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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

großen Einfluß der Einbildungskraft sowohl bei der Erzeugung als bei der Heilung von Krankheiten recht wohl kannte.

„Wenn man Wunder zu wirken wünscht,“ sagte er, „so abstrahire man von der Materialität der Wesen – man vermehre die Summe der Spiritualität in Körpern – man erwecke den Geist aus seinem Schlummer. Kann man nicht das eine oder das andere von diesen Dingen thun – kann man nicht die Idee fesseln, so kann man auch niemals etwas Gutes oder Großes zu Stande bringen.“ Und in der That, hierin liegt das ganze Geheimniß des Magnetismus und aller Täuschungen ähnlicher Art. Man steigere die Spiritualität – man rüttle den Geist aus seinem Schlummer wach, oder mit andern Worten, man wirke auf die Phantasie ein – man erwecke Glauben und blindes Vertrauen, und man kann Alles thun.

Zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts ward die Aufmerksamkeit Europa’s durch ein merkwürdiges Beispiel von Fanatismus beansprucht, welches die Anhänger des thierischen Magnetismus als einen Beweis für ihre Theorie geltend zu machen versucht haben. Die Convulsionäre oder Besessenen von St. Medardus, wie man sie nannte, versammelten sich in großen Massen um das Grab ihres Lieblingsheiligen, des jansenistischen Priesters Franz von Paris, und lehrten einander in Zuckungen fallen. Sie glaubten, der heilige Franz werde alle ihre Gebrechen heilen, und die Zahl hysterischer Frauen und schwachsinniger Personen aus allen Ständen, welche von nah und fern zu dem Grabmal geströmt kamen, war so groß, daß alltäglich sämmtliche dahinführende Zugänge förmlich versperrt wurden. Sich bis auf den äußersten Gipfel der Aufregung hinaufarbeitend, verfielen diese Personen eine nach der andern in Zuckungen, während einige von ihnen, die sich anscheinend noch im Besitz aller ihrer Geistesfähigkeiten befanden, sich freiwillig Qualen und Martern preisgaben, die unter gewöhnlichen Umständen hinreichend gewesen wären, ihnen das Leben zu rauben. Die Auftritte, welche hier stattfanden, waren eine Schande für die Civilisation und Religion – ein seltsames Gemisch von Obscönität, Widersinnigkeit und Aberglaube. Während Einige vor dem Schrein des heiligen Franz auf den Knieen lagen, kreischten Andere und machten den fürchterlichsten Lärm. Die Weiber strengten sich ganz besonders an. Auf der einen Seite der Capelle sah man ein paar Dutzend derselben alle in Convulsionen, während auf der andern ebenso viele, bis zu einem gewissen Grad von Wahnsinn aufgestachelt, sich die gröbsten Unanständigkeiten erlaubten. Einige von ihnen fanden ein wahnwitziges Vergnügen daran, sich schlagen und mit Füßen treten zu lassen. Eine davon war ganz besonders auf diese sonderbaren Caressen so erpicht, daß nur die empfindlichsten Hiebe sie zufriedenstellen konnten. Während ein Kerl von herkulischer Stärke mit einer schweren Eisenstange aus Leibeskräften auf sie losschlug, forderte sie ihn unaufhörlich zu erneueten Anstrengungen auf. Je heftiger er auf sie losschlug, desto besser gefiel es ihr, und sie rief fortwährend: „So ist’s recht, Bruder; so ist’s recht! O wie wohl das thut! Muth, lieber Bruder, Muth! Schlag derb, immer derber!“

Eine andere dieser Besessenen war womöglich eine noch größere Freundin vom Geschlagenwerden. Carré von Moutgéron, der dies erzählt, war nicht im Stande, sie durch sechzig Hiebe mit einem großen Schmiedehammer zufrieden zu stellen. Später bediente er sich, um einen Versuch zu machen, desselben Werkzeugs mit demselben Grade von Kraft, und es gelang ihm, mit dem fünfundzwanzigsten Hiebe ein Loch in eine steinerne Mauer zu schlagen. Ein anderes Weib, Namens Sonnet, legte sich, ohne eine Miene zu zucken, auf glühende Kohlen und erwarb sich dadurch den Beinamen des Salamanders, während Andere, die nach einem noch großartigeren Märtyrerthum trachteten, sich zu kreuzigen versuchten.

Während eines Zeitraums von sechzig oder siebzig Jahren war der Magnetismus fast einzig und allein auf Deutschland beschränkt. Männer von Verstand und Gelehrsamkeit widmeten ihre Aufmerksamkeit den Eigenschaften des Magnets, und ein gewisser Pater Hell, ein Jesuit und Professor der Astronomie an der Universität Wien, machte sich durch seine magnetischen Curen berühmt. Um das Jahr 1771 erfand er Stahlplatten von eigenthümlicher Form, die er zur Heilung verschiedener Krankheiten dem Patienten auf den bloßen Körper legte. Drei Jahre später theilte er sein System dem damals noch ganz unbekannten Anton Mesmer mit. Dieser bildete die Ideen des Pater Hell weiter aus, stellte eine neue, selbstausgearbeitete Idee darüber auf und ward auf diese Weise der Begründer des thierischen Magnetismus.

