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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

einfache Mittel, Sie aus dieser Verlegenheit zu befreien: eins, daß Sie mir Ihre Hand reichen, erwartet die Welt, aber Sie werden sich hüten, es anzuwenden; das andere kann ich noch heute erfüllen, ich reise und sterbe fern von Ihnen.“

„Ich zuckte mit der Schulter – „Sterben!“

„Sie zweifeln auch daran?“ Und er neigte ein wenig den Kopf. „Ich muß es ertragen; ist Ihnen ja meine Liebe selber nur eine Speculation auf Ihren Reichthum … in einem Monat werden Sie anders von mir denken, damit adieu, schöne Cousine!“

„Wie er mir darauf mit einem unaussprechlich rührenden Blick die Hand reichte, ergriff mich selbst ein heftigen Zittern.

„Sie sind ein Thor, Clemens,“ sagte ich, mich zu einem Scherz zwingend, „dies wird nicht unser letztes Lebewohl vor Ihrer großen Reise sein, ich sehe Sie noch, ehe Sie zu den Schatten hinabsteigen.“

„Er lächelte nur und ging. Mein Herz ward schwer, wie von dem Gewicht einer unermeßlichen Schuld. Du jagst ihn in den Tod! klang es beständig um mich her. Sobald ich nicht mehr den Ton seiner Stimme vernahm, milderte sich meine Abneigung gegen ihn, erschien er mir nur als ein Unglücklicher, als ein Mann, der mich liebte und dem ich viel, beinahe Alles geraubt. Was man fürchtet, daran stirbt man, ist ein altes Wort. Mir erging es ähnlich mit Clemens. Eine schreckenvolle Unruhe peinigte mich den ganzen nächsten Tag, die wildesten Phantasien stürmten durch meinen Kopf, tausend Schattenbilder verfolgten mich … ich dachte an Sie, an ihn, ich hatte Sie Beide in’s Verderben gestürzt. Spät Abends, ich hatte eben meinem Mädchen gerufen, mich zu entkleiden, fuhr ein Reisewagen vor das Schloß – Clemens ließ sich anmelden. Ich war wahnsinnig, daß ich ihn nicht zurückwies.

„So kam er zu mir; ich hatte mich fröstelnd in einen großen rothen Shawl gehüllt und lag zum erstenmal im Leben furchtsam wie ein Kind in die Ecke des Sopha’s gedrückt. „Also doch, Clemens,“ sagte ich zu ihm, „Sie wollen fort?“

„Ich muß, Cousine, wenn ich hier stürbe und es hieße, die Verzweiflung hätte mich getödtet, würden Sie mich noch im Tode hassen.“

„Dies schien mir die Komödie doch zu weit gespielt,ich raffte mich auf: „Die Welt ist weit, ich hindere Sie nicht, sich den schönsten Ort zum Sterben auszuwählen, nur möchte ich dafür eine schlechte Rathgeberin sein.“

„Lassen Sie nur,“ sagte er ruhig, „die Sorge ist mein. Ich bin auch nicht deshalb gekommen, ich will Sie bitten, mir einen Liebesdienst zu erweisen, im Fall sich meine Reise verlängern sollte. Es ist möglich, daß mein Freund Bruno Berghaupt“ – ein Schrei entfuhr mir, ich hing an seinen Lippen – „vor mir heimkehrt, ich möchte nicht, daß die Briefe, die er mir geschrieben, in fremde Hände fielen; er selbst, wenn er noch lebt, wird sie aus keiner andern lieber empfangen, als aus der Ihrigen.“

„Damit legte er ein versiegeltes Packet in meine ausgestreckte, zitternde Hand. „Wenn er noch lebt?“ fragte ich tonlos, ganz gebrochen.

„Ich vernahm so lange nichts von ihm; vielleicht sind Sie glücklicher, Cousine.“

„Ich – und Herr Bruno –“

„Ja, Sie und er! Soll ich denn den Schleier von Ihrem Herzen reißen und Ihnen sagen, daß Sie ihn geliebt haben und noch lieben, daß nur er mich von Ihnen drängt?“

„Ich sank auf die Kniee nieder, ich verbarg meinen Kopf in den Falten des Tuches, dieses Wort durchbohrte mich wie ein Dolch. „Er weiß es, er weiß es!“ schluchzte ich. Meines Lebens Geheimniß auf der Zunge meines Feindes – und nun mußte er auch wissen, daß ich mich umsonst in Liebesqualen verzehrt, daß ich verschmäht worden!

„Er wollte mich aufrichten, ich wehrte ihn trotzig ab.

„Leben Sie denn wohl, Cousine; das Theuerste, was ich besitze, mag Sie mir versöhnen – sein Bild!“

„Ich hörte, wie er ein Medaillon auf den Tisch niederlegte, einer Rasenden gleich sprang ich auf. – „Sein Bild!“ und mit zorniger Hand warf ich es vom Tisch und zertrat es auf den Boden stampfend. Ohnmächtig wäre ich niedergestürzt, hätte er mich nicht in seinen Armen gehalten – und nun rief das Geräusch, der Sturz einer Blumenvase, die ich niederriß, meine Frauen herbei – sie fanden mich an seiner Brust. Während sie um mich beschäftigt waren, wollte er gehen, ich faßte krampfhaft seinen Arm, meine Lippen bebten so vor Zorn wie im Schmerz: „Sie werden nicht reisen, Clemens, ich bin Ihre Verlobte!“

„Er starrte mich an, als hätte eine Irrsinnige zu ihm gesprochen … das war mein Verlobungsfest.

