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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

hatte. Jetzt waren sie nicht mehr zu halten, sie rannten fort und die Unterredung war abgeschnitten. Die schöne Huberin wandte sich noch einmal im Wagen um und rief Rosel mit angestrengter Stimme, um über das Wagengerassel hinaus verstanden zu werden, einen Gruß zu. „B’hüt Dich Gott,“ schrie sie, „wir treffen schon noch einmal zusammen!“

Fort rollte der Wagen, Rosel aber that einen lauten Schrei und mußte sich an der Stiegenwand halten, um nicht umzusinken. In den letzten Worten hatte sie die Stimme des Räuberhauptmanns wieder gehört, die ihr noch von der Nacht her im Ohre klang. „Der rothe Hannickel!“ flüsterte sie, indem es ihr schwarz vor den Augen ward. Ebenso schnell aber war die Anwandlung der Schwäche wieder überwunden, als die Leute herbei eilten und sie mit frischem Wasser bestreichen wollten.

„Laßt mich nur,“ sagte sie abwehrend, „es ist schon wieder vorbei!“

Damit ging sie eilig weiter, aber in der Richtung nach ihrer Heimath zu, bestürmt von den widerstreitenden Empfindungen, Erinnerungen und Gedanken, welche die letzten Stunden und Augenblicke in ihr wachgerufen.




5.

Der Abend auf dem Huberhof war außerordentlich still. Der Bauer hatte sich kurz nach der Heimkehr auf’s Bett gelegt und war aus dem Zustande thierischer Trunkenheit in einen gleichen Schlaf versunken, woraus ihn nichts aufzurütteln vermochte. Die Knechte waren mit schweren Köpfen nach Hause gekommen, hatten die Arbeit in Stall und Scheune beschickt und dann auch ihr Lager gesucht, denn am andern Morgen mit Sonnenaufgang begann das Tagwerk wieder, das ausgeruhte Kräfte verlangte und hellgeschlafene Augen. In der Stube, wo sonst alle Hausgenossen zum Abendessen zusammenkamen, fanden sich außer den Mägden nur Paul und Hans ein, während die Bäuerin in Besorgung ihrer Geschäfte abwechselnd ab und zuging. Die Unterhaltung war lahm, denn die beiden Bursche nahmen keinen Theil daran und überließen es den Mägden, die Lustbarkeiten des verlebten Feiertags zu zergliedern.

Paul setzte sich gleich Anfangs auf die breite, um den Ofen laufende Bank und stellte sich, als ob er schlafen wollte, im Grunde aber that er es nur, weil er die Bäuerin ohne Auffallenheit im Auge behalten und jede ihrer Bewegungen verfolgen konnte.

Hans aß nur wenig; sobald das laute gemeinschaftliche Tischgebet vorüber, griff er nach dem in der Nische stehenden Oellämpchen, um es anzuzünden. „Wenn Du nichts mehr schaffst, Bäuerin,“ sagte er, „so geh’ ich auch. Gute Nacht.“

„Warte noch, Hans,“ erwiderte die Bäuerin, „es fällt mir eben ein, daß morgen in die Mühl’ gefahren werden muß. Da wird’s wohl nothwendig sein, daß Du noch das Viertelstündchen hinüber laufst und bei dem Haselmüller ansagst.“

Hans zögerte einen Augenblick wie unentschlossen; ehe er antworten konnte, trat Paul vor und sagte: „Den Gang kann ich auch machen, Bäuerin, wenn’s Dir gleich ist.“

„Ich hab’ nichts dawider,“ erwiderte diese. „Richte dem Müller einen schönen Gruß aus und richte mir wieder aus, was er gesagt hat. Ich werd’ heut’ doch noch lang nicht zum Schlafen kommen.“

Paul ging, die Mägde folgten, indem sie gute Nacht wünschten, sich bei der Thür aus dem dort angebrachten Kesselchen mit Weihwasser besprengten und bekreuzten. Hans machte sich auf einen Augenwink der Bäuerin noch mit seinem Lämpchen zu schaffen, bis sie Alle aus der Stube waren.

„Was willst Du noch von mir?“ fragte er.

