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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Der Onkel lächelte etwas spöttisch. „Geld mit einem Trauerspiele machen!“ murmelte er, ging aber doch an die Casse und sagte: „Mein Junge, Du hast noch nichts von mir verlangt – da hast Du das Doppelte, obwohl ich das Geld als verloren betrachte.“

„Danke, Onkel, ich brauche nicht mehr als fünfzehnhundert Franken.“

So viel nahm er auch nur, zur Verwunderung des Alten, der von seinen Neffen an ein Verschmähen seines Geldes nicht gewöhnt war – steckte die neuen Louisd’ors ein und reiste mit diesen, mit seinem Trauerspiele und mit einem von Mstrs. Morston an Lamartine gerichteten, sehr herzlichen Empfehlungsschreiben nach Paris ab.

Der Brief der liebenswürdigen Frau an ihren Freund, den berühmten Dichter, der damals noch berühmter und geachteter war als heute und in der Literatur wie in der Politik großen Einfluß hatte, that Wunder; es ging Alles über alle Erwartung gut. Das Trauerspiel „die Tochter des Aristides“ wurde von der Direction des Odeontheaters angenommen, sofort einstudirt, aufgeführt, sehr gelobt, gedruckt und in Tausenden von Exemplaren verkauft.

An dieser Stelle ist der Zeichner dieser wahrhaftigen Skizzen dem Leser eine Erklärung schuldig. Der Leser wird sagen: Von einem Trauerspiel, das in Paris einen so großen Erfolg gehabt, und von dessen Dichter müßte man doch etwas gehört haben! Darauf antworte ich ganz einfach: der Leser kennt gewiß auch beides, Dichter und Trauerspiel, die ich meine, wenigstens dem Namen nach – ich aber habe aus Rücksicht für noch lebende Personen Titel des Trauerspiels und Familiennamen des Dichters ändern müssen. Das ist Alles.

Nach einigen Monaten kehrte Gustav Atron mit mehreren Lorbeerblättern im Haare nach Marseille zurück, wo er mit Jubel von der geliebten Frau, mit Lächeln von seiner Familie empfangen wurde. Sein erster Weg war zu der schönen Frau, sein zweiter zum reichen Onkel.

„Danke, cher oncle, hier sind Ihre fünfzehnhundert Franken; ich habe sie zwar nicht gebraucht, bin aber darum nicht minder dankbar für Ihre Güte.“ So sprechend legte er die Rollen hin; es sind dieselben Rollen, dasselbe Papier, dieselben Louis, die ihm der Onkel gegeben und zwar, wie der Onkel meinte, auf Nimmerwiedergeben, wie Onkels ihren Neffen zu leihen pflegen. Der alte Kaufmann erkennt die Identität der Rollen und ist doppelt erstaunt, einmal über dieses Wiedersehen, dann darüber, daß man mit Versen überhaupt Geld machen könne. In seinen Gedanken aber sagt er sich: „Tiens, tiens! der Poet versteht es also mit Geld umzugehen und zu sparen, während meine anderen Herren Neffen nicht genug aus mir herauspumpen können und doch immer noch Schulden haben. Ich will mir es merken.“

Der ruhmgekrönte Poet bezog wieder seine kleine Stube; der Onkel zog, wie wir schon gesagt, nach Paris – und es vergingen wieder einige Jahre.

Da kamen zwei Todesfälle vor, die beide auf das Leben unseres Poeten einen großen Einfluß haben sollten; der eine Todesfall in Marseille, der andere in Paris. – In Marseille starb der englische Consul, Mstr. Morston, und da er kinderlos war, vermachte er sein ganzes Vermögen, volle sieben Millionen, seiner schönen und treuen Frau, nachdem er ihr gerathen, den guten Gustav Atron, der sie so treu und ehrenwerth liebe, sobald als schicklich zu heirathen. In Paris starb der alte Herr Jacques Atron und vermachte unter der Bedingung, daß er ihn im Costüme Louis XVI. begraben lasse, sein ganzes Vermögen von acht Millionen seinem Neffen, dem Poeten Gustav Atron, als einem Mann, der es verstehe mit Geld umzugehen. Ein Jahr nach diesen beiden Todesfällen sah sich also der Poet, wie man in Frankreich sagt, à la tête, an der Spitze von fünfzehn Millionen Franken. Der Leser glaube nicht, daß ich ihm hier fabelhafte runde Summen nenne und daß ich mit den Millionen wie ein Romanschreiber umgehe. Ich erzähle hier Thatsachen, und die Summen sind eben so authentisch als die Thatsachen.

Der Verfasser der „Tochter des Aristides“ hatte nun Ruhm, die geliebteste und ausgezeichnetste Frau und ein ungeheueres Vermögen.

Wer war glücklich? – Der Poet war es nicht!

