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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„So, so, ich wußte das nicht,“ sagte Bornstein. „Aber Sie kennen die Fürsten von O*?“

„Nur dem Namen nach.“

„Dann werden Sie demnächst Näheres von denselben hören und sich wahrscheinlich mehr für sie interessiren, da ein Proceß höchst seltsamer Art die Augen der ganzen gebildeten Welt auf dieses uralte Fürstenhaus, dessen Stammbaum bis in die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung hinaufreicht, auf sich ziehen dürfte.“

„Ein Proceß? Kennen Sie die Veranlassung desselben?“

„Diese gerade ist es, die durch den Proceß an den Tag kommen soll.“

„Man muß aber doch vorher wissen, weshalb man überhaupt einen Proceß anfängt.“

„Allerdings. Ein Gegenstand zum Streit ist auch vorhanden, oder richtiger, der Gegenstand, um den der Proceß angestellt werden soll, wird vermißt, und eben dies Nichtvorhandensein desselben treibt die beiden streitenden Parteien zu gerichtlicher Vermittelung.“

„Das verstehe ich nicht,“ sagte Graf von Weckhausen. „Wie kann es vernünftigen Menschen einfallen, einen Proceß um etwas überhaupt nicht Vorhandenes zu beginnen! Das Gericht kann sich auf eine derartige, dem Tollhause entstammende Angelegenheit gar nicht einlassen.“

„Sie werden sich der Aufforderung in den Zeitungen erinnern, Herr Graf,“ versetzte der Obergerichtsrath, „die vor einiger Zeit so großes Aufsehen machte. Jetzt hat man dieselbe wohl meistentheils schon wieder vergessen. Im Stillen jedoch stellte man fortwährend Nachforschungen an. Diese haben nun zwar zu keinem wirklichen Resultate geführt[WS 1], aber doch so viele Indicien geliefert, daß eben die Einleitung eines Processes, den man gleichsam im Beisein des ganzen Publicums verhandelt, gerechtfertigt erscheint.“

„Sollte dieser wunderliche Handel etwa mit dem Verschwinden gewisser Kostbarkeiten aus einem fürstlichen Schatze zusammenhängen?“ fragte Aurelio. „Mein Herr Oheim hat uns seiner Zeit recht interessante, wenn auch wenig glaubwürdige Details darüber mitgetheilt.“

„Es ist dieselbe Angelegenheit,“ sprach Bornstein, „und ich glaubte, die Familie O*, welche den bekannten Verlust erlitten, sei dieselbe, deren Besitzungen mit den Ihrigen grenzen.“

„Hat man denn etwas über die verschwundenen Schätze in Erfahrung gebracht?“ sagte der Graf.

„Es liegt nichts vor, als der Brief eines Juweliers, der, wahrscheinlich aus Furcht, einer ganzen Reihe von Verhören sich unterwerfen zu müssen, seinen Namen verschwiegen hat.“

„Und dieser Brief, was enthält er?“

„So viel man bis jetzt in Erfahrung gebracht hat, die Mittheilung, daß, mache man sich anheischig, nach dem Namen des Schreibers erwähnten Briefes keine weiteren Nachforschungen anzustellen, dieser den Schlüssel des Geheimnisses zu erhalten Aussicht habe.“

Aurelio konnte sich eines satirischen Lächelns nicht enthalten.

„Wenn dieser vorsichtige Mann kein Dieb ist, so würde ich vorschlagen, für ihn eine Stelle unter den Weltreisen offen zu halten.“

„Der an die regierende Familie der Fürsten O* gerichtete Brief dieses Unbekannten,“ fuhr der Obergerichtsrath Bornstein fort, „soll so abgefaßt sein, daß daraus ersichtlich wird, der Verfasser desselben müsse von dem Verbleiben jener Schätze Kenntniß haben. Ferner wird behauptet, es sei höchst wahrscheinlich, daß die bloße Bekanntmachung des Schreibens die Entdeckung des Geheimnisses fördern helfe. Die processualische Verhandlung soll daher auch nichts Anderes bewirken, als die Feststellung eines zu fassenden Entschlusses. Hat man sich über diesen Entschluß geeinigt, so beginnt der eigentliche Proceß erst vor der Welt.“

„Nun in der That, das ist so neu als originell,“ sagte der Graf, „und ich gestehe, daß ich höchst gespannt auf den Beschluß bin, welchen die Kronjuristen des Fürsten von O* fassen werden. Dürfte noch längere Zeit darüber vergehen?“

„In der nächsten Woche schon findet die entscheidende Berathung statt.“

„So werde ich meine Abreise noch um einige Tage länger verschieben,“ sprach Aurelio. „Ich habe ohnehin, von meiner Frau hingehalten, diesmal schon weit über die gewöhnliche Zeit meine Geschäfte vernachlässigt. Empfangen Sie meinen Dank für Ihre interessante Mittheilung, die mich wie Alle, welche die Veranlassung kennen, in wirklich ungewöhnliche Spannung versetzt.“

Aurelio ließ sich nichts von dem merken, was zwischen ihm und dem Obergerichtsrath verhandelt worden war. Rosaura hatte wahrscheinlich keine Kunde davon, auch der Domcapitular schien noch ununterrichtet zu sein. Der alte Herr freute sich, daß der Graf wider Erwarten ihm so lange Gesellschaft geleistet hatte, und richtete, als dieser ihm anzeigte, daß der Tag der Trennung nunmehr schnell heranrücke, die Bitte an ihn, er möge diese Trennung möglichst abkürzen. Aurelio versprach es und traf die nöthigen Vorkehrungen für seine Abreise.

