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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 50. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Heimath des Mutterherzens.



Mein Mütterlein hat mir verkündet,
Als ich gefragt dereinst als Kind,
Wozu die Sterne angezündet
Des Nachts am dunklen Himmel sind:

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Daß für ein jedes Menschenwesen,

Das auf der Welt gesehen wir,
Als Wohnung sei dort auserlesen
Ein Stern, wenn’s erst gestorben hier,
Und selig soll’ es dann von drüben

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Herüberschau’n mit treuem Blick

Auf all’ die Herzen, die geblieben
Noch auf der Erde sind zurück.
Und wenn ein Mensch, das Aug’ voll Thränen,
Noch nicht vollbracht den dunklen Lauf,

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Da soll sich seine Seele sehnen

Nach seiner Lieben Heimath auf.

Manch’ liebes Haupt hab’ ich verloren
Und Leid darum gehegt und Schmerz,
Manch’ treues andre Herz erkoren,

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Jedoch – kein zweites Mutterherz.

Ob ich in Aengsten und Gefahren
Mit Wog’ und Stürmen auch gekämpft,
Ob Glück und Heil mir widerfahren,
Nie ward die eine Lust gedämpft,

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Die Lust, den Blick hinauf zu lenken

Zum Sternenhimmel, licht und klar,
Und eines Wesens zu gedenken,
Das hier mein Ein und Alles war.
Denn, wie das Kind erfüllt vor Jahren

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Der Mutter Deutung einst mit Lust,

Hab’ ich die Kunde zu bewahren
Der Sternenheimath stets gewußt.

So wurde denn das schönste Feuer,
Das hoch am nächt’gen Himmel kreist,

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Der Liebe Stern mir ewig theuer,

Weil ihn bewohnt der Mutter Geist,

U.


Der verwandelte Schmuck.

Novelle von Ernst Willkomm.
(Fortsetzung.)

„Ich bin überzeugt, daß ein großartiger Betrug dahinter steckt,“ fuhr der Domcapitular fort. „Es ist ermittelt, daß der regierende Fürst einen für nicht legitim erachteten Halbbruder vor längeren Jahren zu entfernen, Andere sagen, in die Verbannung zu schicken wußte und seitdem nie wieder mit ihm in Berührung kam. Dieser aus dynastischen Gründen Verstoßene hat sich später in morganatischer Ehe vermählt, aus welcher ein Sohn entsproß, der als einziger männlicher Erbe des fürstlichen Geschlechts lebt. Einer uralten Familientradition zufolge gilt die Vermählung eines Sprößlings jenes Fürstenhauses nicht einmal für rite vollzogen, wenn die Braut am Tage ihrer Vermählung den Familienschmuck nicht trägt. Auch die kostbaren goldenen Tafelaufsätze dürfen bei dem Banquett nicht fehlen. Liegt nun im Hinblick auf diese Verhältnisse die Vermuthung nicht nahe, ja gewinnt sie nicht sogar an Wahrscheinlichkeit, daß der verbannte Fürst, um seinem eigenen Sohne die Rechte auf den Thron zu wahren, zu einem verzweifelten Mittel gegriffen hat?“

„Entwendung oder Raub setzen die Bestechung sehr einflußreicher Personen voraus,“ erwiderte Graf von Weckhausen, „eine solche Bestechung wäre aber im vorliegenden Falle nur dann denkbar, wenn deren Urheber über ungewöhnliche Mittel verfügen konnte. Verbannte, Verstoßene, Enterbte pflegen aber eher Mangel als Ueberfluß an den zur Ausführung solcher Plane erforderlichen Mitteln zu haben. Und aus diesem Grunde bleibe ich bei meiner Theorie.“

„Die Theorie eines Thoren!“ rief unwillig der Domcapitular.

„Ich gehe noch weiter, verehrter Herr Oheim,“ fuhr Aurelio in übermüthigster Laune fort, „ich erkläre mich zu einer Wette bereit.“

„Daß unsichtbare Geister die fürstlichen Schätze unvermerkt aus festverschlossenen Truhen entführen?“

„Auf das Wie kommt es nicht an,“ fuhr der Graf fort, „wenigstens kümmert mich das nicht bei der Wette, die ich Ihnen anbieten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_725.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2023)