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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Das Gestrüpp und die Dornen, die am Felsen wucherten, hielten indessen mit ihren Zacken Bruno’s Mantel fest, und so gelang es ihm zum Stehen zu kommen, gerade wo das Gestein jäh in die Tiefe abstürzte. Er warf den zerrissenen Mantel von der Schulter, schaute noch einmal zu dem oben stehenden, hinablauschenden Clemens empor, mit stolzem Blick, stolzer grüßender Handbewegung, und bahnte sich mühsam einen Weg zum Bache. Auf der Höhe war Clemens niedergesunken, das Gesicht mit den Händen bedeckend – es war ihm, als quelle Feuer und Blut aus seinen Augen, und doch weinte er nicht. Bis zu diesem Abgrund also hatte ihn eine unerbittliche Nothwendigkeit geführt, und wieder, wie vor fünf Jahren, war es nur ein Zufall gewesen, der ihm den Mord des Freundes erspart – einen Mord, den er doch schon im Gedanken begangen und den er nun ausführen mußte. So lag er im starren, stummen Schmerz; über ihm war das kleine, unscheinbare Saatkorn seiner ersten Schuld zu einem Riesenbaume aufgewachsen, dessen Gifthauch ihn tödtete.

Als er dann aus seiner Betäubung auffuhr und die Hand von seinem Gesicht nahm, sah er in der nun schon völlig hereingebrochenen Dunkelheit die Fenster des Schlosses freudig von Lichtern erglänzen, wie zum Spott und Hohn für ihn, der auf nackter Felsspitze verstoßen und allein mit den Gedanken Kains saß. Und je länger er so, den Arm auf einen Steinblock gestützt, hinüberschaute, desto härter wurde sein Herz; auch um ihn hauchte ein Geist des Verderbens seinen Athem, als er die Höhe hinab und durch die Schlucht zurückwandelte. Da, wo sie die Dorfstraße berührte, fand er in bangender Erwartung seinen Diener. Er hieß ihn die Pferde satteln, auf denen sie am Morgen von der Hauptstadt herübergeritten waren, und suchte selbst in der Reisetasche nach den Pistolen, die er zu sich gesteckt und die zuerst in dem treuen Diener die Ahnung erweckt, daß der harmlose „Spazierritt“ einen andern Zweck habe, als einen Besuch bei der Gräfin. Sorgfältig prüfte Clemens jetzt noch einmal die Ladung, die Schlösser der Waffen, wog sie lange in den Händen und barg sie zuletzt in seiner Brusttasche. Mit verschränkten Armen blieb er an den Thürpfosten gelehnt auf der Schwelle des Wirthshauses. Ueber der Schlucht erhob sich im wilden Getümmel der jagenden Wolken der Mond.

Nun wurden die Pferde vorgeführt und stampften, von der Hand des Dieners gehalten, mit ungeduldigem Huf den Boden …

Clemens seufzte. „Warte,“ sagte er dann kurz, „ich gehe noch nach dem Schlosse.“

In sich gekehrter, härter, gebieterischer war er nie aufgetreten.

Ohne Gruß ging er an den Bauern vorüber, die mit ihren Frauen auf den Bänken, vor den Häusern saßen und ihm den Nachtgruß wünschten … er verschwand in den Schatten der Schlucht; das allgemeine Geflüster, das heimliche Schmähen und Grollen, das sich hinter ihm erhob, vernahm er nicht mehr – Er oder ich! das war sein einziger Gedanke.




3.

Der letzte Sonnenstrahl verglühte eben an dem röthlichen Gestein des Schlosses, als Bruno durch den Garten stürmend die steinernen Stufen vor der Glasthür erreichte, auf denen Isolde so unruhig und aufgeregt wie er dahinschritt.

Sie erkannte ihn schon in einiger Entfernung, eine, zwei Stufen eilte sie ihm entgegen. Strahlend und verschämt zugleich, mit den Blumen im Haar, in ihrem weißen, luftigen Gewande sah sie aus wie eine Braut. Zu mächtig war die Bewegung und der Sturm der Gefühle in Beiden, um in Worte auszubrechen, Einer in den Anblick des Andern versunken, reichten sie sich schweigend die Hand. Erst oben in dem Erkerzimmer rief sie: „Bruno!“ er: „Isolde!“

Aber dieser Ruf klang ihr düster, unheimlich, durchaus nicht wie aufjauchzende Liebe – und schon hatte er ihre Hände ergriffen und sagte erschüttert: „Warum mußt’ ich Sie kennen lernen, Isolde? Sie haben mir den Freund für immer geraubt!“

„Sie zürnen mir, Sie hassen mich, und doch bin ich viel elender und unglücklicher als Sie. Ach, Sie wissen nun, daß ich grausam war – ach! Sie wissen nicht, was ich gelitten, was mich wie Entzücken und Vernichtung durchbebte, als ich Sie gestern wiedersah. Verachte, fliehe mich, aber hören mußt Du es doch, daß ich Dich liebe! Ich will es in Dein Ohr schreien, daß Du es nimmer vergessen kannst – ich liebe Dich! ich liebe Dich!“

Thränenüberströmt hatte sie ihr Haupt an seine Schulter gedrückt, dann riß sie sich los und eilte zu der marmornen Göttin des Gemaches, den Sockel wie schutzflehend mit ihren Armen umfangend.

