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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und stillen Verzweiflung des Freundes bald entdeckte. Er rieth ihm, die Bühne wieder zu verlassen, das lateinisch-juridische Vorbereitungsexamen zu machen, dann Jura zu studiren, um Advocat zu werden; Anders solle ihn einweisen, sodaß er in ein paar Jahren fertig sei. Adam schöpfte neuen Muth, nahm das freundschaftliche Anerbieten an, und begann unter Anders’ Leitung, 19 Jahre alt, mit Eifer wissenschaftliche Studien. Neben diesen ernsten Beschäftigungen lernte er Horaz kennen und versenkte sich in Goethe’s und Schiller’s Dichtungen, wodurch seine Neigungen einen noch höhern Schwung erhielten. Zugleich verliebte er sich in ein schönes, etwas jüngeres Mädchen als er, Tochter einer angesehenen Familie, und verlobte sich mit ihr mit Zustimmung ihres Vaters.

Seit diesem Wechsel waren nun zwei Jahre verflossen. Adam hatte, von Anders tüchtig unterrichtet, ziemliche Fortschritte in der Rechtskenntniß gemacht, noch größere aber im Studium der deutschen Dichter, Shakespeares und der Alten. Er hatte geistreiche und wohlwollende Freunde gewonnen und lebte im süßanregenden Umgange mit seiner Braut und deren trefflichen Geschwistern ein glückliches Leben. Nur Geld hatte er blutwenig. Hans und Anders waren seine innigsten Freunde und täglichen Tischgenossen bei Frau Möller. Dieses Zusammenleben der drei Jünglinge war ein schönes und echt poetisches und entwickelte ihre Geister durch gegenseitige Anregung, Wetteifer und Streben zu immer reicherer Genialität. Ihr Blüthenstaub hatte sich schon so gegenseitig befruchtet, daß die Frucht bereits in vielversprechender Fülle schwoll. Nur sie selbst schienen es nicht zu wissen, wozu der Geist der Weltgeschichte sie bestimmt hatte. Es hat wohl nie einen so herrlichen Jünglingsbund weiter gegeben, als den dieses ausgezeichneten Kleeblatts, dessen Mitglieder wenige Jahre später der Stolz ihrer Nation werden sollten. Hans war 1799 Doctor der Philosophie geworden und hielt seit der Zeit an der Universität Vorlesungen über Chemie und Naturmetaphysik. Die letztere war seine Lieblingswissenschaft, von seiner poetischen Natur mit der ganzen Hingebung ihrer Innigkeit betrieben und durchdrungen. Vor einigen Monaten hatte er auch die Verwaltung einer Apotheke übernommen.

Anders hatte sich als Rechtsdocent bei der Universität habilitirt.

In ihren Erholungsstunden waren die drei Jünglinge oft nach Schloß Friedrichsberg hinausgewandert, um sich an Sophie’s hochsinnigem, edlem Wesen, an der derben Gemüthlichkeit des alten Castellans und an der prachtvollen Umgebung des Schlosses zu ergötzen, das auf einem Hügel im italienischen Styl sich erhebend, eine entzückende Aussicht, vorzüglich auf die nahe Königsstadt gewährt. Sophie waltete da still und sorgsam in dem kleinen Haushalte; denn die reichbegabte, tiefgefühlvolle Mutter der beiden Geschwister war vor zwei Jahren in der Blüthe des Lebens gestorben. Es waren Sophie’s glücklichste Stunden, wenn Bruder Adam mit den beiden Freunden kam. Sie lebte sehr häuslich und zurückgezogen, las gern ein gutes Buch und horchte mit innigem Vergnügen der wissenschaftlichen Unterhaltung der drei Jünglinge, ihr dann stets Stoff zu tagelangem Nachdenken gab.

Ganz im Stillen und von den Andern unbemerkt, hatte sich ein Herzensverhältniß zwischen ihr und dem ernsten Anders angesponnen, das mit der Zeit an Tiefe und Innigkeit gewonnen hatte. So hatte sich denn Gleiches zu Gleichem hingezogen gefühlt, und wie die Geschwister auf beiden Seiten sich herzlich liebten, so hatten sich doch die poetischen und die philosophischen Naturen über’s Kreuz verbunden: Hans und Adam, Anders und Sophie, eine Doppelverbindung edler und nach den höchsten Gütern strebender Seelen, wie nicht leicht eine zweite gefunden werden wird. Diese stille und heilige Liebe Anders’ zu der hohen ernst-schönen Sophie war der vorhin angedeutete verschwiegene Grund, weshalb der junge Philosoph das neue Jahrhundert auf Schloß Friedrichsberg im Kreise der ihm theuersten Menschen anzutreten wünschte. Sophie theilte natürlich diesen Wunsch, und von den Jünglingen benachrichtigt, traf sie ihre Vorbereitungen.

Die drei Freunde fuhren Nachmittags in einem Schlitten hinaus, von Vater und Tochter auf’s Herzlichste empfangen.

