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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

auf seine Krankheit, seinen Tod, seine Freunde, seine Verwandten, seine Feinde – gerichtet ist, so sieht er sie im Geiste thätig. Er durchschauet die Ursachen und Folgen ihrer Handlungen. Er wird ein Arzt, ein Prophet, ein Gott.“

Der Ausbruch der Revolution von 1789 war – wenigstens in Frankreich – für die weitere Ausbildung der Theorie vom animalischen Magnetismus ein großes Hemmniß. Die öffentliche Aufmerksamkeit ward durch weit ernstere und verhängnißvollere Ereignisse in Anspruch genommen, und Mesmer’s Anhänger verlegten den Schauplatz ihrer Thätigkeit hauptsächlich nach Deutschland. Hier wurden die Wunder des magnetischen Schlafes mit jedem Tage erstaunlicher und gewaltiger. Die Patienten erlangten die Gabe des Prophezeihens; ihr Seherblick erstreckte sich über das ganze Erdreich; sie sahen und hörten mit ihren Fußzehen und Fingerspitzen und lasen unbekannte Sprachen, wenn ihnen das Buch blos auf die Brust gelegt ward. Unwissende Bauern hielten, wenn sie einmal durch das große Mesmerische Fluidum in den Zustand der Verzückung versetzt worden, göttlichere Vorträge über Philosophie, als Plato deren jemals geschrieben, sprachen über die Geheimnisse des menschlichen Geistes mit mehr Beredsamkeit und Wahrheit, als die gelehrtesten Metaphysiker, welche die Welt jemals gesehen, und lösten schwierige theologische Fragen so leicht und schnell, wie ein Wachender seine Schuhriemen.

Während der ersten zwölf Jahre des gegenwärtigen Jahrhunderts war in keinem Lande Europa’s viel vom thierischen Magnetismus zu hören, und selbst in Deutschland gab der Donner von Napoleon’s Kanonen den Gedanken eine materiellere Richtung. Während dieser Zeit hing eine dunkle Wolke über der neuentdeckten Wissenschaft und ward nicht eher verscheucht, als bis der Franzose Deleuze im Jahre 1813 seine „Kritische Geschichte des thierischen Magnetismus“ veröffentlichte. Dieses Werk gab dem schon halb vergessenen Gegenstande einen neuen Anstoß. Zeitungen, Flugschriften und Bücher führten wieder Krieg mit einander, und viele ausgezeichnete Mediciner begannen wieder ihre Forschungen in der ernsten Absicht, die Wahrheit zu entdecken. Die Behauptungen, welche in Deleuze’s berühmtem Werke aufgestellt werden, lassen sich ungefähr in Folgendes zusammenfassen:

„Es gibt,“ sagt er, „ein Fluidum, welches fortwährend dem menschlichen Körper entströmt und um uns herum eine Atmosphäre bildet, welche, da sie keine bestimmte Strömung hat, auf die in der Nähe befindlichen Individuen keine fühlbaren Wirkungen äußert. Dennoch aber kann sie durch den Willen eine bestimmte Richtung erhalten und entströmt dann mit einer Kraft, welche der Energie unseres Willens entspricht. Ihre Bewegung gleicht der Bewegung der Strahlen brennender Körper, und sie besitzt in verschiedenen Personen auch verschiedene Eigenschaften. Dabei ist sie auch eines hohen Grades von Concentration fähig und existirt in Bäumen ebenfalls. Der Wille des Magnetiseurs kann, durch eine mehrmals in derselben Richtung wiederholte Handbewegung geleitet, einen Baum mit diesem Fluidum füllen. Die meisten Personen fühlen, wenn dieses Fluidum aus dem Körper und durch den Willen des Magnetiseurs in sie überströmt, eine Empfindung von Wärme oder Kälte, wenn er seine Hand an ihnen vorüberbewegt, auch ohne sie zu berühren. Manche Personen verfallen, wenn sie von diesem Fluidum hinreichend durchdrungen sind, in einen Zustand von Somnambulismus oder magnetischer Ekstase, und wenn sie sich in diesem Zustande befinden, so sehen sie das Fluidum den Magnetiseur umgeben wie ein Glorienschein und in leuchtenden Strömen aus seinem Mund und seiner Nase, seinem Kopf und seinen Händen hervorkommen. Es besitzt einen sehr angenehmen Geruch und theilt den Speisen und dem Wasser einen eigenthümlichen Geschmack mit.“

„Wenn,“ sagt er weiter, „der Magnetismus den Somnambulismus erzeugt, so erlangt die Person, die sich in diesem Zustande befindet, eine unglaubliche Erweiterung aller ihrer Fähigkeiten. Mehrere der äußeren Organe, besonders die des Gesichts und des Gehörs, werden unthätig, die Empfindungen aber, welche davon abhängen, finden innerlich statt. Sehen und Hören geschieht nun durch das magnetische Fluidum, welches die Eindrucke direct und ohne Dazwischenkunft von Nerven oder Organen dem Gehirn übermittelt. Auf diese Weise sieht und hört der Somnambule nicht blos, obschon seine Augen und Ohren geschlossen sind, sondern er hört und sieht auch viel besser, als wenn er sich in wachem Zustande befindet. In allen Dingen fühlt er den Willen des Magnetiseurs, wenn auch dieser Wille nicht ausgedrückt wird. Er sieht in das Innere seines eigenen Körpers und in die geheimste Organisation der Körper aller Derer, welche mit ihm in Rapport oder magnetischen Verkehr gesetzt werden. Am häufigsten sieht er blos die Theile, welche krank oder in Unordnung sind, und verordnet intuitiv ein Heilmittel für sie. Er hat prophetische Visionen und Empfindungen, die meistentheils wahr, zuweilen aber auch irrig sind. Er drückt sich mit erstaunlicher Beredsamkeit und Leichtigkeit aus. Er ist nicht frei von Eitelkeit. Er wird von selbst auf eine gewisse Zeit ein vollkommneres Wesen, wenn er durch den Magnetiseur gut geleitet wird, geräth aber auf Abwege, wenn die Leitung eine falsche ist.“

