahrhunderten wie ein Hohn im Wappen der Stadt prangt, sollte das Wort Otium stehen und zwar sine dignitate. Es ist die zahlreiche Aristokratie Bologna’s und das päpstliche Regiment, welche das Heer von Müßiggängern schufen und den Müßiggang zur normalen Beschäftigung der Bologneser Jugend machten. Die Aristokratie mit so großen Namen wie Pepoli, Bentivoglio etc., die ihre Stammbäume bis in die ältesten Zeiten der Longobarden zurückführt, die in den frühesten Kämpfen der Welfen und Ghibellinen, der Geremei und Lambertazzi eine Rolle spielt, konnte sich nach dem Falle Bologna’s und dem Verfalle Italiens nicht entschließen, von ihrem Piedestale herabzusteigen. Ihre Söhne hatten diese Stadt oft unumschränkt beherrscht, wie sollten sie jetzt ruhige Bürger und nützliche Menschen werden? Die Paläste, obwohl sie verfallen und zum Theile öde stehen, die unzähligen Thürme, von denen aus sie einander bekriegten und die über die Stadt drohen, wie aufgehobene Arme, obwohl sie heute Ruinen gleichen, erinnerten sie allzulange an die entschwundene Größe. Im Kriegsdienste des Papstes mit dem Schlüssel auf der Uniform war nicht viel Ruhm und Ehre zu holen, so blieben sie daheim und lebten von einem Tage zum andern von den Resten der Besitzthümer ihrer Ahnen und von schalen Erinnerungen. Die Besitzthümer verfielen, die Renten verschwanden, aber der Müßiggang blieb, und mancher Träger großen Namens lebt so fort von dem Miethzins, den ihm ein noch halb und halb bewohnbarer Theil seines großen Palastes abwirft, oder von der Villa, deren prächtiger Garten in einen Gemüsegarten oder in Ackerland verwandelt und verpachtet wurde. Hätte die päpstliche Regierung irgend welche Bildung oder Unterricht aufkommen lassen, hätten Gesetze und Zustände nicht die hiesige Jugend vom Rest der Welt abgeschnitten: in mancher jungen Seele wäre wohl mit der Erinnerung an alte Zeiten und mit den Pflichten, die diese auferlegt, ein neues Streben erwacht; so aber erstarben alle Keime in Herz und Geist, und was aufwuchs, war Müßiggang.

Dem Adel wie dem strebsamen Bürgerlichen waren auch alle Staatsämter verschlossen, da diese nur mit geweihten Häuptern, nur vom Clerus besetzt wurden, und so lagen, dem Staate gegenüber, bürgerlicher und adliger Geist gleich einem Brachfelde da, und die Unfruchtbarkeit solchen Lebens war durch das Dasein und Beispiel der Canonicate und zahllosen Klöster sanctionirt und vom Staate gern gesehen. Der Bürgerliche hätte sich in moderner Zeit wohl aufgerafft, wie in andern Ländern, wenn unter pontificalen Zuständen an ein modernes Regen, an Handel und Industrie zu denken gewesen wäre. Das Land, das ein Garten Gottes und von einem bis acht Fuß dicken fruchtbaren Humus bedeckt ist, bringt gerade so viel hervor, als der Bewohner braucht, um zu leben; denn warum sollte er sich um mehr bemühen, da er mit dem Producte nichts anzufangen weiß, da es ihm an Märkten und Verbindungswegen fehlt und da das rohe Material zu Hause nicht verarbeitet wird? Die Hauptproducte des Landes, welche allein es bereichern könnten, sind Flachs und Seide, und siehe da, es besteht in der Romagna nicht eine einzige Spinnerei, geschweige eine Weberei! Die Ausfuhr dieser Producte und einigen Weines bringt einen gewissen Geldverkehr hervor, der in Bologna mehrere reiche Banquierhäuser geschaffen. Aber die Sache ist so einfach, die Beschäftigung ist so gering, daß der Banquiersohn und Commis mit einer und zwei Stunden Arbeit des Tages hinlänglich auskommt, und da er hier, wie überall, gern den Patrizier nachahmt, vermehrt er das große Contingent der Müßiggänger, und so entsteht das faule Heer, als dessen Eigenthum wir die alte Stadt bezeichnet haben.

Das Leben eines solchen noblen Lazzarone ist sehr einfach und einförmig, ob er nun große oder kleine Renten habe. Er erhebt sich gegen zehn Uhr aus dem Bette, wäscht sich wenig oder gar nicht, wirft einige Fetzen um und geht in der nachlässigsten Toilette von der Welt zum Friseur. Er hat sich beim Friseur nicht zu geniren; dieser ist sein Freund, sein Vertrauter; die Boutique ist seine Heimath, und die er dort findet, sehen so aus wie er und sind wie er. Der Friseur ist der Angel- und Mittelpunkt des Faulenzerlebens. Er hat gestern Abend so und so viel Damen frisirt, mit so und so vielen Kammerkatzen geplaudert; er hat heute Morgen schon so viele Köpfe unter seiner Hand gehabt und er weiß Alles, was in Bologna und Umgegend, vielleicht was in Rom und Paris vorgeht und vorgehen wird, und er hat die Gabe, sich lebhaft und verständlich mitzutheilen. Seine Zunge ist in fortwährender Bewegung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_078.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)