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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

beisammen, als vom Kirchthurme aus der Tiefe herauf die elfte Stunde schlug. Da kam Leben in die unheimliche Gesellschaft, und bald bewegte sie sich wie ein dunkler Knäuel gegen den Hügelabhang vorwärts.

Da blitzten plötzlich ringsum verborgen gehaltene Fackeln und Lichter empor, und von allen Seiten scholl den Räubern ein drohendes Halt entgegen. „Teufel, wir sind verrathen!“ schrie der Anführer mit der schwarzen Maske und dem bekannten rothen Bart. „Schlagt Euch durch, Buben! Haut die Schergenknechte zusammen !“ Instinctmäßig folgten die Männer und drangen auf ihre Gegner mit den Beilen, womit sie bewaffnet waren, ein, auch einzelne ziellose Flintenschüsse krachten, aber die militairisch geleiteten Angreifer hatten sich so schnell im Kreise geordnet und zusammengezogen, daß ihnen von allen Seiten eine undurchdringliche Reihe von Bajonneten entgegenstarrte. Heulend warfen einige der Männer die Waffen weg, fielen in die Kniee und schrien in verzweifelnder Entmuthigung um Gnade, andre drangen auf die Soldaten ein und suchten einen blutigen Ausweg zu erzwingen, aber die Uebermacht war zu groß, und schwer verwundet mußten sie bald von dem vergeblichen Versuche ablassen. Zu den Letztern gehörte der Anführer der Bande, der sich mit solcher Wuth auf die Feinde stürzte, als könne er es nicht ertragen, ihnen lebendig in die Hände zu fallen, und suche den Tod. Diese aber, ihres Fanges sicher, schonten ihn sichtbar und trachteten, ihn lebend und unversehrt der Gerechtigkeit zu überliefern. Endlich gelang es ihnen auch, ihn unter wuthschäumenden Flüchen und Lästerungen nieder zu ringen und zu binden.

Der Ueberfall war vollständig gelungen, acht Räuber mit dem rothen Hannickel lagen geknebelt am Boden, von den Gerichtsdienern mit gezogenen Säbeln bewacht, während die Soldaten die Gewehre zusammenlehnten und die Ankunft der Wagen zum Transport der Gefangenen abwarteten.

Der Assessor, welcher mit dem Hauptmanne das Ganze geleitet hatte, begann indeß seine richterliche Thätigkeit, indem er in einer nahe gelegenen Streuhütte den Vorfall zu Protokoll nahm und die Persönlichkeit der einzelnen Räuber feststellen ließ. Die meisten waren Bauernbursche aus den anliegenden Gerichtsbezirken, vielfach nicht zum Besten bekannt, einzelne auch von tadellosem Ruf. Zuletzt ward auch dem Anführer der rothe Bart und die Maske abgenommen, und wenn noch ein Zweifel möglich gewesen, ob darunter wirklich die schöne Huberin verborgen sein könne, so war er jetzt gelöst.

Totesbleich stand sie da, aber aufrecht und keck wie immer, und ihre funkelnden Augen machten mit dem Ausdrucke des wildesten Hasses die Runde unter den Umstehenden. Auch Rosel war darunter, denn da das Gericht nothwendig ihre Anzeige prüfen mußte, hatte man sich ihrer Person versichert und sie zu dem nächtlichen Streifzug mitgenommen.

„Also Dir hab’ ich’s zu verdanken!“ knirschte die Huberin, als sie das Mädchen erblickte, „jetzt begreif’ ich Alles – aber es geschieht mir ganz recht, warum hab’ ich mich auf den Weiberlapp von einem Burschen verlassen!“

„Das brave Mädchen,“ sagte der Beamte mit gebieterischer Würde, „hat seine traurige Schuldigkeit gewissenhaft gethan, und Ihr seht, daß ich doch Recht hatte, als ich vor ein paar Tagen Euch zurief, es sei nichts so fein gesponnen, es kommt an die Sonnen.“

Trotzig schwieg das Weib und ließ sich abführen, als die Wagen angekommen waren, sie mit ihren Genossen in’s Gefängniß zu bringen.

Als der Zug das nächste Dorf erreicht hatte, strömte ihm, obwohl noch kaum der Morgen graute, Alt und Jung daraus entgegen; als die Wagen geholt worden waren, hatte sich das Gerücht verbreitet, der rothe Hannickel und seine ganze Bande sei gefangen, die schöne Huberin sei der Räuberhauptmann gewesen, und so gerieth wie bei einem plötzlich entstandenen Brande das Dorf und bald die ganze Umgegend in Allarm. Wüthend drängte sich das Landvolk in dichten Schaaren um die Wagen, Drohungen und Verwünschungen erschallten von allen Seiten, und hätte nicht die Escorte von Soldaten sie umgeben, so wäre sicher wenigstens die schöne Huberin das Opfer der allgemeinen Erbitterung geworden. Sie aber blickte kalt und lachend auf die tobende Menge hin, und der in jeder Ortschaft sich steigernde und wiederholende Empfang schien ihrem wilden Stolze zu schmeicheln.