„Am andern Morgen freilich, als meine Besinnung mir wiedergekehrt, ahnte ich schon, daß Clemens ein heimtückisches Spiel mit mir getrieben, aber ich haßte Sie, der mich verschmäht, ich war in seiner Gewalt und mußte den Becher des Schmerzes bis zur Neige leeren. Da sind Sie gekommen, und Ihr Anblick –“

Sie vollendete nicht – ein tiefes Schweigen, und doch so beredt, so wonnereich, so voll Hoffnungen und süßer Gedanken, die von Auge zu Auge irrten, umgab sie.

„Und ich will Sie schützen, Fräulein Isolde,“ sagte endlich sich ermannend Bruno. „Mein Vergehen hat ja Alles verschuldet.“

„Ich brauche schon keines Schutzes mehr,“ entgegnete sie stolz, „ich bin frei. Diese Beichte war ich Ihnen schuldig, nun ist’s vorbei!“

„Vorüber – und –“ Ihre Kälte reizte ihn.

„Keine Amazone soll Ihre Liebe als Siegesbeute davontragen, keine,“ sagte sie mit dem schneidenden Ton, der ihn schon einmal verletzt.

Dies entschied ihn; noch einige kühle Aeußerungen hinüber und herüber, er brach auf. Sie hatte ihn nicht gebeten, wiederzukommen, nicht einmal eine Frage nach seinem ferneren Verweilen gethan. Erst als er die Thüre öffnen wollte, überwältigte sie die Leidenschaft, sie breitete die Arme nach ihm aus: „Bruno! Bruno!“ Nun umschloß er sie einen flüchtigen Augenblick, sein Kuß loderte wie eine Flamme auf ihren Lippen – dann war er hinausgeeilt.

Ein feiner, naßkalter Regen hüllte die Landschaft in seine nebligen, grauen Schleier und schlug ihm in das glühende Antlitz, gegen die brennende Stirn, ohne sie zu kühlen. Mit dem Sturm, der sich erhoben hatte und die Zweige der Bäume schüttelte, hätte er davonfliehen mögen, aber mit jedem Schritte kam er nur vorwärts, dem Hause näher, in dem er Clemens noch anzutreffen fürchtete. Nicht mit jenem Leichtsinn und der zornigen Erregbarkeit der Jugend konnte er wieder wie vor Jahren ihn zum blutigen und diesmal entscheidenden Kampfe fordern – und doch, gab es denn einen andern Ausweg ihres Streites? Was auch geschehen, etwas, war es die alte Freundschaft, war es das Bewußtsein, daß er selbst zuerst den Stein in Bewegung gesetzt, der sie jetzt zu zerschmettern drohte, sprach in ihm für Clemens und entschuldigte ihn. Er allein hatte mit seinen Reden, mit ihren Briefen die Leidenschaft des Freundes für Isolde entflammt …

Ruhe suchend und nicht findend, irrte er im Baumgang auf und ab. Verstört, den Hut tief in das Gesicht gedrückt, die Hände geballt, trat er endlich in die Gaststube – sie war gedrängt voll Menschen, Alles in wildester Bewegung …

Ihm wich Jeder aus, ihm machte man den Weg zum Tische frei.

Düsterbrennende Lampen warfen einen fahlen Schein darüber hin; in seinen eigenen schwarzen Mantel gehüllt, lag dort blutend, staubbedeckt die Leiche des Grafen –

Ein entsetzlicher Schrei! … „Clemens! Mein armer Clemens!“ So laut weinend stürzte Bruno über den Leblosen hin.




4.

Zwei Monate waren vergangen. Bruno Berghaupt saß des Mordes angeklagt im Gefängniß.

An jenem verhängnißvollen Abend hatte man im Dorfe zwischen acht und neun Uhr deutlich einen Pistolenschuß aus der Schlucht gehört, und der Diener des Grafen war sogleich mit mehreren Bauern hinabgeeilt. Die Ahnung eines traurigen Ereignisses, die ihn den Tag über geängstigt, hatte sich erfüllt. Am Fuße der Höhe, auf der er zum letzten Mal mit Bruno geredet, fanden sie ihn mit zerschmettertem Haupt, er schien lautlos, im Augenblick gestorben zu sein. Die eine Pistole mußte er in der Hand gehalten und abgefeuert haben, sie lag oben auf der Anhöhe im Gestrüpp, die andere steckte noch in der Brusttasche seines Rocks.

Wie war er gestorben?

Niemand vermochte darauf eine bestimmte Antwort zu geben, aber Bruno’s Mantel, der zerrissen in den Dornen hing, die Tritte, die sich vom Abhang noch deutlich eine Strecke am Ufer des Baches fortzogen und sich zuletzt auf dem steinigen Boden verloren, lenkten den Verdacht der dunklen That auf ihn. Allen im Dorfe, dem Diener zumeist, war sein Wesen fremdartig, zweideutig vorgekommen, Alle hatten die zornigen Blicke gesehen, mit denen er und der Graf sich maßen, als sie durch das Dorf gingen. Der Graf kehrte allein

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