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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Und weiter und weiter führt uns der schaukelnde Trab unseres Reitthieres: Moscheen und Brunnen, Basare und Kaufhallen, Kaufhäuser und Bäder, wunderbare Erkergitter und unbeschreibbare Bogenthore erscheinen und verschwinden uns. Die Vertreter von allerlei Volk ziehen an uns vorüber, wie Traumgestalten. Helle wechselt mit Dunkel, Schatten mit sonnigem Licht. Es ist unmöglich, Alles zu betrachten, alle Schönheiten herauszufinden, alle Wunder zu entdecken; denn die Fülle von Dem, was das Auge fesselt, ist gar zu groß. Da öffnet sich endlich der Blick; die Straße hat uns auf den Platz el Rumelie geführt, welcher von malerischen, zum Theil halbzerfallenen Prachtgebäuden umgeben und stets von nicht minder anziehenden Menschengruppen belagert ist. Von hier aus führt eine breite, festgestampfte Straße in Bogen zu dem Thore der Veste hinan.

Innerhalb der Mauern dieser Veste „durchirrt der Fremdling mit beängstigtem Herzen und zögerndem Fuße Ruinen und Neubauten, Schutthaufen und Prachtpaläste; hier sieht er Felsenbrunnen, die bis zum Nilspiegel herabreichen, und Minarets, welche sich in den Wolken zu verlieren scheinen und wie ungeheuere Leuchter um das Heiligthum der Kuppel gestellt sind“; hier glaubt er den Klagelaut umgebrachter Frauen und das Wuthröcheln meuchlings gemordeter Männer und selbst in den Tönen des Soht noch geisterhafte Klänge zu hören.

Aber nicht die Veste soll unsere Seele gefangen nehmen und fesseln, in die Ferne soll sie schweifen auf golden und silbern schimmernden Wegen. Treten wir auf einen der Strebepfeiler über die Festungsmauer hinaus, und schauen wir auf das sich unten ausbreitende Gemälde, bis die Seele trunken geworden ist und Gedichte uns im Herzen keimen, zu denen wir nur weder die Worte noch die Reimesblüthen finden können.

Gerade unter uns, vor uns und neben uns breitet sich die Stadt mit ihren vierhundert Moscheen und wohl sechshundert schlanken, zwei- oder mehrfach gegürteten Thürmen, eine wirre, gestaltenreiche Häusermasse, lebendig, tausendfarbig im Lichte der Nachmittagssonne erscheinend, von ihren Vorstädten umlagert, wie eine gütige Mutter von lieblichen Kindern. Ein grüner Saum von Palmenkronen schließt sie ein; hier und da tritt auch ein frischer Palmenhain in das wirre Häusermeer selbst herein. Dann folgt ein weites, in der Fülle des wasserreichen Südens schwelgendes Land, auf welchem das Grün alle nur denkbaren Schattirungen zu einem Wunderteppich zusammengewebt hat, von welchem sich Häuser und Mauern, wüste Plätze und silberne Wasseradern wie eingestickte Bilder abtrennen. „Im Südwesten nun führt die Wasserleitung des Nils Fluthen in das Land; und majestätisch treibt der geheimnißvolle, zur Gottheit erhobene Strom seine Wogen der Insel Rodah entgegen, welche wie ein grünes Bollwerk und Wehr oder wie eine schwimmende Opfergabe von Blumen und Früchten der alten Khahira entgegenduftet. Dem paradiesischen Eilande schließen sich die Pflanzungen Ibrahim-Pascha’s in Fostat an: aber in dem ungeheuren Prachtbilde erscheinen diese grünen Massen nur wie ein Smaragd auf dem flüssigen Silber des segenspendenden Stromes, welcher, gleichsam einem unbekannten Nichts entquollen, sich wiederum in’s Nichts zurückwandeln muß. Aber an seinen vorübereilenden, sich ewig bildenden und ewig verschwindenden Wogen stehen als Gegensatz im fortwährenden Strom der Zeiten, die in’s Meer der Ewigkeit münden, die in vollem Sonnenlichte marmorweiß schimmernden Pyramiden massenfest wie der Felsen, auf dem sie fußen.“ Und hinter ihnen dehnt sich nun wieder ohne Ende die Wüste, vor deren verderbendem Flugsande sie das in aller Farbenpracht glühende Mittelbild schützen sollen und schützen.

