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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Kann Bornstein nichts für Dich thun? Er schreibt doch so liebreich, so theilnehmend über Deinen Unfall! Lies selbst.“

Rosaura reichte Aurelio das Billet des Obergerichtsrathes, der es zerstreut, mit irrenden Blicken überflog. Ohne Antwort gab er es dann der Gräfin wieder zurück.

„Du scheinst mit den Vor- oder Rathschlägen unseres Freundes nicht einverstanden zu sein,“ sagte Rosaura schüchtern.

„Doch, doch,“ erwiderte Graf von Weckhausen. „Er meint es sehr gut, denn er ist zum Entsetzen ehrlich! Nun aber laß uns zur Ruhe gehen! … Der Schlaf wird mich erquicken, und über Nacht kommen mir wohl auch gute Gedanken! …“

Rosaura, obwohl von dem seltsamen Wesen ihres Gatten beunruhigt, entschlief bald, Aurelio aber blieb wach. Er stellte sich schlafend, bis er sich überzeugt hatte, daß Rosaura fest entschlummert sei.

Darauf erhob er sich von seinem Lager und begab sich nach seinem Zimmer. Hier wühlte er geraume Zeit in Papieren, von denen er eins bei Seite legte. Dann öffnete er den eleganten Schrank, in welchem eine Menge werthvoller Gold- und Silbergeräthschaften aufbewahrt wurde, theils Geschenke, die das gräfliche Paar bei seiner Vermählung erhalten hatte, theils Gegenstände von denen, welche Aurelio von dem genuesischen Hause an Zahlungsstatt erhalten haben wollte. Unter diesen Werthsachen befand sich auch der kunstvoll gearbeitete Pokal, den der Domcapitular für ein Werk Benvenuto Cellini’s oder eines seiner Schüler hielt.

Aurelio nahm diesen Pokal, ergriff dann das Papier, öffnete es und rieb die starke goldene Höhlung so stark damit aus, daß es sich unter dem Druck seiner Finger fast ganz auflöste. Dann suchte er zum zweiten Male sein Lager auf, das er nicht eher, als am Morgen wieder verließ.

Rosaura’s Antlitz überflog ein glückliches Lächeln, als sie Aurelio beim Erwachen dem äußeren Anschein nach ganz heiter erblickte. Nur in seinem Auge dämmerte bisweilen eine Wolke, die es vorübergehend trübte.

Von den beunruhigenden Mittheilungen war zwischen dem gräflichen Paar nicht die Rede. Rosaura schmückte sich mit Sorgfalt für die Abendgesellschaft bei ihrem Oheim, und bestieg hoffnungsmuthig mit Aurelio den Wagen, welcher Beide nach der Stadt trug. –

Die nur aus wenigen Personen bestehende Gesellschaft war belebt, und der Graf von Weckhausen trug, wie man dies schon an ihm gewohnt war, viel bei zu deren Unterhaltung. Da er sich gewissermaßen als Wirth des Hauses betrachten durfte, übernahm er auch bereitwillig die Pflichten eines solchen.

Mit Bornstein wechselte Aurelio nur wenige Worte, desto öfter ruhten seine Blicke auf demselben. Dieser behandelte dafür Rosaura mit ausgesuchter Aufmerksamkeit, die man für gewöhnlich an dem sehr ruhigen Manne eher vermißte. Dem Grafen, dem diese Aufmerksamkeit nicht entging, entlockte sie nur ein Lächeln.

„Sie haben mir einen fatalen Streich gespielt, Herr Simonides,“ redete Aurelio den Juwelier an, als er mit demselben zusammentraf. „Ich werde Sie dafür strafen.“

Simonides lächelte ebenfalls, sein Auge aber glitt düster und traurig von der vornehmen Erscheinung des Grafen auf die liebliche Rosaura, die wie eine Fee den Salon durchwandelte, und durch ihre Grazie und Liebenswürdigkeit Jeden bezauberte.

„Du hast etwas vergessen, Geliebte,“ flüsterte der Graf seiner Gattin im Vorübergehen heimlich zu.

„Was könnte das sein?“ entgegnete Rosaura.

„Der Pokal, der bei keinem frohen Mahle fehlen soll.“

„Bitte, verzeihe mir!“

„Du warst zu beschäftigt und wohl auch zu aufgeregt, Teuerste,“ fuhr der Graf fort. „Zum Glück dachte ich an den Becher und habe ihn mitgenommen. Du wirst ihn auf der Tafel wieder finden.“

„Wie dank’ ich Dir!“ rief Rosaura froh bewegt, und drückte Aurelio zärtlich die Hand.

„Wir wollen diesen Kelch wie immer, wenn wir glücklich waren, zusammen leeren,“ sprach der Graf. „Wie er uns bindet, so wird er das auf Momente mir untreu gewordene Glück uns auch wieder zurückführen.“

Rosaura entfernte sich mit lächelndem Augenwink, da sie Bornstein herankommen sah.