„Isolde!“ bat er.

„Laß nur,“ antwortete sie gefaßter, „es ist vorüber und Dein Mitleid tröstet mich nicht.“

Eine Blume, die ihrem Haar entfallen war, nahm er vom Boden auf, sie entblätterte in seiner Hand. Dies und ihr Schweigen, die Erinnerung an Clemens’ That, seine peinliche Lage gaben ihm endlich Muth und ernsten Willen, um jeden Preis diese Verwickelung zu lösen.

„Wie das Schicksal, Fräulein Isolde,“ sagte er darum, „auch weiter über uns bestimmen wird, seien wir wenigstens ehrlich zu einander, thun wir, so viel wir können, um nicht schuldlos, doch entsühnt und gerechtfertigt dem Unvermeidlichen entgegen zu gehen. Sie müssen erfahren, daß Sie Ihre Liebe einem Unwürdigen schenkten, daß ein Geständniß, das mich beglücken sollte, mich verdammt. Ich beging wider Sie eine unverzeihliche Treulosigkeit, die Ihnen zugleich offenbart, wie hassenswerth Sie mir einst erschienen: ich gab Ihre Briefe an Clemens, der wissen wollte, wer ihn bei mir verklagt.“

„An Clemens?“ rief sie, und nun hatte ihr Antlitz, die drohend erhobene Hand wirklich einen erschreckenden, furchtbaren Ausdruck.

„An Clemens; damit bin ich gerichtet.“

Mühsam eine äußere Fassung erzwingend, obgleich sein Herz gebrochen war, wollte er sich aus dem Gemach stehlen, sie aber hielt ihn mit befehlendem Ton zurück: „Sie kennen nur die Hälfte Ihrer Schuld, daß Sie leichtsinnig fortwarfen, was mir das Theuerste war – möge Sie die ganze erdrücken.“

Sie war wie verwandelt, Alles an ihr streng, herbe und schwer geworden, und da sie sein Erstaunen darüber bemerkte, sagte sie bitter: „Nun bin ich ja die Furie, die in Ihrer Erinnerung steht.“

Und ohne eine Erwiderung zu erwarten, setzte sie sich, winkte ihm, neben ihr Platz zu nehmen, und eine Blume nach der andern aus ihrem Haar reißend und zerpflückend, erzählte sie: „Wir wohnten in demselben Hause, wir haben uns oft auf den Treppen, in der Flur begegnet, allein Sie hatten keinen Blick für mich, nur einen förmlichen, scheuen Gruß. Verkannt und zurückgesetzt zu werden, war immer mein Loos. Die alte Dame mit dem Strohhut kennen Sie besser, es war meine Tante, die mich von dem Gut meiner Eltern mit sich in die Stadt genommen. Meine Eltern waren arm, trotz ihres vornehmen Namens, ich hatte Brüder, für die eher als für mich gesorgt werden mußte, ich war nicht schön und darum nicht der Liebling meiner Mutter. Was ich nun einmal bin, meine Anschauungen wie meine Leidenschaften, verdanke ich meinem Vater, der mich liebte, mich unterrichtete, dem ich Alles war. So überspannt im Kopf, mit wildwogendem, verlangendem Herzen, das um so mächtiger schlug, da es von Jugend auf nur an Entsagungen gewöhnt war, kam ich nach der Hauptstadt, sah ich Sie.“ Ihre Stimme wurde weicher und milder, als sie dann mit entzückendem Lächeln sagte: „Und ich liebte Sie! Ich beobachtete Sie täglich, stündlich von meinem Fenster, ich wußte, wann Sie gingen, wann Sie zurückkamen. Mir schien es damals so wunderschön, mit Ihnen die Dame Kobold zu spielen. Ach, als ich Ihre ersten Verse an mich las! Es war ein sonniger Tag, er verrann mir in Melodien.“

(Schluß folgt)




Karl von Holtei.

Eine Biographie Holtei’s schreiben, heißt im eigentlichen Sinne Eulen nach Athen tragen, nachdem er selbst in seinen „Vierzig Jahren“, die jetzt in einer neuen billigen Ausgabe bei Trewendt in Breslau erschienen sind, seinen Lebens- und Bildungsgang ausführlich geschildert und einen der interessantesten Beiträge zur Geschichte seiner Zeit, des Theaters und der Literatur geliefert hat. Dennoch dürfte ein kurzer Auszug aus den zwölf Bänden dieser werthvollen Memoiren den geschätzten Lesern der Gartenlaube willkommen sein.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_036.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)