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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aufklärung. M’Clintock untersuchte die östliche, Hobson die nördliche Küste des König-Wilhelms-Landes. In einem Schneedorfe drängten sich die ganzen Einwohner, höchstens fünfunddreißig an Zahl, an den Ersteren heran und versahen ihn mit so vielen Artikeln von den Unglücksschiffen, als er fortzubringen im Stande war. Eine alte Frau machte mit gellender Stimme die Erzählerin, die übrigen Eskimo’s fielen zuweilen verbessernd ein. Jene Frau sagte: „Man hat von hier einen Tagemarsch bis zum Meer (Peels-Sund), worauf man vier weitere Tage braucht, um zu einem Schiff zu gelangen, das dort liegt, wenig mehr über dem Eise sichtbar. Wir sind seit länger als einem Jahre nicht dort gewesen, aber viele der Unsrigen haben das Schiff besucht und fortgetragen, was sie konnten. Wenige Eskimo’s haben die weißen Männer auf ihrem Wege zum großen Flusse gesehen und uns erzählt, sie seien einer nach dem andern hingesunken.“ Nach seiner Trennung von diesen Eskimo’s ging M’Clintock in südlicher Richtung bis zu der Insel Montreal, welche die Verunglückten auf ihrem Wege zum Großen Fischflüsse berührt haben mußten. Außer einigen europäischen Artikeln, die von den Eskimo’s dorthin getragen worden sein konnten, fand sich auf dieser Insel nichts. Er setzte dann über die schmale Meerenge und folgte der südlichen Küste des König-Wilhelms-Landes. Etwa in der Mitte derselben, am Vorgebirge Herschel, lag ein Geripp in voller Länge auf dem Boden ausgestreckt. Als der Schnee entfernt wurde, fand sich ein Taschenbuch mit einem Matrosen-Zeugniß und einigen Briefen. Ein Cairn, d. h. einer der künstlich aufgeschichteten Steinhaufen, unter denen Nordpolfahrer Nachrichten zu verbergen pflegen, wurde weiterhin entdeckt, aber in einem Zustande, der keinen Zweifel daran ließ, daß die Eskimo’s ihn umgewühlt und seinen Inhalt entführt hatten.

Noch wichtiger waren die Spuren, die Hobson auffand. Nachdem er das Vorgebirge Felix, die Nordspitze des König-Wilhelms-Landes, umgangen hatte, schlug er sein Lager am 6. Mai neben einem großen Cairn auf. Als dieser untersucht wurde, zeigte sich eine Büchse von Zinn und in ihr die erste authentische Nachricht von dem Schicksale Franklin’s und seiner Mannschaft. Es waren zwei Berichte, welche die Unglücklichen von sich gaben. Der erste war vom 24. Mai 1847, und um diesen war der zweite vom 25. April 1848 herumgeschrieben. Welche völlige Umwandlung war zwischen jenem ersten und jenem letzten Tage vorgegangen! Der erste Bericht schloß mit den Worten: „Alles ist gesund!“ der zweite mit der Anzeige, daß die Mannschaft, nachdem sie ihre Schiffe verlassen, im Begriff sei, eine Landreise anzutreten, von der ihre erfahrenen Mitglieder sich sagen mußten, daß sie mit dem Untergange Aller enden werde.

Aus beiden Berichten ergibt sich Folgendes: Im Sommer des Jahres 1845 gelangte Franklin im Wellington-Canal bis zum 77° nördlicher Breite und überwinterte dann auf der Beechey-Insel. Am 12. September 1846 froren seine Schiffe etwa drei deutsche Meilen nordwestlich vom König-Wilhelms-Lande ein und konnten sich nicht wieder losmachen. Am 11. Juni 1847, also nur achtzehn Tage nach jenem ersten Bericht im Cairn: „Alles ist gesund!“ starb Sir John Franklin. Die Zeit, die von da bis zum 25. April 1848 verfloß, mag eine furchtbare gewesen sein. Wir erfahren weiter nichts über sie, als daß noch 8 Officiere und 15 Matrosen starben. Die Schiffe trieben mit dem Eise in der ganzen Zeit vom September 1846 bis zum April 1848, also in ziemlich zwanzig Monaten, nur drei deutsche Meilen weit gegen Süden. Daß sie verlassen werden mußten, weil das eine vom Eise zerdrückt wurde und das andere in derselben Gefahr schwebte, dürfen wir nach den Erzählungen der Eskimo’s wohl annehmen.