Allmählich und bei anbrechendem Morgen kam man dem Huberhofe näher, und es mochten wohl Empfindungen eigener Art sein, welche die Gefangene ergriffen, als das schöne Besitzthum so stattlich und friedlich herniedersah; sie schien einen Augenblick erschüttert, aber auch nur einen Augenblick, dann wandte sie sich ab – ihr scharfes Auge hatte schnell auch dort die bunten Farben von Uniformen und das Blitzen von Gewehren bemerkt.

Während der Streifzug zur Aufhebung der Bande abgegangen war, hatte gleichzeitig eine Abtheilung den Huberhof umstellt und verlangte Einlaß. Das ganze Haus wurde durchsucht, aber nichts Auffallendes gefunden, als die verborgen in den Heuboden eingebaute Kammer, welche durch den Wandkasten in die obere Stube führte. Wahrscheinlich wurde sie in der Regel als Versteck der Waffen, Masken und der Beute benutzt, doch wurde nicht das Kleinste vorgefunden, was den Verdacht bestätigen konnte, das Nest war vollständig ausgeräumt. Dagegen ergab die Durchsuchung etwas, was man nicht vermuthet hatte, denn die sinnlose Gewissensangst Pauls und der Schrecken des Bauers, als sie die Gerichts-Personen erblickten, führten zur Entdeckung des an Hans verübten Mordes. Der hier thätige Beamte säumte nicht, ihre Bekenntnisse festzuhalten und in ihrer Begleitung die Ausgrabung der Leiche vorzunehmen.

Vom Walde mit den beiden Gefangenen zurückkehrend, begegnete der Zug der großen militairischen Escorte mit der Huberin und den übrigen Räubern. Paul lag halb bewußtlos auf dem Wagen, der Bauer stierte stumm auf seine kettenbelasteten Hände – die Bäuerin richtete nicht einen Blick auf sie. Sie sah, daß Alles entdeckt war, und dachte nur darauf, wie es möglich sein konnte, der Untersuchung und Strafe zu entgehen. Ohne ein Zeichen innerer Erregung, fest und kalt sah sie auf die Volksmenge, die sich in dem Städtchen vor dem Gefängnisse, Kopf an Kopf drängte – sie schien es gar nicht zu bemerken, als ihr am Eingange desselben der große Gerichtsdiener mit grimmig aufgedrehtem Schnurrbarte entgegentrat und ihr höhnisch zurief: „Ei, ei, steht der Frau Huberin jetzt die Nase nicht mehr zu hoch, daß sie in’s Amthaus, kommt zu den Schergen und Spitzbuben?“

Tags darauf wurde Hans auf dem nächsten Dorfkirchhofe begraben, unter ungeheurem Zulauf und, zu Rosels größtem Trost, mit kirchlichen Ehren. Alle ihre Angaben bei Gericht hatten sich so vollkommen als wahr erwiesen, daß man ihr auch Glauben schenkte, daß Hans die Absicht gehabt habe, sich dem Gericht zu stellen, und daß er also als ein Bereuender hinüber gegangen war.

Rosel hatte vom ersten Augenblicke an gefürchtet, daß es Hans durch die Bäuerin unmöglich gemacht worden war, zu kommen; die Bestätigung hatte sie daher zwar tief erschüttert, aber nicht gebrochen. Es lag sogar etwas Beruhigendes in dem Gedanken, daß ihn der Tod mitten in guten Vorsätzen ereilt hatte und daß er aller irdischen Schande und Strafe entzogen sei. Sie hatte sich ausgeweint und folgte ihm thränenlos zum Grabe, und kniete noch lange betend an demselben, als alle Begleiter den Kirchhof verlassen hatten. Dann ging sie gefaßt hinweg nach dem Brandlgute, packte ihre Sachen zusammen und nahm Abschied von den alten Leuten, denen sie so lieb geworden war. Sie wollte nicht in der Gegend bleiben, wo alle Augen auf sie gerichtet waren und wo Alles ihr so bittere Erinnerungen hervorrief. Standhaft und mit einer Art Entrüstung hatte sie auch jede Belohnung ausgeschlagen, die ihr dafür geboten worden war, daß sie die Entdeckung und Gefangennehmung der Räuber veranlaßt und möglich gemacht hatte. Ohne ihren rasch ausgeführten Entschluß, den Bestellungszettel selbst an das Marterstöckl zu heften, wäre Beides, oder doch die Ueberführung viel schwieriger, wo nicht unmöglich gewesen.

„Haltet mich nicht auf und red’t mir nicht zu,“ sagte sie, indem sie sich anschickte, zu gehen, „es ist besser so. Ich geh’ hinein in’s Gebirg’, wo mich Niemand kennt, und wenn Ihr mir eine Freundschaft thun wollt, so gebt manchmal dem Grab von mein’ guten Mutterl ein Weihwasser, bet’t ein Vaterunser davor und auch vor dem andern Grab … Ihr wißt schon, was ich mein’!“

– Innerhalb der Mauern des Gefängnisses begann nun das damals noch in dieses Geheimniß gehüllte Werk der Untersuchung, draußen war die Bewegung in einigen Monaten verhallt, man erfreute sich der wiedergekehrten Ruhe und Sicherheit und erzählte sich bald das Geschehene mit allerlei Ausschmückungen, wie der Aberglaube und der romantische Sinn des Volkes sie erzeugte und liebte. Es gab Viele, die es sich nicht nehmen ließen, daß die schöne Huberin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_067.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)