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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ein Ritt in die Niederungswälder des Dniepr.

Von Dr. Wilhelm Hamm.
(Schluß.)
Ein Seelenverkäufer. – Biographie des Schatzgräbers. – Wie der Schatzgräber zu seiner Frau kam. – Allein im Urwald. – Theater in der Steppe.

Der kleine Fluß bildete einen Bogen, und eine Stelle in dessen Bezirk war von Schilf und Gestrüpp geklärt. Hier stand eine kegelförmige Hütte aus in die Erde gesteckten, oben verbundenen Baumschößlingen, mit Rasen bedeckt, das getreue Abbild eines indianischen Wigwam. Weiches Heu bildete das ganze Mobiliar derselben. Hier wohnte Lehmann, der Schatzgräber, während der Zeit des Heuwerbens. Er hatte diese Arbeit in einem District der Plawni zu beaufsichtigen; eigentlich war er Prikaschtschik oder Schäfereiverwalter auf einem der Vorwerke jenseits des Dniepr. Nachdem er uns Allen die Hände geschüttelt und mich besonders als speciellen Landsmann mit ausgesucht sächsischer Höflichkeit begrüßt hatte, eilte er zu seiner Kochstelle in einem nahen, hohlen Weidenbaum; hier entfachte er ein prasselndes Feuer und hing darüber den halbkugelförmigen Kessel aus Gußeisen auf, welcher das unentbehrlichste Geräth jeder russischen Haushaltung ist; er füllte ihn mit Wasser und wies den Reitknecht an, des Kochamtes zu walten. Er selber rief: „Ich hole die Krebse; wollen sich’s die Herrschaften nicht bequem machen?“ und stieg in einen winzig kleinen Kahn, den er mit einer langen Stange flußabwärts stieß bis zu dem tiefern Tümpel, wo sein Krebskasten verwahrt lag. „Betrachten Sie jenes Fahrzeug,“ sprach mich der Onkel, auf das Schifflein deutend, an. „Da haben Sie wieder ein Stück, das zum Urwald paßt. Der Kahn ist aus einem Weidenstamm ausgehauen, er faßt nur einen einzigen Menschen und es gehört Geschicklichkeit dazu, sich darin im Gleichgewicht zu erhalten. Daher stammt auch sein Name. Sie wissen vielleicht, daß man draußen in Europa (in Rußland spricht man nicht vom Ausland, sondern von Europa!), am Rhein, die kleinste Art der Kähne „„Seelenverkäufer““ nennt? Nun, gerade so heißen sie auch hierzuland, nämlich „Duschakupka“, wörtlich übersetzt, und ich möchte nur wissen, wo die Bezeichnung zuerst entstanden oder ob sie von beiden Völkern gleichzeitig erfunden worden ist!“

Wir hatten uns mittlerweile auf ein schattiges Plätzchen gelagert; angelegentlich fragte ich nach der Lebensgeschichte des sonderbaren Landsmannes, den ich hier in der Wildniß gefunden. Sie war ziemlich einfach. Lehmann stammt aus Mittweida oder dessen Nähe, und kam vor beinahe vierzig Jahren als Schäfer nach Rußland; dreiunddreißig Jahre lang verwaltet er seinen gegenwärtigen Posten. Er hält sich für einen sehr gebildeten Mann, ja für einen Gelehrten, verachtet daher gründlich seine Collegen und „das Volk“; er besitzt eine Bibliothek und studirt viel; aber sein Studium erstreckt sich nur auf „die höhere Welt“; Dr. Faust’s Höllenzwang, der Clavis Salomonis, Traumbücher und Prophezeihungen füllen alle seine Mußestunden, und seine Hauptleidenschaft, ja das Dichten und Trachten, der Angelstern seines ganzen Lebens ist das Schatzgraben. Dieses hat er zu einer wahren Wissenschaft gemacht und betreibt es mit aller Umsicht eines bewährten Adepten. Kein verrufener Ort, keine Ruine, kein altes Tatarengrab ist sicher vor seinem Spaten; wenn ein altes Weib ein Lichtlein hat tanzen sehen am sumpfigen Busch, gleich ist er hinterher und wühlt sich ein, wie ein Maulwurf; und er hat dabei Glück gehabt, denn er fand mehrere hübsche Stücke Bernstein, welcher längs des Dnieprs nicht selten ist. Vielleicht ist das seltsame Treiben des alten Mannes durch die Oertlichkeit erweckt worden, in der er lebt, denn hier auf den Dnieprinseln waren die geheimnißvollen festen Lager der Saporoger, jener kühnen Freibeuter, welche bald die Polen, bald die Tataren auf eigene Faust bekriegten, keinem Scepter, nicht einmal dem des Czaren, unterthan, unermeßliche Schätze zusammenschleppten und vergeudeten. Und dazu noch der Kranz der zahllosen „Mogilen“ oder Hünengräber rings auf der Steppe, von welchen einige, geöffnet, Gerippe, Waffen und goldenen Schmuck in Fülle zu Tage boten – Veranlassung genug, aus dem träumerischen Schäfer einen fanatischen Schatzgräber zu machen. So hieß er auch, der Kladokopatelj, bei Alt und Jung, Russen und Deutschen, weit und breit. Mancherlei Scherze wurden mit ihm getrieben. Der Onkel hatte vor mehreren Jahren bei allen Bekannten alte Münzen, Silber und Kupfer, gesammelt; letzteres bildete die Mehrzahl, aber er selbst hatte ein abgegriffenes Goldstück dazugeopfert, und das Ganze, in einen antiken Scherben gepackt, auf dem alten Saporoger Kirchhof bei Pawkrosk kunstvoll vergraben. Der Schatzgräber erhielt Nachricht von einer bläulichen Flamme – es war ein Spiritusfeuer! – die sich daselbst zeige, und in der Nacht darauf hob er wirklich muthig den Schatz. „Sie hätten das Gesicht sehen sollen, mit dem er zu uns kam!“ fuhr der Onkel, in der Erinnerung lachend, fort. „Stolzer war noch kein Kaiser, sicherer kein Weltweiser! Zwar ward er sehr verblüfft, als ihm später der gespielte Streich entdeckt und ein Verzeichniß der Münzen und ihrer Geber vorgelegt ward, allein gar bald gewann er seine Siegesfreude wieder, denn unglücklicherweise war gerade ein silbernes Hauptstück des Fundes darin anzuführen vergessen worden! Und so ist und bleibt er denn der „Schatzgräber“, und wenn Sie wollen, können Sie ihn heute Nacht an jeden beliebigen Ort sprengen; ohne den Spaten in der Hand geht er nie aus.“ –

