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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Einen gleichen Aufschwung nahmen die andern Vereine. So hatte der Leipziger Consumverein, der sich in den ersten Jahren langsam Eingang verschaffte, 1856 einen Umsatz von 9600 und 1859 in den Monaten März bis Oktober von 17,927 Thalern. Der Schuhmacherverein in Delitzsch kaufte 1857 für 11,068 Thaler Rohleder und verschaffte seinen Mitgliedern solche Vortheile, daß die Schuhmacher der benachbarten Orte Schulze baten, ihnen ähnliche Vereine einzurichten, weil sie ohne diese auf den Märkten neben ihren Gewerbsgenossen aus Delitzsch nicht bestehen könnten. Sie hatten richtig herausgerechnet, daß der wohlfeilere Einkauf von Leder bei jeder Schuhsohle eine Ersparniß von 21/2 Silbergroschen ausmache.

Nur an örtliche Verhältnisse und Bedürfnisse anknüpfend und mit den kleinsten Anfangen zufrieden, hatte Schulze eine Grundlage erlangt, auf der sich weiter schreiten ließ. Er begann auch jetzt wieder ganz klein, mit der Gründung eines Vereins Delitzscher Schuhmacher zum gemeinschaftlichen Verkauf der fertigen Waaren auf Jahrmärkten und Messen. Die Vereinsmitglieder übergaben ihre zum Marktverkauf bestimmten Schuhe und Stiefeln einem Beauftragten, der damit die Messen bezog und sie zu den Preisen, die jeder Meister festgesetzt hatte, und gegen eine angemessene Vergütung für seine Mühe verkaufte. Diese Provision betrug weit weniger, als der einzelne Meister früher, wo er noch selbst die Messen bezog, an Zeit und Geld hatte aufwenden müssen. Ueberdies machte der Verein die besten Geschäfte, da die Delitzscher Schuhbude bald in den besten Ruf kam. Der neue Verein wurde seinerseits zum Ausgangspunkte für Magazine der verschiedensten Handwerke. Die Schulze’schen Anstalten dieser Art sind nicht mit den Kleidermagazinen etc. zu verwechseln, die eigentlich Fabriken sind und eine Menge verkommener Meister von einem reicheren Gewerbsgenossen, der die Gefahr und den Nutzen allein hat, abhängig machen. Bei ihnen behält jeder Meister seine Kunden für sich und arbeitet blos dann, wenn seine eigenen Geschäfte stocken, für das gemeinschaftliche Lager.

Nachdem reiche Erfahrungen gewonnen worden waren, trat Schulze mit seinen Resultaten vor die Oeffentlichkeit. Seine drei Schriften: das Associationsbuch, die Vorschuß- und Creditvereine als Volksbanken (Leipzig bei Ernst Keil, 1859, zweite Auflage), und: die arbeitenden Classen und das Associationswesen (Leipzig bei Gustav Mayer), machten die wirksamste Propaganda. Durch sie kam das rechte Leben in die Sache, und Tausende erwärmten sich, die früher nur aus Unkenntniß theilnahmlos gewesen waren. Die Schulze’schen Vereine breiteten sich mit einer beispiellosen Geschwindigkeit von der Mitte Deutschlands nach dem Süden und Norden zugleich aus, ja einzelne entstanden sogar auf fremdem Boden, unter anderm zu Coni in Piemont. Gegenwärtig bestehen 150 Vorschußvereine, 60–80 Rohstoffvereine und 10–20 Consumvereine. Fünfundvierzig Vorschußvereine, die allein genauen Bericht erstatteten, gewährten im Jahre 1858 für 2,086,083 Thaler Vorschüsse, und man greift gewiß nicht zu hoch, wenn man den Gesammtumsatz der 150 Vereine für das Jahr 1859 auf 8–10 Millionen veranschlagt. So hat sich aus kleinen Vereinen unbemittelter Handwerker eine Geldkraft krystallisirt, auf die Rücksicht zu nehmen für die großen Banken mit der Zeit zur Nothwendigkeit werden wird. Die auf dem Wohlthätigkeitsprincip beruhenden Vorschußvereine anderer Gründer, von denen sich einige von 1847 und 1848 her erhalten haben, sind von den Schulze’schen weit überflügelt worden. In Colberg und Luckenwalde, Städten von 8000 und 9000 Einwohnen haben die nach dem Grundsatze der Selbsthülfe eingerichteten Creditcassen im Jahre 1858 für 63,318 und 90,882 Thaler Vorschüsse gewährt, während vierundachtzig Wohlthätigkeitsvereine des großen Berlin im Jahre 1857 es nur auf 68,761 Thaler gebracht haben. Kann es einen schlagenderen Beweis für die Vorzüge des Grundsatzes der Selbsthülfe geben?

