Seite:Die Gartenlaube (1859) 753.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

zur Mäßigung und Besonnenheit zurückbrachte, daß er vielmehr, in verdoppelter Leidenschaft, jeden Schein von Form und Recht selbst zerstörte und frech, jener einzelnen Knechtsstimme folgend, aus eigener Macht das Todesurtheil über alle Gefangene aussprach.

Als Conradin diese Nachricht beim Schachspiel erhielt, verlor er die Fassung nicht, sondern benutzte gleich seinen Unglücksgefährten die wenige ihnen gelassene Zeit, um sein Testament zu machen und sich mit Gott durch Gebet und Beichte auszusöhnen.

Unterdeß errichtete man in aller Stille das Blutgerüst dicht vor der Stadt, nahe bei dem später sogenannten neuen Markte und der Kirche der Karmeliter. Es schien, als sei dieser Ort boshaft ausgewählt morden, um Conradin alle Herrlichkeiten seines Reiches noch einmal zu zeigen. Die Wogen des hier so schönen als friedlichen Meeres dringen nämlich bis dahin, und der diesen herrlichsten aller Meerbusen einschließende Zauberkreis von Portici, Castellamare, Sorrento und Massa stellt sich, durch den blendenden Glanz südlich reiner Lüfte noch verklärt, dem erstaunten Beobachter dar. Auf furchtbare Mächte der Natur deutet jedoch das zur Linken sich erhebende schwarze Haupt des Vesuv, und rechts begrenzen den Gesichtskreis die schroffen, zackigen Felsen der Insel Capri, wo einst Tiberius, ein würdiger Genosse Karls von Anjou, frevelte.

Standbild Conradin’s
in der Kirche Maria del Carmina in Neapel.

Am 29. October 1268, zwei Monate nach der Schlacht bei Scurcola, wurden die Verurtheilten zum Richtplatz geführt, wo der Henker mit bloßen Füßen und aufgestreiften Aermeln schon ihrer wartete. Nachdem König Karl in dem Fenster einer benachbarten Burg einen angeblichen Ehrenplatz eingenommen hatte, sprach Robert von Bari, jener ungerechte Richter, auf dessen Befehl: „Versammelte Männer! Dieser Conradin, Conrads Sohn, kam aus Deutschland, um als ein Verführer seines Volkes fremde Staaten zu ernten und mit Unrecht rechtmäßige Herrscher anzugreifen. Anfangs siegte er durch Zufall; dann aber wurde durch des Königs Tüchtigkeit der Sieger zum Besiegten, und der, welcher sich durch kein Gesetz für gebunden hielt, wird jetzt gebunden vor das Gericht des Königs geführt, welches er zu vernichten trachtete. Dafür wird, mit Erlaubniß der Geistlichen und nach dem Rathe der Weisen und Gesetzverständigen, über ihn und seine Mitschuldigen als Räuber, Empörer, Aufwiegler, Verräther, das Todesurtheil gesprochen und, damit keine weitere Gefahr entstehe, auch sogleich vor Aller Augen vollzogen.“

Als die Gegenwärtigen dies sie größtentheils überraschende Urtheil hörten, entstand ein dumpfes Gemurmel, welches die lebhafte Bewegung der Gemüther verkündete; aber Alle beherrschte die Furcht, und nur Robert Graf von Flandern, des Königs eigener Schwiegersohn, ein so schöner als edler Mann, sprang, seinem gerechten Zorn freien Lauf lassend, hervor und sprach zu Robert von Bari: „wie darfst Du frecher, ungerechter Schurke einen so großen und herrlichen Ritter zum Tode verurtheilen?“ – und zu gleicher Zeit traf er ihn mit seinem Schwerte dergestalt, daß er für todt hinweggetragen wurde. Der König verbiß seinen Zorn, als er sah, daß die französischen Ritter des Grafen That billigten; – das Urtheil aber blieb ungeändert. Hierauf bat Conradin, daß man ihn noch einmal das Wort verstatte, und sprach mit großer Fassung: „Vor Gott habe ich als Sünder den Tod verdient, hier aber werde ich ungerecht verdammt. Ich frage alle die Getreuen, für welche meine Vorfahren hier väterlich sorgten, ich frage alle Häupter und Fürsten dieser Erde: ob der des Todes schuldig ist, welcher seine und seiner Völker Rechte vertheidigt? Und wenn auch ich schuldig wäre, wie darf man die Unschuldigen grausam strafen, welche, keinem Andern verpflichtet, in löblicher Treue mir anhingen?“ – Diese Worte erzeugten Rührung, aber keine That; und der, besten Rührung allein hätte in Thaten übergehen können, blieb nicht blos versteinert gegen die Gründe des Rechts, sondern auch gegen die Eindrücke, die Stand, Jugend und Schönheit der Verurtheilten auf Jeden machten. Da nun, aller Hoffnung einer Aenderung des ungerechten Spruches beraubt, umarmte Conradin seine Todesgenossen, besonders Friedrich von Oesterreich, zog dann sein Oberkleid aus und sagte, Arme und Augen gen Himmel hebend: „Jesus Christus, Herr aller Creaturen, König der Ehren! Wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen soll, so befehle ich meinen Geist in Deine Hände!“ Jetzt kniete er nieder, rief aber dann noch einmal, sich empor richtend, aus: „o Mutter, welches Leiden bereite ich Dir!“ Nach diesen Worten empfing er den Todesstreich. – Als Friedrich von Oesterreich das Haupt seines Freundes fallen sah, schrie er in unermeßlichem Schmerze so laut auf, daß Alle anfingen zu weinen. Aber auch sein Haupt fiel. Nach diesen mordete man noch Mehrere. Die Leichen der Hingerichteten wurden nicht in geweihter Erde begraben, sondern am Strande des Meeres verscharrt.