Diese letzte kurze Zeit verbrachte Graf von Weckhausen fast ausschließlich mit Rosaura. Gesellschaft sah das gräfliche Ehepaar nicht bei sich, auch machte es keine Besuche. Nur der Domcapitular kam und ging nach alter Gewohnheit in dem Palais des reichen Mannes seiner Nichte aus und ein.

„Sie werden Ihre Wette verlieren,“ sagte eines Mittags, als er sich mit Aurelio allein sah, der Domcapitular zu dem Grafen. „Obergerichtsrath Börnstein hat mir so eben ein Billet geschrieben, worin er mir die Mittheilung macht, daß der Beschluß der Kronjuristen der Fürsten von O* Veröffentlichung des anonymen Briefes verlangt, von dessen Vorhandensein Sie unterrichtet sind. Die Fürsten O* sind eben jene Herrscherfamilie, deren Schatzkammer auf so unerklärliche Weise, wie ich Ihnen erzählte, von unsichtbaren Händen geplündert wurde. Kein Mensch zweifelt mehr, daß sich das sonderbare Verschwinden der so außerordentlich werthvollen Kleinodien ganz natürlich erklären werde und daß diejenigen, die sich zu diesem Taschenspielerkunststück verleiten ließen, ihren verdienten Lohn erhalten.“

Aurelio hatte lächelnd den Domcapitular aussprechen lassen. Jetzt sagte er ihm Dank für seine Mittheilung, fügte aber hinzu, daß er gleich anfangs vermuthet habe, nur den Fürsten O* könne jenes seltsame Unglück zugestoßen sein. „Uebrigens,“ fuhr er fort, „bin ich jetzt meiner Sache mehr als gewiß, und Sie werden sehen, daß Sie doch verlieren!“

„Dann müßten Wunder geschehen!“ rief der Domcapitular. „In wenigen Tagen schon läuft der Brief des anonym gebliebenen Juweliers durch alle Zeitungen, er wird Gemeingut Aller, und es kann gar nicht fehlen, daß auf irgend eine Weise dadurch Thatsachen offenbar werden müssen, die das geheimnißvolle Verschwinden der vermißten Schätze natürlich erklären.“

„Wir werden ja sehen,“ sagte der Graf. „Uebrigens hält mich jetzt nichts mehr hier fest. Den sonderbaren Brief, dem man solche Zauberkräfte zuschreibt, kann ich ja wohl überall lesen. Darum lasse ich mich dem Herrn Obergerichtsrath Bornstein bestens empfehlen uns verabschiede mich gleichzeitig auch von Ihnen. Hören wir nicht früher von einander, so geschieht es doch jedenfalls, sobald ich das Vergnügen haben werde, Ihnen anzeigen zu können, daß ich meine Wette gewonnen habe.“

Der Domcapitular überließ sich einem herzlichen Lachen über diese tolldreiste Behauptung des zuversichtlichen Grafen, denn der Einsturz des Himmels hatte eben so große Wahrscheinlichkeit für sich, als die Behauptung Aurelio’s, das Verschwinden noch anderer Kleinodien aus dem Schatze der Fürsten von könne O* sich wiederholen.




6. Beunruhigende Entdeckungen.

Bald nach des Grafen Abreise erschien der anonyme Brief in allen Zeitungen, von dessen Bekanntwerden sich die fürstliche Familie von O* eine so große Wirkung versprach. Er ward von Jedermann gelesen, von Vielen kritisirt, von den Tiefsinnigsten gleich, einem alten Codex oder einem Palimpsest studirt. Und wirklich forderte das Schreiben sowohl die Kritik wie den Scharfsinn der Denker heraus. Man mußte zwischen den Zeilen zu lesen verstehen, wenn diese ganz allgemein gehaltenen Wendungen den Schlüssel zur Lösung eines Räthsels, dem man schon so lange nachspürte, enthalten sollten. Fragen, welche Einer dem Andern über diesen Brief vorlegte, wurden mit sehr geheimnißvollen Mienen beantwortet, weil Keiner gestehen wollte, daß er gerade so klug sei, wie zuvor.

Auch der Domcapitular gab eine sehr vorsichtige Antwort, als der Obergerichtsrath Bornstein seine Meinung zu hören wünschte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gefuhrt
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_727.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2023)