Nach Deleuze kann Jeder ein Magnetiseur werden und diese Wirkungen hervorbringen, wenn er die nachfolgenden Bedingungen erfüllt und den hier angegebenen Regeln gemäß verfährt. Er sagt:

„Vergiß auf eine Zeit lang all dein Kenntniß der Physik und Metaphysik.

„Schlage Dir alle Dir vielleicht beigehenden Zweifel und Einwendungen aus dem Sinn.

„Glaube, daß es in Deiner Macht steht, die Krankheit in die Hand zu nehmen und zu beseitigen.

„Stelle sechs Wochen lang, nachdem Du das Studium begonnen, keine Schlußfolgerungen an. (!)

„Hege den thätigen Wunsch, Gutes zu thun, den festen Glauben an die Macht des Magnetismus und unbedingtes Vertrauen bei Anwendung desselben. Entschlage Dich mit einem Worte aller Zweifel, wünsche Erfolg und verfahre mit Einfalt und Aufmerksamkeit.“

Das heißt mit andern Worten: „Sei sehr leichtgläubig; sei sehr beharrlich, verwirf alle frühere Erfahrung und höre nicht auf die Vernunft – dann bist du ein Magnetiseur, wie er verlangt wird.“ Nachdem man sich in diesen erbaulichen Zustand versetzt hat, kann man zum Werke selbst schreiten, wozu unser Autor dann fernerweite Anleitung in folgenden Worten gibt:

„Entferne von dem Patienten alle Personen, welche Dir lästig werden könnten, und behalte blos die nothwendigen Zeugen, wenn es sein kann, nur eine einzige Person bei Dir. Fordere sie auf, sich in keiner Weise mit den Proceduren, die Du anwendest, und den daraus hervorgehenden Wirkungen zu beschäftigen, sondern mit Dir zu wünschen, daß der Patient geheilt werden möge. Siehe zu, daß Du weder zu heiß noch zu kalt bist; sorge dafür, daß die Freiheit Deiner Bewegungen durch nichts gehemmt werde, und triff die nöthigen Vorsichtsmaßregeln, um jeder Unterbrechung oder Störung während der Sitzung vorzubeugen.

„Dann laß Deinen Patienten sich so bequem als möglich niedersetzen und setze Dich ihm gegenüber, aber etwas höher und so, daß seine Kniee sich zwischen den Deinigen und Deine Füße neben den seinen befinden. Vor allen Dingen fordere ihn auf, sich völlig hinzugeben, an nichts zu denken, die vielleicht erzielten Wirkungen nicht erforschen zu wollen, alle Furcht zu verbannen und sich weder stören noch entmuthigen zu lassen, wenn die Wirkung des Magnetismus ihm augenblickliche Schmerzen verursachen sollte.

„Nachdem Du Dich gehörig gesammelt, nimm seine Daumen zwischen Deine Finger und zwar so, daß der innere Theil Deiner Daumen in Berührung mit dem innern Theil der seinen kommt, und dann hefte Deine Augen fest auf ihn. In dieser Situation mußt Du zwei bis fünf Minuten oder so lange bleiben, bis Du zwischen Deinen Daumen und den seinigen eine gleichmäßige Wärme fühlst. Nachdem dies geschehen, ziehst Du Deine Hände zurück, indem Du sie links und rechts bewegst. Gleichzeitig wendest Du sie so, daß ihre innere Fläche nach außen gekehrt wird, und dann hebst Du sie bis zur Höhe des Kopfes des Patienten. Dann legst Du sie ihm auf beide Schultern und läßt sie ungefähr eine Minute lang liegen. Hierauf ziehst Du sie sanft die Arme entlang, und diese nur ganz leise berührend, bis an die Fingerspitzen. Dieses Streichen wirst Du fünf oder sechs Mal wiederholen, dabei aber stets die Hände umdrehen und ein wenig von dem Körper entfernen, ehe Du sie wieder emporhebst. Dann hältst Du sie über den Kopf und fährst hierauf in einer Entfernung von einem oder zwei Zollen von dem Gesicht herab bis auf die Herzgrube. Hier machst Du zwei Minuten lang Halt, indem Du Deinen Daumen auf die Herzgrube und die übrigen Finger unter die Rippen setzest. Dann fährst Du langsam an dem Körper bis zu den Knieen, oder vielmehr, wenn Du es, ohne ausstehen zu müssen, thun kannst, bis zu den Fußzehen herab.

„Diese Proceduren wirst Du während der noch übrigen

Sitzung mehrmals wiederholen und gelegentlich Deinem Patienten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_771.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)