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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die letzten Augenblicke des Herzogs von Reichstadt.

Die Julirevolution, welche den Sturz der Bourbonen herbeiführte, lenkte noch einmal die Blicke Frankreichs auf den halbvergessenen „König von Rom.“ Die Bonapartisten traten mit dem Fürsten Metternich in Unterhandlung und forderten von ihm die Erlaubniß, den Herzog von Reichstadt nach Frankreich zu führen. Aber der österreichische Staatsmann wies ihren Vorschlag zurück, indem er es für unthunlich hielt, „ohne Bonaparte Bonapartismus zu machen.“

Auch an directen Aufforderungen von Seiten der Napoleoniden, welche bei dieser Gelegenheit eine ungemeine Thätigkeit entfalteten, fehlte es nicht. Die Gräfin Napoleone Camerata, eine Nichte des Kaisers, eilte nach Wien, um den Herzog aus seinem dumpfen Brüten aufzustacheln. Die kühne, abenteuerliche junge Frau lauerte ihm heimlich auf und mahnte ihn, nicht als „österreichischer Erzherzog,“ sondern als „französischer Prinz“ zu handeln. Sie beschwor ihn „im Namen der abscheulichen Qualen, wozu die Könige Europa’s seinen Vater verdammt, im Hinblick auf jenen langen Todeskampf des Geächteten, bei dem Andenken des Sterbenden, dessen letzter Blick auf das Bild des Sohnes gerichtet war“, zu handeln, und die ihm gebotene Gelegenheit zu benutzen.

Auf all diese Herausforderungen gab der Herzog nur die eine Antwort: „Ich kann nicht als Abenteurer nach Frankreich zurückkehren! Möge die Nation mich berufen, und ich werde Mittel finden, dahin zu gelangen.“

Aber sein Herz wurde zerrissen; der unbefriedigte Ehrgeiz drohte ihn aufzureiben, eine fieberhafte Unruhe hatte sich seines Geistes bemächtigt; mehr als je empfand er das Drückende seiner unglücklichen, zweideutigen Lage. Die Kriegsrüstungen, welche in Folge der Julirevolution überall und auch in Oesterreich stattfanden, versetzten ihn in die allergrößte Aufregung, Seine Neigungen geriethen in den heftigsten Widerstreit mit seinen Gefühlen und Erinnerungen.

„Aber,“ sagte er zu Prokesch, „theilnehmen an einem Angriffskriege gegen Frankreich! Wie kann ich das? was würde man von mir denken? Ich würde die Waffen nur in dem Fall tragen dürfen, wenn Frankreich Oesterreich angriffe. Doch nein!“ fügte er, von neuem Zweifel ergriffen, mit bewegter Stimme hinzu, „das Testament meines Vaters schreibt mir die Pflicht vor, niemals in irgend einer Weise Frankreich zu bekämpfen oder ihm Schaden zu thun. Diese Vorschrift soll die Handlungen meines Lebens leiten.“

Glücklicher Weise trat der gefürchtete Fall nicht ein; Louis Philipp, der Bürgerkönig, bestieg den Thron der verjagten Bourbonen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_761.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)