Eben kam der Schatzgräber wieder zurück in der Duschakupka und brachte ein Netz voll der größten Krebse, die er unbarmherzig in das brodelnde Wasser des Kessels warf. Dann deckte er eine Grube hinter deiner Hütte auf und holte einen Ständer voll Quaß hervor, der mit allerlei Kräutern und Baumblättern gewürzt war. Das säuerliche Getränk schmeckte köstlich in der sonnigen Schwüle, nicht minder die Krebse, wenn sie gleich das stauende Element verriethen, dem sie entnommen waren. Lehmann wartete auf mit einer Würde, welche hoch ergötzlich war; besonders machte er sich um die schöne Soninka zu schaffen, suchte ihr die besten der Panzerthiere aus und war in einer Weise verbindlich und civilisirt artig, die im grellsten Widerspruch zu seinem barocken Costüm und Aussehen stand. Unter Scherzen und Neckereien ging das improvisirte Mahl vorüber. „Schatzgräber,“ sagte der Onkel, „Du hast uns königlich bewirthet und verdienst königlichen Dank. Ich weiß etwas für Dich, aber ich sage Dir’s nicht eher, als bis Du diesem fremden Herrn erzählt hast, wie Du zu Deiner Frau gekommen bist.“ – „Ach, Herr Onkel, Sie wollen wieder über mich lachen,“ entgegnete der Alte. – „Nein, gewiß nicht!“ betheuerte der Spötter. „Die Geschichte ist viel zu ernst und interessant dazu.“ – „Aber Sie haben sie ja schon oft gehört.“ – „Einerlei, so etwas kann man nie genug hören.“ – „Bitte, lieber Herr Lehmann, erzählen Sie!“ schmeichelte auch Fräulein Soninka, da konnte er nicht widerstehen. Mit gekreuzten Beinen setzte er sich uns gegenüber, wie ein kirgisischer Schamane, und begann mit verschämtem Lächeln:

„Es ist jetzt schon ziemlich lange her, die Ueberschwemmung war gerade sehr groß, stärker als gewöhnlich, da machte ich mich eines Morgens in der Duschakupka auf, um nach einigen Skirden (Heuschobern) zu sehen, die ich gefährdet glaubte. Lustig und guter Dinge fuhr ich dahin, bald mußt’ ich mich durch dichtes Schilf arbeiten, bald durch Baumäste, aber ich kannte so ziemlich die Richtung, wenn auch zu Wasser Alles ganz anders aussieht, wie zu Land. Endlich kam ich in’s Freie, wie ein weiter See lag es vor mir, ich strebte quer hinüber nach einer Waldspitze, der Marke meiner Fahrt. Aber auf einmal fand ich mit der Stange keinen Grund mehr und eine heftige Strömung riß mich fort, gerade nach der entgegengesetzten Seite. Aergerlich stieß ich fortwährend rechts und links um mich, den Boden zu suchen, plötzlich fand ich ihn auch, hatte aber so tief und kräftig eingestoßen, daß mir die Stange entfuhr und ich nun hülflos dahin schwamm. Eine schöne Geschichte! dacht’ ich, war aber keineswegs verzagt, denn schon befand ich mich wieder zwischen den Bäumen. Ich versuchte einen Ast abzureißen, um mich seiner als Ruder zu bedienen, aber auf einem solchen kleinen Seelenverkäufer, der bei jeder Verletzung des Gleichgewichts umkippt, und bei der heftigen Strömung ging das durchaus nicht. Ich ergab mich daher in mein Schicksal, kauerte nieder, damit mich die Zweige nicht aus dem Schifflein schleudern konnten, trank einen Schluck Branntwein, den ich glücklicherweise bei mir führte, und trieb dahin. Nur vor Einem hatte ich Angst, nämlich, daß die Fluth mich dem großen Strom zuführe, dann wär’ ich in meiner Nußschale verloren gewesen. Allein so weit kam es glücklicherweise nicht. Als ich nach langen, bangen Stunden endlich wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen war,

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