Seite:Die Gartenlaube (1860) 053.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Des Künstlers erster Kranz.

In dem nahe bei Gotha gelegenen Dörfchen Siebeleben pflegte sich bei schönem Wetter eine Gesellschaft von Künstlern zu versammeln, um unter den schattigen Bäumen des Parkes die Aussicht auf den Thüringerwald zu genießen und die Stunden durch heitere und ernste Gespräche zu kürzen. An ihrer Spitze stand der würdige Veteran und Mitdirector des Gothaer Hoftheaters, Herr Konrad Eckhof, der Vater des deutschen Schauspiels, der durch sein Genie und sein unablässiges Bemühn, wie durch strenge Sittlichkeit die versunkene Bühne zu einer nie geahnten Höhe gehoben und eine neue Aera für das deutsche Theater herbeigeführt hatte. Um den alten Meister schaarten sich seine strebsamen Jünger, der gewissenhafte Iffland, der geniale, schwermüthige Beil, der liebenswürdige Beck und noch manche frische Kraft, den Worten eines solchen Lehrers lauschend. Sein Lob war ihr höchster Triumph; doch selbst sein Tadel verletzte nicht, weil er wie ein Vater nur das Beste seiner Kinder wollte, wie er die ihm treu ergebene Schaar zu nennen pflegte. –

Alle Anwesenden waren von derselben Liebe zur Kunst beseelt; sie bildete den Mittelpunkt ihrer Unterhaltung. Hier wurden bei einem Glase Bier oder, wenn es hoch kam, bei einer dampfenden Punschbowle die Leistungen der einzelnen Mitglieder einer gründlichen und stets gerechten Kritik unterworfen, die Schönheiten der Dichtung hervorgehoben und über die Auffassung der verschiedenen Charaktere hin und her gestritten. Der alte Eckhof sorgte dafür, daß die Debatte nie zu heftig wurde, und dämpfte durch die Würde und Erfahrung des Alters die Hitze und den Ungestüm der feurigen Jugend.

Es war eine schöne Zeit für sämmtliche Betheiligte, unvergeßliche Abende voll Erhebung und Begeisterung.

So saßen die Freunde wieder eines Tages versammelt, auf ihren Gesichtern lagerte ein feierlicher Ernst. Der würdige Meister hielt in seinen Händen einen frischen Lorbeerkranz, womit er nach einstimmigem Beschlusse das Haupt des bescheidenen Beck für sein ausgezeichnetes Spiel bei der gestrigen Aufführung der „Emilia Galotti“ zu krönen gedachte.

„Nimm,“ sagte der greise Eckhof, „den wohlverdienten Kranz, den Dir Deine Kunstgenossen zuerkennen. Hätte Dich mein unsterblicher Freund, der große Lessing , in der Rolle des „Prinzen“ gesehen, so würde er Dich wie wir bewundert haben. Leider fehlt mir seine Wundergabe, meine Gedanken in Worte zu kleiden, meinen Empfindungen den richtigen Ausdruck zu verleihen. Darum mußt Du Dich mit diesem Zeichen unserer Anerkennung begnügen. Ich schmücke damit Deine jugendliche Stirn und rufe laut: Es lebe unser Beck!“

„Es lebe unser Beck!“ wiederholte mit neidloser Begeisterung der Künstlerchor.

Als aber Eckhof dem überraschten Jüngling den Kranz auf das Haupt setzen wollte, wehrte dieser mit Entschiedenheit, ja mit Heftigkeit die ihm zugedachte Ehre ab.

„Fort mit dem Kranze!“ rief er entsetzt. „Ich kann ihn nicht sehen!“

Seine Wangen waren bleich, seine Stimme zitterte, so daß Eckhof und die Freunde ihn erschrocken anstarrten.

„Was fehlt Dir?“ fragte nach einer Pause der würdige Meister. „Warum verschmähst Du den Lorbeer, welchen Dir Deine Collegen durch mich überreichen? Dies Uebermaß von Bescheidenheit ist, wie mir scheint, hier nicht angebracht. Du beleidigst uns, indem Du unsere wohlgemeinte Anerkennung zurückweisest.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_053.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)