Der Alte hatte sich für den Abend seinem gewohnten Cirkel zugesagt. Die drei Jünglinge und die Jungfrau waren allein. Sophie hatte eins der schönsten Cabinete mit der Aussicht auf Kopenhagen heizen lassen. Dort speisten sie ungemein heiter und in einer gehobenen Stimmung zusammen. Muntere Gespräche kürzten die Zeit, und als Sophie endlich mit der dampfenden Bowle hereintrat und die Gläser mit dem süßduftenden Gebräu ihrer Hand füllte, fing die Unterhaltung an, sich zu beflügeln, und die Charakter- und Temperamentseigenthümlichkeit der Versammelten trat in ihren Aeußerungen immer schärfer hervor. Die Stimmung wurde feierlich. Adams schönes Auge leuchtete von hoher Begeisterung, Hans lächelte selig, Anders erhob den edlen Platonskopf zu Sophien, die ihm mit einem innigen Blick begegnete.

„Das erste Glas,“ rief Adam, der in großen Gesellschaften so schüchterne und schweigsame Jüngling, mit sonorer Stimme und gewinnender Beredsamkeit, „gelte dem Genius des scheidenden Jahrhunderts! Die Lebensbühne, als er sie betrat, war ein dumpfer, lichtloser Kerker des Menschengeistes, in welchem jener französische König, der sich in unbewußter, die Nemesis selbst repräsentirender Selbstironie „Louis le grand“ nannte, seine Affen und hündischen Schmeichler mit despotischer Laune und Willkür schalteten und walteten, wie der Fabelgott Zeus und seine Sippschaft auf dem Olymp. Der Genius des achtzehnten Jahrhunderts hat den Kerker zerbrochen und die Ketten gesprengt, womit Selbstsucht, Herrschsucht, Pfaffentrug, Wahn und Aberglaube seine Wiege umgürtet hielten. Im hochtragischen Zorne hat er die niedergeworfenen Schranken mit Blut besprengt, aber er hat auch die besudelte Schwinge im Morgenrothe der neuen Geistesära rein gebadet. Er hat, einst ein gemißhandeltes, geknechtetes Kind, scheidend als freier Riese, eine so herrliche Saat in die Geister ausgestreut und dem Acker frische Luft, helles Sonnenlicht, freien Himmel gegeben, daß sein Nachfolger davon goldene Früchte ernten wird. – Freunde, wir sind in einer großen Zeit geboren, in einer Periode, wie die Weltgeschichte kaum noch eine gesehen, gekennzeichnet durch ein gewaltiges Ringen der Geisteskräfte nach oben. Mag der Geist, sich selbst befreiend, manchen Fehlgriff gethan haben, im Ganzen und Großen hat er mit Kraft und Würde einem erhabenen Ziele zugestrebt. Mitten in diesem großartigen Ringen und Kämpfen, das uns mit staunender Ehrfurcht erfüllt und auch unsere jugendlichen Kräfte anspornt, und beim großen Chorus der Geister zu beteiligen, mitten in diesem Brausen und Gähren tritt er ab von der Bühne und übergibt seinem lichten Nachfolger Schild und Schwert. Bringen wir dem scheidenden, so mächtig erstarkten Genius mit diesem Glase unsern Dank!“

„Gesegnet sei sein Andenken in der Weltgeschichte durch Aeonen!“ rief Hans mit leuchtenden Augen. „Wir, seine späten Söhne, wollen seiner würdig sein im Kampfe für Wahrheit und Recht!“ sagte Anders.

„Und für Licht und Liebe!“ setzte Adam hinzu.

Sie leerten die Gläser.

„Wahrlich, der nach Freiheit ringende Geist des achtzehnten Jahrhunderts hat in der zweiten Hälfte die Menschengeister wunderbar befruchtet,“ fuhr Adam fort, „aber nirgend hat er den Acker besser bestellt und nirgend ist die Frucht reicher aufgegangen, als in Deutschland, dem auch wir geistig angehören. Dort zumeist ist mancher große Wurf gethan: Faust und Guttenberg, Luther und Zwingli, Leibnitz und Kant, Goethe und Schiller haben den Diskos mit glänzendem Erfolge im großen Kampfspiele geschleudert.“

„Vergessen wir nicht die gewaltigen Wurfschützen anderer Nationen!“ fiel Hans ein. „Franklin und Galvani, Grey und Dufay, die Entdecker der Elektricität, Voltaire und Rousseau, die Förderer der Humanität. Es haben auch viele außer Deutschland große Würfe gethan.“

„Lassen wir alle Söhne des scheidenden Jahrhunderts leben,“ warf Anders ein, „welche die Arbeit des Geistes durch einen großen Wurf gefördert.“

„Zuerst die, welche das Jahrhundert mit einem großen Wurf würdig beschließen,“ nahm Adam wieder das Wort. „Es ist ein herrliches Hoffnungszeichen für das neue Jahrhundert, daß das alte mit solchen Glanzwürfen abtritt. Hier seht dieses Manuscript! Es ist eine erhabene Tragödie, eine unvergleich großartige Trilogie Schillers, die er in diesem Jahre zum würdigen Schluß des Jahrhunderts vollendet hat. Hier ist die Geschichte mit jenem philosophisch-idealen Hauch verklärt, der die wahre schöpferische Aufgabe der Poesie ist.“

„Was ist’s?“ rief Anders überrascht und griff nach dem Buche, indem er las: „Wallenstein, Tragödie von Schiller.“

„Ihr kennt die wohlthäterische Theilnahme, welche der Herzog von Augustenburg und der Graf Schimmelmann dem großen deutschen Dichter gewähren. Zum Dank für die thätige Hülfe überschickt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_735.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2023)