Zu all diesen Herzzerreißenden Thatsachen, die man nach genauester Prüfung als geschichtlich betrachten muß, hat Sage und Dichtung noch Manches hinzugefügt, was den schönen Sinn Theilnehmender bekundet, aber mehr oder weniger der vollen Beglaubigung ermangelt. Ein Adler, so heißt es, schoß nach Conradins Hinrichtung aus den Lüften berab zog seinen rechten Flügel durch das Blut und erhob sich dann aufs Neue. Der Henker ward, damit er sich nicht rühmen könne, solche Fürsten enthauptet zu haben, von einem Andern niedergestoßen. Die Stelle des Richtplatzes ist, ein ewiges Andenken der thränenwerthen Ereignisse, seitdem immer feucht geblieben. Conradins Mutter eilte nach Neapel, ihren Sohn zu lösen, kam aber zu spät und erhielt blos die Erlaubniß, eine Kapelle über seinem Grabe zu bauen; mit welcher Erzählung unvereinbar Andere jedoch wiederum berichten, daß die Karmeliter aus Mitleid oder für Lohn den Leichnam Conradins nach Deutschland gebracht hätten u. s. w.

Soviel ist gewiß, daß eine starke Säule von rothem Porphyr und eine darüber erbaute Kapelle, – mögen sie nun später von reuigen Königen, oder theilnehmenden Bürgern, oder auf Kosten Elisabeths aufgerichtet worden sein, – Jahrhunderte lang die Blutstelle bezeichneten, bis in unsern gegen Lehren und Warnungen der Vorzeit nur zu gleichgültigen Tagen die Säule weggebracht, die Kapelle zerstört und an ihrer Stelle ein Schenkhaus angelegt wurde!“

Soweit über Conradin und dessen Begräbnißstätte der große, deutsche Historiker. An Ort und Stelle erfuhren wir, daß Kirche und Kloster Maria del Carmine von Conradins Mutter, Elisabeth von Baiern, mit dem Gelde gegründet worden sei, das sie zu seiner Loskaufung mitgebracht hatte, eine Angabe, die durch den Baustyl der Kirche, welcher unzweifelhaft dem Beginn der Zopfperiode angehört, mehr als unwahrscheinlich gemacht wird. Ihr Aeußeres entspricht ganz dem traurigen, nichtssagenden Geschmacke des 16. und 17. Jahrhunderts, das Innere ist reich mit Marmor, Gold, Schnörkeleien und Posaunenengeln überladen. Hinter dem Hochaltar befindet sich das gemeinschaftliche Grab der beiden ritterlichen Freunde, Conradin und Friedrich. Einer der Mönche des Klosters führte uns dorthin und zeigte uns beim Schein einer Wachskerze zwei seitlich angebrachte Tafeln, eine alte, die uns mittheilt, daß hier die sterblichen Ueberreste der beiden Helden Ruhe gefunden, und eine neuere mit der Inschrift, daß die irdische Hülle Conradins am 14. Mai 1847 von hier weggebracht und unter seinem Standbilde beigesetzt sei. Ein schwerer, marmorner Sarkophag in Rococo deckt die Grabstätte. Es scheint ganz unzweifelhaft,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_753.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2023)