Die Mannschaft, die das letzte Schiff unter den Capitainen Crozier und Fitzjames verließ, zählte noch 105 Köpfe. Das, was M’Clintock und Hobson elf Jahre später sahen, läßt den Todesgang der Unglücklichen in einzelnen grellen Zügen hervortreten. Am 22. April hatten sie das Land betreten, am 25. errichteten sie ihren Cairn, und schon diese drei Tage hatten sie so abgemattet, daß sie alles nur irgend Entbehrliche, Kleidungsstücke, Werkzeuge, Waffen, von sich geworfen hatten. Der fernste Punkt, den sie erreicht haben können, ist die Insel Montreal. Dort waren sie umgekehrt und bis zu einem Punkte einen Tagemarsch nordöstlich von dem westlichsten Punkte des König-Wilhelms-Landes gekommen. Dort stand ihr Schlitten-Boot, mit der Spitze nach der Gegend des Schiffes gerichtet. In demselben lagen zwei Gerippe, das eine unter einem Haufen von Kleidern. Am Rande des Boots lehnten zwei Flinten, noch geladen, mit aufgesetzten Zündhütchen, wie ihre sterbenden Eigenthümer sie vor zehn Jahren zurückgelassen hatten. Fleisch oder Schiffszwieback war in dem Boote nicht, wohl aber Chocolade, Thee und Taback. In der Nähe lag ein Stamm Treibholz, daneben eine zerbrochene Säge. Wie ließe sich die schreckliche Bedeutung dieser Zeichen mißverstehen! Gewiß, Kälte, Hunger und Ermattung im Verein brachten den wackern Männern den Untergang, wahrscheinlich auch eine Krankheit, die außerhalb der höchsten Breiten ihren alten Namen der Pest des Meeres verloren hat – der Scorbut. M’Clintock hebt in dem Berichte, den er der geographischen Gesellschaft in London erstattet hat, mit Recht hervor, daß die Mannschaft drei Winter im Eise verlebte. M’Clure’s Leute, die ebenso eingeschlossen waren, litten durchgehends am Scorbut, obgleich sie sich auf dem Bankslande viel frisches Fleisch zu verschaffen vermochten. Franklin’s Begleiter fanden auf der Küste, welche ihnen blos gelegentlich zugänglich war, kein Wild, und müssen weit stärker am Scorbut gelitten haben. Sogar die Eskimo’s meiden den westlichen Theil des König-Wilhelms-Landes, weil es dort keine Thiere gibt.

Weitere Nachrichten, als die bisher mitgetheilten, hat M’Clintock nicht erhalten und auf dieses Wenige werden wir wohl für immer beschränkt bleiben. Seine ferneren Erlebnisse in den arktischen Gegenden theilt er mit der lakonischen Kürze eines Ehrenmannes mit, dem eine große Aufgabe gestellt worden ist, neben der seine Person zu unbedeutend erscheint, als daß es sich vieler Worte verlohnte. „Der Sommer war in unserm Hafen ein warmer,“ lautet seine schlichte Erzählung, „aber das Eis erlaubte uns erst am 9. August aufzubrechen, und da wir das Ziel unserer Reise erreicht hatten, so wendeten wir uns heimwärts. Am 21. September traf ich in London ein, nachdem ich in Portsmouth gelandet war, und am 23. schlossen sich die Thore des Docks von Blackwell hinter dem Fox.“

Könnten vielleicht doch von den Männern, die 1845 mit Franklin ausliefen, einige unter den Eskimo’s ihr Leben gefristet haben? M’Clintock antwortet darauf: „Nein, sie sind alle todt.“ Dieser, mit fester Stimme ausgesprochenen Entscheidung haben wir nichts hinzuzusetzen. Man spricht von neuen Aufsuchungsversuchen, aber wir würden es tief beklagen, wenn der Gedanke zur That würde. An den 129 Opfern vom Erebus und Terror ist es genug, mehr als genug. Es fehlt wahrlich nicht an Gebieten, aus denen der Entdecker schönere Lorbeeren als die des Kriegers sich holen kann. Da ist Afrika, wo es mehr als Leichen zu sammeln gibt, wo der Wissenschaft und Cultur eine reiche Ernte harrt. Auf dieses zukunftsvolle Gebiet soll die Thatkraft sich werfen, aber den Nordpol überlasse man seiner todten Natur, auf daß seine Herbststürme, wenn sie um die Eisblöcke heulen, nicht über die frischen Gräber wackerer Europäer streichen.



Der alte wandernde Spielmann.
Von Ludwig Storch.
(Schluß.)

In Nürnberg und den Nachbarstädten, wo Böhner überall mit rauschendem Beifall Concerte gab, geehrt und geliebt, zeigten sich doch in dieser Zeit die ersten Spuren von seiner Krankheit. (Seiner Bekanntschaft mit E. T. A. Hoffmann ist bereits gedacht.) Und in dieser Krankheit ist der Grund zu suchen, daß Böhner niemals eine feste, seinem Talent und seinen Kenntnissen entsprechende Stellung gefunden und sich den eignen Heerd zu gründen nicht vermocht hat.

Im Jahr 1815 unternahm Böhner eine zweite Kunstreise über Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg, Kolmar, Basel, Aarau, Zürich bis Bern. Es wollte ihm aber nirgend glücken, woran die unruhigen Kriegszeiten die meiste Schuld haben mochten. Besser gelang es ihm im Heimathlande Thüringen, wo er in Hofconcerten mit großem Erfolg spielte, dann in Leipzig, wo er nicht nur stark besuchte Concerte gab, sondern bei den dortigen vornehmsten Musikalienhandlungen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_024.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)