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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 5. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Huberbäuerin.
Von Herrm. Schmid.
(Schluß.)
7.

Hastig wie ein verscheuchter Vogel strich Paul querfeldein durch Thau und Gras. Es war die erste Stunde des erwachten Morgens; sein Bote, ein frischer Luftzug, rauschte durch die Haselbüsche am Wege und schüttelte brausend die Tannenwipfel des Waldes, in dem das Blut des Ermordeten noch warm zum Himmel rauchte. Der Morgen wurde immer glorienhafter, aber Paul sah nichts von aller Schönheit der wieder auflebenden Natur; seine Seele war außer dem mechanisch forteilenden Körper von Entsetzen geschüttelt, erschreckt von dem rauhen Schrei eines aufflatternden Raben, gescheucht von dem Rauschen der Zweige, das ihm klang wie das letzte Röcheln aus der Brust seines Opfers.

Auch jetzt erwartete ihn die Huberbäuerin. Sie hatte sich nach dem Schusse ganz befriedigt noch zur Ruhe gelegt, allein nur der kräftige Körper sank in Schlaf, die Seele blieb stürmisch bewegt und warf wilde blutige Bilder wirr und entsetzlich durcheinander. Stöhnend und schreckhaft sprang sie empor, denn es war ihr vorgekommen, als stehe Hans vor ihr, blutend, verwundet, aber nicht todt und hätte drohend die Hand gegen sie erhoben. Fieberisch strich sie die losgegangenen Flechten des reichen schwarzen Haares von der Stirn zurück und fühlte sich zum ersten Male in ihrem Leben von den Zwangschrauben der Angst gefaßt. – Wenn Paul ihn gefehlt oder nur verwundet hatte, dann war sie verloren, dann hatte sie von seiner Rache Alles zu fürchten!

Schon begann es im Haus sich zu regen, da sah sie Paul über das Feld herankommen. Rasch eilte sie ihm entgegen, nur nothdürftig gekleidet, damit er Niemand vor ihr begegne, damit Niemand irgend einen Argwohn schöpfe. Mehr todt als lebend wankte der Bursche heran – nicht mehr das Bild voller blühender Jugend, wie noch gestern, nein, eine von wenigen Stunden verwüstete und gezeichnete Jammergestalt.

„Nun,“ rief sie ihm mit rohem Scherz entgegen, der auch darauf berechnet war, ein allenfalls verborgenes Lauscher-Ohr zu täuschen, „nun, ist’s jetzt die Zeit, heimzugehn? Dir sieht man ja die Freinacht auf zehn Schritt’ an … ist der Tanz endlich einmal aus?“

„Es ist Alles aus,“ sagte der Burschen und die Bäuerin athmete hoch auf, als wenn ihr eine Centnerlast von der Brust genommen wäre. „Du bist ja ganz verwirrt,“ sagte sie dann leiser, indem sie mit ihm in’s Haus trat. „Nimm Dich zusammen, es ist jetzt einmal nicht anders, also laß Dir nichts anmerken! Bis morgen ist’s überstanden, und Du denkst nimmer dran. Aber jetzt leg’ Dich nieder und schlaf. Du kannst den ganzen Tag liegen bleiben, daß Du Dich ganz erholst. Später kommst Du dann zu mir, wie gestern, und erzählst mir erst genau, wie Alles gegangen ist … oder reut’s Dich etwa schon, was Du mir versprochen hast? Hast schon vergessen, was ich gethan hab’ für Dich …“

„Ich will mich niederlegen,“ erwiderte Paul, „vielleicht vergeht mir dann der Zustand! Mir ist, als wenn mir das Blut den Kopf zersprengen wollt’! Ich komm’ dann …“

„Halt,“ rief ihm die Bäuerin nach, als er gehen wollte, „noch Eins! Du hast ihn doch …?“ fragte sie mit einer ausdrucksvollen Handbewegung, die das Einscharren des Leichnams bedeutete.

„Nicht?“ schrie sie entsetzt, als Paul stumm verneinte. „Du hast den Todten liegen lassen? So wird er gefunden, und wir sind miteinander verloren!“

„Ich hab’ ihn in’s Gebüsch hineingezogen, wo das Steingeröll ist,“ erwiderte düster der Mörder, „da findet ihn so leicht Niemand!“

„Die Jäger mit ihren Spürhunden kommen überall hin, die finden ihn, eh’ der Tag vergeht! Nein, das ist nichts, Du mußt nochmals hinaus und mußt ihn verscharren, so tief es geht!“

„Das kann ich nicht!“ rief Paul mit einer abwehrenden Gebehrde des Entsetzens und bebend vor tiefem innerlichen Schauder … „ich geh’ nicht wieder hin!“

„Und warum nicht?“

„Ich kann nicht,“ wiederholte Jener, „er ist auf den Schuß zusammengestürzt wie ein Stück Holz und hat keinen Laut mehr von sich gegeben – nur ein paarmal gestreckt hat er sich und mit der Hand in die Luft gegriffen. Wie er sich dann nicht mehr rührte, bin ich hinzugeschlichen und hab’ ihn hereingezogen vom Gangsteig weg in’s Gebüsch und hab’ das Blut am Platz zugedeckt mit Erde und Blättern. Dann hab’ ich ein tiefes Loch gegraben … aber ich hab’ ihn nicht hineinlegen können, denn wie ich wieder hinzuging, da war’s schon so dämmrig hell geworden, daß man wohl was unterscheiden konnte … Da ist er dagelegen mit weit offenen Augen … und die haben so fest hingeschaut auf mich … es kam mir vor, als wenn er anfangen wollt’ zu reden und sich wieder zu rühren … Da – da hab’ ich Alles hingeworfen und bin davongelaufen … und dahin, nein, um Alles in der Welt geh’ ich nicht wieder!“

Die Bäuerin sah ihn kopfschüttelnd an, und ein höhnisches Lächeln zuckte um ihren Mund. „Ihr seid mir saubere Leut’, Ihr Mannsbilder,“ sagte sie, „auf Euch kann man sich verlassen! Aber geh’ nur, ich seh’ wohl, daß Du nit kannst … leg’ Dich nieder und schau’, ob Du bis auf die Nacht Deine fünf Sinn’

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_065.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)