„Ich habe mir erlaubt, Herr Graf,“ redete der Obergerichtsrath Aurelio an, „noch einen Gast Ihnen zuzuführen, „einen Bekannten, der Ihnen zu Dank verpflichtet ist.“

Der Graf verbeugte sich, ohne etwas zu erwidern.

„Sie werden erstaunt sein über diese Bekanntschaft,“ fuhr Bornstein fort, „ich verspreche aber, Ihnen jeden gewünschten Aufschluß zu geben, das heißt, wenn Sie es für nöthig erachten sollten.“

Aurelio’s Antwort bestand in einer abermaligen stummen Verbeugung.

„Finden Sie nicht,“ ergriff der Obergerichtsrath von Neuem das Wort, „daß Herr Simonides in merkwürdig gedrückter Stimmung zu sein scheint?“

Aurelio verneinte.

„Ganz gewiß, er ist nicht heiter,“ betheuerte Bornstein. „Zufällig kenne ich auch den Grund seiner Verstimmung.“

„Was wäre Ihnen nicht bekannt!“ sagte Graf von Weckhausen.

„Ich weiß allerdings Manches, was Andern verborgen bleibt,“ fuhr der Obergerichtsrath fort, „doch halte ich dies für kein Verdienst. Es ist das natürliche Ergebniß der Stellung, die ich einnehme.“

Er zog jetzt den Grafen mit sich in eine Fensternische und hier ihn festhaltend, sagte er schnell:

„Man hat bei dem Juwelier in aller Stille vergangene Nacht Haussuchung gehalten …“

Aurelio ward ungeduldig. Er wollte gehen, Bornstein aber legte seinen Arm in den des Grafen.

„Die Diamanten und andern Edelsteine aus dem Diadem der fürstlichen Familie von O* sind zum Theil in den Besitz des Herrn Simonides übergegangen. – Der Mann, welcher sie ihm zu Kauf und Tausch anbot, ist ein vornehmer Herr … der Marchese …“

„Marchese Oruna!“ meldete in diesem Augenblick der Bediente, die Flügelthür des Salons öffnend, und herein trat, von noch einem andern Herrn begleitet, der Genannte.

„Ach, Marchese Oruna!“ wiederholte Bornstein. „Sie haben auf sich warten lassen.“

Der Graf zitterte, als das Auge des Marchese ihn traf.

Rosaura erschrak ebenfalls und ward bleich.

„Gnädige Gräfin,“ fuhr Bornstein fort, dem Begleiter des Marchese einen verhüllten Gegenstand abnehmend, „Sie erlauben, daß ich behülflich bin, den Grafen eines Versprechens zu entbinden, das ihn lange schon drückt, Sie erhielten eines Tages ein Kästchen von Ebenholz in dem sich ein sehr alter Schmuck befand. Der Graf, welcher Sie mit diesem Geschenk überraschte, wollte den Schmuck mit einem modernen entweder vertauschen, oder ihn anders fassen lassen. Zu diesem Behufe erhielt ihn Herr Simonides vor einiger Zeit. Leider hat sich nun aber ein Unglücksfall ereignet. Der Schmuck ist verschwunden …“

„Verschwunden? …“ rief mehr als eine Stimme.

Graf von Weckhausen trat in den glänzend erhellten Speisesaal, der jetzt von den Bedienten geöffnet wurde.

„Ja, verschwunden!“ betheuerte Bornstein. „Das Verschwinden scheint eine eigenthümliche Eigenschaft dieses alten Schmuckes zu sein, denn schon einmal verschwand er anderwärts … aus dem Schatze der Fürsten von O* ....“

„Er ward geraubt?“ rief Rosaura aus. „Und Aurelio …“

„Gnädige Frau Gräfin,“ fiel Bornstein der Erschrockenen ins Wort, „die Kobolde, welche bei jenem seltsamen Verschwinden thätig waren, hielten nicht reinen Mund. So ward es möglich, den verschwundenen Schatz zu entdecken. Aber seltsam, kaum ward er durch Simonides ermittelt, als der werthvolle Inhalt des Ihnen bekannten Kästchens sich verwandelte. Beweis genug, daß, wie der Herr Graf behauptet, Geisterhände bei dem Verschwinden thätig sein mußten,“

Aurelio lehnte an der Tafel und ergriff wie spielend den goldenen Becher.

„Der Herr Graf mag sich von der Wahrheit meiner Worte überzeugen,“ fuhr der Obergerichtsrath fort. „Der Marchese wird die Güte haben, das Kästchen vor ihm zu öffnen und zugleich die Bitte an ihn richten, den jetzigen Inhalt desselben brüderlich mit ihm zu theilen.“

Auf einen Wink Aurelio’s schenkte ein Diener ihm Wein in den alten Becher. Der Graf leerte den Pokal in einem Zuge.

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