Die Feinde dieses neuen Irrglaubens haben Mesmer fast alle als einen gewissenlosen Abenteurer verschrieen, während seine Anhänger und Schüler ihn als Regenerator des Menschengeschlechts bis zum Himmel erhoben haben. Mit beinahe denselben Worten, die die Rosenkreuzer auf die Stifter ihrer Secte anwendeten, hat man ihn den Entdecker des Geheimnisses, welches den Menschen in nähere Beziehung zu seinem Schöpfer bringt, den Befreier der Seele von den erniedrigenden Fesseln des Fleisches und den Mann genannt, welcher uns in den Stand setzt, der Zeit zu trotzen und die Hemmnisse des Raums zu besiegen.

Eine sorgfältige Prüfung seiner Aussprüche und der zur Unterstützung derselben angeführten Beweise wird sehr bald zeigen, welche Meinung die richtigere ist.

Mesmer war im Mai 1733 zu Weil im Thurgau geboren und studirte Medicin auf der Universität Wien. Im Jahre 1766 promovirte er und wählte den „Einfluß der Planeten auf den menschlichen Körper“ zum Gegenstand seiner Inauguraldissertation. Da er dieses Thema ganz nach Art der alten astrologischen Aerzte behandelt hatte, so ward er deswegen, damals sowohl, als auch noch später, vielfach verspottet. Schon in jener frühen Periode seiner Thätigkeit keimten einige schwache Ideen seiner großen Theorie in seinem Geiste. In seiner Dissertation behauptete er, daß Sonne, Mond und Fixsterne gegenseitig auf einander einwirken, daß sie auf unserer Erde Ebbe und Fluth nicht blos im Meere, sondern auch in der Atmosphäre bewirken und auf gleiche Weise alle organisirten Körper durch das Medium einer subtilen beweglichen Flüssigkeit afficiren, welche das Weltall durchdringt und alle Dinge in Harmonie und Wechselwirkung bringt.

Dieser Einfluß, sagte er, werde besonders auf das Nervensystem ausgeübt und erzeuge zweierlei Zustände, welche er Intension und Remission nannte, worin er die verschiedenen, bei mehreren Krankheiten wahrnehmbaren periodischen Umwandlungen erklärt zu sehen glaubte. Als er später Pater Hell kennen lernte, ward er durch die von diesem gemachten Beobachtungen von der Wahrheit vieler seiner eigenen Ideen noch mehr überzeugt und nachdem er sich von Hell einige magnetische Platten hatte fertigen lassen, beschloß er, selbst Versuche damit anzustellen.

Der günstige Erfolg dieser Versuche setzte ihn in Erstaunen. Der Glaube der Träger der Metallplatten wirkte Wunder. Mesmer erstattete von Allem, was er vorgenommen, dem Pater Hell treulich Bericht, und Letzterer veröffentlichte diese Mittheilungen als die Resultate seiner eigenen glücklichen Erfindung, während er von Mesmer als von einem Arzte sprach, der nach seiner Anleitung curire. Mesmer nahm dies sehr übel, denn er hielt sich natürlich für eine weit wichtigere Person, als Pater Hell. Er nahm die Erfindung als seine eigene in Anspruch, beschuldigte Hell eines Vertrauensbruches und erklärte ihn für einen gemeinen Menschen, der von den Entdeckungen eines Andern Nutzen zu ziehen suche. Hell antwortete, und die Folge war ein ziemlich hitziger Streit, der mehrere Monate lang in Wien Gegenstand des Stadtgesprächs war. Hell errang zuletzt den Sieg. Mesmer ließ sich dadurch jedoch nicht entmuthigen, sondern fuhr fort, seine Ansichten zu veröffentlichen, bis er endlich auf die Theorie vom animalischen Magnetismus gerieth.

Einer seiner Patienten war eine junge Dame, welche an periodischen Convulsionen litt, die von Blutandrang nach dem Kopfe und Delirium begleitet waren. Es gelang ihm sehr bald, diese Symptome in sein System von dem Einfluß der Planeten einzupassen, und er glaubte die Perioden des Anfalls und des Rückganges voraussagen zu können. Nachdem er sich so auf ihm genügende Weise den Ursprung der Krankheit erklärt[WS 1], verfiel er auf die Idee, daß er sichere Heilung bewirken würde, wenn er sich vollständig von dem überzeugen könnte, was er schon lange geglaubt, nämlich daß zwischen den Körpern, aus welchen unser Erdball zusammengesetzt ist, eine ähnliche Wechselwirkung bestünde, wie zwischen den Himmelskörpern, vermittelst welcher Wirkung er die vorhin erwähnten periodischen Erscheinungen von Ebbe und Fluth auf künstliche Weise nachahmen könnte.




(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erkärt
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_739.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)