„Ich hab’ den Pauli nur in die Mühl’ geschickt, um ihn wegzubringen,“ antwortete das Weib. „Ich hab’ mit Dir noch zu reden, weil ich wissen muß, wie ich daran bin mit Dir! Hab heute recht schöne und auferbauliche Sachen von Dir gesehen und gehört. Hast ja recht herzbrechenden Abschied genommen von Deinem alten Schatz, der Blumhuber-Rosel? Oder hast wohl auf’s Neue angebandelt mit ihr? Ihr seid ja recht rührend neben einander gestanden alle zwei, und ist nichts ab’gangen, als der Maler, der Euch ab’zeichnet hätt’ .…“

Hans sah finster vor sich hin. „Spöttle nur,“ sagte er dann, „Du hast ganz recht! Warum bin ich so ein Narr g’wesen und hab’ geglaubt, ich könnt’ noch einmal umkehr’n und wieder der Mensch werden, der ich einmal g’wesen bin!“

„Es ist nur gut,“ sagte die Bäuerin, „daß ich Dich nicht in’s Brandlgut hinein mitgenommen hab’, sondern draußen aufpassen ließ … wenn Dir das liebe Schatzl drinn begegnet wär’, wärst Du ihr am End’ um den Hals gefallen und hätt’st uns Alle verrathen!“

„Sag’ mir nichts mehr davon!“ rief Hans wild. „Es ist vorbei, für ewige Zeiten vorbei, und ich gehör’ wieder ganz Dein und dem Teufel!“

„Höflich bist Du grad’ nicht,“ lachte das Weib, „aber mir ist’s recht, daß Du Dich besonnen hast. Ich hab’ Dir’s ja vorher gesagt, daß es so gehn wird. Es soll Dein Schaden nicht sein, und ich will Dir was Wichtig’s sagen dafür.“

„Ich kann mir’s schon einbilden …“ murmelte der Knecht finster.

„Vielleicht auch nicht,“ entgegnete sie. „Hör’ nur.“

Das Gespräch war bisher schon nur halblaut geführt worden, jetzt sank die Stimme der Bäuerin zum leisesten Flüstern herab.

„Wir sind jetzt bald am Ziel,“ sagte sie, „bald haben wir so viel, daß wir den rothen Hannickel nicht mehr brauchen. Ich hab’ drum unser Geld alles schon zusammengethan und an einen sichern Ort gebracht. Nur einen einzigen Brocken gibt es noch zu holen, den fettesten von allen. Ich habe die ganze Gelegenheit ausgekundschaftet, denn der Bauer, dem wir einen Besuch machen wollen, hat mich selber im ganzen Haus herumgeführt und hat mir seine versteckten Schubladen voll Kronenthaler gezeigt. Am Mittwoch geht’s los. Du weißt den alten Marterstock im Schwarzbühel. Da gehst Du heute noch hin und steckst den Zettel da hinter das Armenseelenbildl, das daran genagelt ist. Es ist die Bestellung für Mittwoch Nachts. Wir kommen bei dem Wetterkreuz auf der Sandriß zusammen, sobald es im Dorf drunten elf g’schlagen hat. Hast Du mich verstanden und willst gehn?“

„Ich gehe,“ sagte Hans, den Zettel nehmend, „aber versprichst Du mir auch, daß es das letzte Mal ist, daß ich einen solchen Gang machen muß?“

„Ist’s Dir denn gar so zuwider?“ fragte sie höhnisch. „Siehst Du, Hans, ich hätt’ ein Mannsbild werden sollen! Mir ist ganz anders, mir ist’s leid, wenn ich dran denk’, daß das Alles aufhören soll! Huberbäuerin kann jede dumme Gans sein, aber die Unterhaltung, und die Abwechslung und die Spannung, die beständige Gefahr und doch die Gewißheit, daß man mir nicht ankann, und daß ich die ganze Welt an der Nas’ herumführen kann, das ist mehr werth, als der Huberhof! Das wird mir hart abgehn – aber,“ setzte sie mit einem zweideutigen Seitenblick hinzu – „ich versprech’ Dir’s, daß das der letzte Gang ist, den Du machst.“

„Dann will ich mich auch gleich auf den Weg machen,“ sagte Hans. „Bis zum Marterstöckl im Schwarzbühel ist eine Glockenstund’ …“

„Ja – und der Weg geht nicht weit vom Brandlgut vorbei – wie leicht, daß Du da aufg’halten werden könntest!“

„So gib mir Wegzehrung mit, daß ich nicht in Versuchung komm’,“ flüsterte Hans und wollte sie an sich ziehn. Sie wehrte ihn aber mit einer Art Schauer von sich ab. „Jetzt nicht,“ sagte sie, „wir sind hier nicht allein, aber morgen sollst Du’s einbringen, oder wenn Du wiederkommst.“

Er ging, und bald verhallte sein Tritt in der ungewöhnlich dunkel hereingebrochenen Nacht.

(Fortsetzung folgt).


Kleiner Briefkasten.


Auf die vielen Anfragen nach genaueren Mittheilungen über das „Neu-Deutschland unter dem Aequator“ (Gartenlaube 1859, Nr. 52) können wir nur bitten, an das „Intelligenz- und Anfrage-Bureau für Deutsche in London“ zu schreiben, das sehr gern genaue Auskunft geben wird. Die genaue Adresse desselben lautet:

E. Juch & Comp.

London.

48, Cliftonstreet, Finsbury-Square.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_048.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)