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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Sie halten also dafür, daß gerade das Nachdenken über den Brief den gewünschten Erfolg haben kann?“ sagte Letzterer auf die Antwort des alten Herrn.

„Mir scheint es so,“ erwiderte Rütersen.

„Es ist mir lieb, dies von Ihnen zu hören,“ fuhr Bornstein fort. „Was mich betrifft, so pflichte ich Ihnen vollkommen bei, ja ich bin sogar im Stande, Ihnen eine Entdeckung zu machen.“

„Eine Entdeckung, die sich auf die Wirkung des Briefes bezieht?“

„Ich kenne den Verfasser desselben.“

„Wirklich? Und Sie dürfen ihn nennen?“

„Nur gewissen Personen, Herr Domcapitular.“

„Zu denen ich gehöre?“

„Ich glaube, Sie werden es mir später Dank wissen.“

„Kenne ich ihn etwa?“

„Simonides hat den Brief geschrieben.“

Der Domcapitular sah den Obergerichtsrath geraume Zeit verwundert an, dann sagte er: „Glauben Sie denn wirklich, daß Simonides um das Verschwinden der vermißten Schätze weiß?“

„Das wohl schwerlich, aber er hat einzelne Stücke derselben gesehen, ja sogar in Händen gehabt.“

„Gekauft? von wem?“

„Das eben ist noch ein Geheimniß. Simonides erhielt vor Monaten schon eine Zusendung von Edelsteinen, die von einem Schreiben ohne Namensunterschrift begleitet war. Die Edelsteine hatten einen hohen Werth, und der Juwelier war sehr geneigt, auf das Geschäft, das man ihm anbot, einzugehen. Nur die Anonymität des Einsenders machte ihn bedenklich. Indeß glaubte er bei einiger Vorsicht doch den Versuch einer Anknüpfung mit dem unbekannten Einsender machen zu dürfen. Der Brief enthielt einige Zeichen, deren Simonides sich bedienen sollte, wenn er die Absicht habe, die ihm angetragenen Juwelen durch Kauf zu erwerben. Ein Billet, mit diesen Zeichen versehen, sollte in eine leere Flasche gelegt und diese, fest verkorkt, in den Strom geworfen werden. Befolge Simonides – hieß es weiter – diesen Wink, so werde in nicht gar langer Zeit ein zuverlässiger Mann bei ihm erscheinen, sich durch Ueberreichung des von dem Juwelier herrührenden Billets als befugter Unterhändler ausweisen und das Geschäft mit ihm abschließen.“

„Ging Simonides auf diese seltsamen Weisungen ein?“

„Gerade die Seltsamkeit reizte ihn,“ sagte der Obergerichtsrath. „Er sah keine Gefahr bei dem wunderlichen Handel, aber er fürchtete mit keinen ehrenwerthen Leuten in Verbindung zu kommen. Wie oft sind schon Juwelen entwendet worden, und wie unendlich schwer ist es, sind sie erst von Hand zu Hand gegangen, sie ihrem rechtmäßigen Eigenthümer wieder zu verschaffen! Simonides wollte sich deshalb sicher stellen, um nicht später einmal einer unredlichen Handlung geziehen werden zu können. Er wendete sich an mich und theilte mir vertrauensvoll die sonderbare Zumuthung mit, zugleich sich meine Ansicht darüber und meinen Rath erbittend. Auch die Edelsteine zeigte er mir. Es waren Smaragden von ungewöhnlicher Schönheit und einige wenige schlecht geschliffene, aber sehr werthvolle Diamanten. Seiner Behauptung nach mußten dieselben zu einem außerordentlich kostbaren Schmuck gehört haben, dem man sie entnommen hatte. Mich interessirte diese Mittheilung, ich behielt eine sehr genaue Copie des Briefes und der Zeichen, und forderte Simonides auf, die Weisung buchstäblich zu vollziehen. Obwohl ich im Geheimen Anstalten traf, das ganze Flußufer in der Gegend, wo der Juwelier die Flasche den Wellen anvertrauen sollte, zu überwachen, wurde doch nichts Verdächtiges bemerkt.“

„Hatte diese sonderbare Procedur Erfolg?“ fragte der Domcapitular, der mit wachsender Spannung der Erzählung Bornstein’s lauschte.