Da steht man fest im Anschauen und vergißt des Ortes und der Zeit. Stunde auf Stunde entrollt; die Sonne neigt sich zum Schlafengehen. Goldner werden ihre Strahlen, purpurner färbt sich ihr Duft. Neuer Glanz, neue Farben treten zu den alten. Die Stadt kleidet sich in ein wunderbares Festgewand, die Palmen trennen sich schärfer von dem goldenen Grunde. Wie Abendroth leuchtet der Strom, ein Abglanz des Paradieses legt sich auf Fruchtfeld und Wüste. Funkelnde Lichter werden wach, tiefdunkle Schatten heben sie nur um so schärfer hervor. Allgemach senkt sich der Abend auf die Tiefe. Häuser und Kuppeln und Thürme verschleiern sich langsam und leise. Schon berührt der untere Rand der Sonnenscheibe den Wüstensand. Nur die Zinnen des Gebirges und die höchsten Spitzen der Minarets funkeln und glänzen noch im vollen Sonnenlichte; die vergoldeten Halbmonde auf den Thürmen schimmern wie ihr Urbild am Himmel. Tiefer senkt sich die Sonne, mehr und mehr verschwimmt die Ferne. Jetzt ist sie verschwunden, und in demselben Augenblicke ertönt von oben herab der Gesang des Muëddihn. Wie eine Stimme aus der Höhe erklingen die Worte, welche zum Gebet mahnen – auch in dem Herzen des Hörers klingen sie wieder. Mag er beten, in welcher Sprache und in welcher Weise er will, mögen ihm Worte zu Gebeten werden, oder mag ihm das Erschauete wie ein großes goldenes Buch erscheinen, in welchem er Gebete liest, ohne es zu wissen: die Stimmung seiner Seele ist die, welche ein Gebet hervorruft. Und wenn dann der Gesang des Mahners schon lange verklungen, wenn unten der Schimmer der Dämmerung, der Glanz dem Nebel wich, wenn der Strom seine Dünste entsendet, wie Rauch, wenn die Palmen mit dem Hauche der Nacht zu flüstern beginnen, und die Menschenkinder da unten stiller werden und ihren Häusern zuwandeln: da klingt und wogt es noch immer im Herzen wie Musik – und Klang und Farbe verschmelzen in Einem, daß man sie nimmer zu trennen weiß, so groß ist der Einhall. Aber wie in den bewahrenden Porphyr der altegyptischen Tempel der Meisel Bilder eingrub für alle Zeiten und alle Völker, so hat sich die zaubervolle Wunderstadt fest eingegraben im Herzen, und noch nach Jahren klingt dem Beschauer der Name wie eine tonreiche Weise, erscheint ihm das wunderbare Bild klar und fest, wie die Pyramiden, die Sinnbilder des Gedankens: Auch schon hienieden kann und darf es Unwandelbares geben!!




Die fliegenden Drachen der Vorwelt.
Von Prof. Dr. C. Giebel.

Alles, was der Urwelt angehört, muß wunderbar sein, mag es nun durch die Ungeheuerlichkeit seiner Größe und Masse oder durch die Seltsamkeit und Absonderlichkeit seiner Gestalt zum Wunder gestempelt sein. Wir nehmen das ohne Weiteres an, warum? – Weil die Urwelt räumlich und zeitlich unsern sinnlichen Augen entrückt, im tiefsten Dunkel des fernsten Alterthums gelegen ist, wohin nur die Phantasie, nicht der Blick reicht. Die Phantasie malt uns jene längst untergegangenen Wundergestalten mit den lebhaftesten Farben, wir sehen sie fast leibhaftig vor uns, die scheußlichen Drachengestalten des Uroceanes, der Urwälder und der Urlüfte, und können uns eines gewissen Grauens nicht erwehren, bei dem Gedanken, daß solche gräßlichen Ungeheuer einst den friedlichen Erdboden bevölkert haben sollen. In der That, was die glühendste Phantasie Ungeheuerliches, Grauen und Schauder Erregendes für die thierische Gestalt ersinnen konnte, das bürdete sie gerade den Drachen der Vorwelt auf. Aber nunmehr sind die Zeiten vorüber, in welchen die Phantasie allein die Wunder der Urwelt vorführt; die ruhige und sichere Methode der paläontologischen (urweltkundlichen) Forschung hat bereits all’ jene Wunder verscheucht und auf das Überzeugendste dargethan, daß die Pflanzen und Thiere, welche in den fernsten Schöpfungsperioden den Erdboden belebten, nach demselben Organisationsplane geschaffen waren, wie die heutigen, daß die vorweltlichen Thiere in keiner Weise und nach keiner Seite hin wunderbarer gestaltet waren, als die gegenwärtig lebenden. Zwar sind uns von den allermeisten Geschöpfen der Urwelt nur einzelne, mehr oder minder vollständige Körpertheile aufbewahrt und die ganze Gestalt, sowie Lebensweise und Naturell sind unserer unmittelbaren Beobachtung entzogen, allein die Thiere sind ja nach den strengsten, nach unabänderlichen und ewigen Gesetzen organisirt, und in ihrem Plane herrscht eine Einheit und Harmonie, welche uns befähigt, aus einem einzigen Körpertheile, aus einem Knochen, einem Zahne, einer Schuppe, einem Muschelstück, das ganze Thier und auch wie es lebte und waltete, zu ermitteln.

Die Paläontologie (Urweltkunde) hat die Aufgabe, aus den vereinzelten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_071.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)