Ich will ja nicht psychologische Abhandlungen schreiben, auch die hier behandelten Stoffe nicht künstlerisch abrunden, sondern einfach berichten. So füge ich nur in wenigen Worten das Ende bei. Der Poet, der auf seiner Dachstube, mit seinem kleinen Gehalte, in seiner Sehnsucht nach der Geliebten so glücklich gewesen, wurde, da Alles, was er ersehnte, wie ein Regen plötzlich auf sein Haupt fiel, der unglückseligste Mensch: er wurde ein Geizhals, so ein rechter Geizhals, wie er geschrieben steht, wie ihn Molière und Balzac geschildert haben. Um seine Ausgaben so viel als möglich zu beschränken, hat er sich mit einer Haushälterin in ein kleines Haus in der Nähe von Marseille, in eine sogenannte Bastide zurückgezogen und verbringt daselbst Tage und Nächte in beständiger Angst, daß die Bankhäuser, die sein Geld verwerthen, zu Grunde gehen und daß ihm Diebe das wenige Geld, das er bei sich hat, entwenden. Die Gabe der Dichtung ist von ihm gewichen und – was schlimmer ist – seine holde Frau, müde des häßlichen Schauspiels, wie eine Menschenseele verwittert, hat ihn verlassen. Sie lebt in Paris und sucht im Umgange der Besten ihr Unglück zu vergessen. Sie ist immer liebenswürdig und anmuthig, aber die Erkenntniß von der Nichtigkeit menschlichen Glückes hat einen Schleier von Melancholie über ihr ganzes holdes Wesen gebreitet.




Ein Gang durch den Tandelmarkt in Wien.

Von C. Reinhardt.

Der fortschreitende Zeitgeist wird bald wieder ein Stück des alten Wien unter seinem Fußtritt zermalmen. In kurzer Zeit soll jene originelle Barrackenstadt verschwinden, welche, ein Zeughaus für Jene, die nur Altes, Gebrauchtes, suchen, sich am Ufer der Wien hinzieht und den Namen Tandelmarkt führt.

Ein wunderbares Chaos von Gegenständen bietet sich hier dem Auge des Durchwandelnden, welches ruhelos umherschweifend Sachen neben einander erblickt, die sonst im gewöhnlichen Leben niemals zusammentreffen. Wo hat schon Jemand gesehen, daß sich ein beschäftigungsloser Schubkarren, vertraulich an einen Schornstein lehnt, wie wir dies gleich am Eingange des Tandelmarktes erblicken?

An der äußeren, dem Fuhrweg zugekehrten Seite hat der Eisenhandel seinen Sitz aufgeschlagen. Unzählige Ofenröhren harren hier des Rauches, der sie durchziehen soll. Frierende Oefen, die lange nichts Warmes in den Leib bekommen haben, und auf denen wohl gar schon Wochen lang der Schnee lag (was für einen respectabeln Ofen ein jammervoller Zustand sein muß), stehen da auf langen dünnen Beinen, als wollten sie jeden Augenblick davonlaufen. Aber ach, die Armen sind mit Ketten an einander geschlossen, wie die Galeerensclaven, und wollte sich ja ein nächtlicher Entführer eines solchen Ofens annehmen, so müßte er wenigstens zehn seiner angeketteten Cameraden mitschleppen, was doch wohl nicht ganz ohne Aufsehen abgehen würde.

Neben den obenerwähnten Schubkarren, die, in süßes Nichtsthun versunken, ihre Beine gen Himmel strecken, stehen lungernd und in tiefe Verwunderung über ihren ungewohnten Standpunkt versunken, eiserne Schornsteine mit ihren Windkappen und denken über ihre verfehlte Bestimmung nach. Sie, die gewohnt waren, von den höchsten Dachfirsten auf das Leben herniederzublicken, stehen jetzt fast unter der Fahrstraße und blicken neugierig in die vorbeifahrenden Fiaker und Comfortables, was ihnen von ihrem früheren Standpunkte aus geradezu unmöglich war. Ein ernsthafter, etwas vom Wetter mitgenommener Türke, den der Künstler vor vielen Jahren auf die Eisentafel malte, die jetzt seinen eigentlichen Werth ausmacht, sieht rauchend auf eine Reihe kupferner Kessel nieder, die einer in den anderen gesteckt, wie Papiertüten, auf den Mann lauern, der einen kupfernen Kessel braucht.

Es kümmert den Moslem nicht im Geringsten, daß sich zwei christliche Grabkreuze mit der Aufschrift: „Hier ruhet etc.“ an ihn lehnen, ebensowenig wie diese sich um die Bratmaschine kümmern, welche zwischen ihnen steht, und welche einigen Trost in der feiernden Kaffeemühle findet, die wiederum nach jenen glänzenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_767.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2023)