„Es vergingen mehrere Wochen, ohne daß irgend eine Nachfrage erfolgte,“ fuhr der Obergerichtsrath fort, „und Simonides glaubte schon, die Flasche mit seinem Zettel sei verloren gegangen. Da meldete sich Abends ein Mann bei ihm, der seiner Sprache wie seiner Gesichtsfarbe nach südeuropäischer Abkunft zu sein schien, und legitimirte sich durch den Zettel, welchen der Juwelier in die Flasche legte.“

„Haben Sie den Mann nicht festnehmen lassen?“

„Dazu hatte ich weder ein Recht noch eine Veranlassung. Simonides kaufte dem Fremden die Juwelen ab und bewahrte sie sorgfältig auf. Dieser schien erfreut zu sein, einen guten Handel gemacht zu haben, und versprach in einiger Zeit wieder zu kommen.“

„Natürlich ist er ausgeblieben?“ meinte der Domcapitular.

„Im Gegentheil, er stellte sich ein zweites Mal bei Simonides früher ein, als dieser erwartet hatte. Ich wußte um den Fremden, denn der Juwelier hielt ihn beim ersten Besuche so lange fest, daß es mir möglich wurde, ihn beobachten zu lassen. Er hat sich zwischen diesem ersten und zweiten Besuche stets in unserer nächsten Nähe aufgehalten. Sie selbst kennen ihn und haben mit ihm gesprochen.“

„Ich … mit Ihrem Unbekannten?“

„Es ist der Marchese Oruna.“

„Das ist unmöglich!“

„Mitunter nennt er sich auch einfach blos Oruna und hat dann die Liebhaberei, als Tabuletkrämer das Volk und seine Sitten zu studiren.“

„Der Marchese Oruna war ja dem Grafen von Weckhausen empfohlen,“ sagte der Domcapitular, „meine Nichte gab ihm zu Ehren eine Abendgesellschaft, der Sie nur deshalb nicht beiwohnten, weil Sie leider in Dienstangelegenheiten verreist waren. Sie sehen also, Ihre Behauptung beruht auf einem Irrthume!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Ritt in die Niederungswälder des Dnjepr.

Von Dr. Wilhelm Hamm.
Der Dnjepr. – Ritt in die Steppe. – Der Eintritt in den Wald. – Im Urwald. – Das Gethier des Urwalds. – Der sächsische Schatzgräber.

Weit her aus dem Norden kommend, den Wolchonskischen Hügeln entsprungen, die auch die Wiege seiner mächtigen Schwester Wolga sind, fließt der gewaltige Dnjeprstrom gen Süden, dem schwarzen Meere zu. Wenn er in tollen Sprüngen über die granitnen Treppenstufen bei Nikopol zum letzten Mal den Jugendübermuth gebüßt hat, so wallt er in der breiten und stattlichen Gemächlichkeit rüstigster Manneskraft dahin durch ein gar anmuthiges Thal. Von allen Seiten rieseln und rennen ihm Flüsse, Flüßchen und Bäche zu, ihr silbernes Band windet sich durch frischgrüne Wiesenflächen, dunkle Wäldchen, zerstreutes Buschwerk, da und dort weiße Häuschen hübscher Dörfer und in ihrer Mitte die golden flimmernde Kuppel der Kirche – das Alles gibt ein gar liebliches Bild. Doppelt gewinnt dies, wenn der Wanderer aus der baumlosen, braunen Steppe des Südens kommt und von Nova Woronzofka aus zum ersten Mal hinabschaut in die prächtigen Plawni oder Niederungswälder, die als meilenbreite Verbrämung den riesigen Strom begleiten. Mit welchem unaussprechlichen Vergnügen sieht er sich nach monatlangem Braten unter der fast scheitelrechten Sonne wieder umfangen von schattiger Waldesnacht; wie oft hat er vorher davon geträumt, wie wahr ist ihm das Wort erschienen, daß der Wald ein Bedürfniß des gebildeten Menschen sei! Daher war auch eine der ersten Bitten, die ich dem Freund aussprach, dessen Dach für mehrere Tage mir deutsche Gastlichkeit verheißen hatte, die um einen Ausflug in den grünen Wald, und bereitwillig ward sie mir gewährt, denn auf ihn sind seine Anwohner stolz und freuen sich des Eindrucks, den seine Hallen auf die fremden Besucher machen.

An einem herrlichen Morgen zog eine stattliche Cavalcade durch die Pforte des Landsitzes, und schon ihre Zusammensetzung versprach den Genuß des Jagdritts zu erhöhen. Denn um das Nützliche mit dem Angenehmen zu vereinen, oder vielmehr, um das Letztere zu steigern, waren die Doppelflinten umgeschnallt und den Thieren des Waldes der Krieg erklärt worden. Den Mittelpunkt, den strahlenden, der Gesellschaft, bildete eine Dame. Im eleganten Amazonenhabit, den wallenden Federhut auf den kastanienbraunen Locken, kühn thronend auf einem windschnellen Tscherkessenrappen, wäre Fräulein Soninka eine reizende Erscheinung gewesen überall, nicht blos hier auf der Steppe. Sie war die Führerin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_728.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2023)