1859 hatte Schulze die Freude, auf dem ersten Vereinstage der deutschen Vorschußvereine den Vorsitz führen zu können. Er sah jetzt das Gebäude, dessen Grundstein er gelegt, dessen Mauern er behutsam Stein um Stein zusammengefügt hatte, mit dem Dache gekrönt. Der Vereinstag war nach Dresden ausgeschrieben worden, aber Bedenken der sächsischen Regierung, die sich aus einer Bestimmung des sächsischen Vereinsgesetzes ableiteten, hatten eine Verlegung nach Weimar nöthig gemacht. Abgeordnete von neunundzwanzig Vereinen tauschten in den Tagen vom 14–16. Juni ihre Ansichten und Erfahrungen aus. Schulze gab einen neuen Beweis seiner Besonnenheit, indem er den Vorschlag der Errichtung einer Central-Handwerkerbank lebhaft bekämpfte. Der Gedanke hat etwas Glänzendes, aber noch sind die Stützen, die ihn tragen sollen, zu schwach, und es ist besser, die rechte Zeit abzuwarten, als von oben nach unten zu bauen. Dagegen faßte man den Beschluß, ein Centralbureau zu errichten, welches eine Verbindung der einzelnen Vereine anbahne und den Briefwechsel mit ihnen besorge. Die Leitung wurde Schulze übertragen und noch bestimmt, daß jeder Verein mit 1/2 Procent seines Reinertrags zu den Kosten beitrage.

Wir haben bisher der äußern Hindernisse, auf die Schulze stieß, nicht gedacht. Er hatte seine Vereine auf einen Boden gestellt, der mindestens politisch neutral genannt werden muß, obgleich eigentlich Jeder, der sich wie Schulze der um sich greifenden Noth entgegenstemmt und die arbeitenden Classen wilden utopischen Träumereien entreißt, um ihnen praktische und sittliche Ziele zu zeigen, im besten Sinne des Worts ein Conservativer ist. Dennoch ist er Verdächtigungen nicht entgangen, und nicht nur die rege Theilnahme, die er in neuester Zeit der nationalen Bewegung schenkt, sondern auch die Wirksamkeit, die er als Vorsitzender des volkswirthschaftlichen Congresses in Frankfurt a. M. entfaltet hat, wird gegen ihn ausgebeutet. Es ist, gelind gesagt, kleinlich, Dinge zusammenzuwerfen, die nichts mit einander zu thun haben. Die Schulze’schen Vereine sind besondere und hochwichtige Theile eines Ganzen, über das die deutschen Volkswirthe ihre Berathungen erstrecken und jene Vereine wie der Congreß bewegen sich auf einem Gebiete, auf dem alle Parteien ohne Ausnahme thätig sein sollten. Die nationale Bewegung liegt weit davon ab. Will Schulze sich an ihr betheiligen, so ist das eine rein persönliche Angelegenheit. Mit welchem Recht kann man ihm befehlen, der einzige Mensch in Deutschland zu sein, der keine eigene politische Meinung haben darf? Mißbrauchte er seine Vereine zu Gunsten jener Bewegung, wozu jeder Anlaß und sogar jede Möglichkeit fehlt, dann und erst dann dürfte man ihm Vorwürfe machen. Uebrigens beweist die Stellung, die er in jener Bewegung einnimmt, abermals, wie bedeutend er ist. Nachdem er der ersten Versammlung in Eisenach beigewohnt hatte, Wurde er in Coburg vom Herzog empfangen, der anerkennende und ermuthigende Worte an ihn richtete, und führte bei der zweiten Versammlung in Frankfurt a. M. den Vorsitz. Einen Auszug aus seiner damaligen Rede, die einen glänzenden Beweis seiner Vaterlandsliebe und Aufopferungsfähigkeit gibt, haben wir s. Z. in Nr. 40 mitgetheilt.

Die Zeitungen haben in neuester Zeit berichtet, daß Schulze zweimal um Anwaltstellen eingekommen und beide Male vom Minister Simons nicht einmal einer Antwort gewürdigt worden sei. Aus seinen Bewerbungen wird man ersehen haben, daß er kein vermögender Mann ist. Er wird so bald als möglich ein Amt oder Geschäft suchen müssen, und dann ist seine Kraft für seine Vereine verloren. Sollte sich nicht ein Mittel finden, ihn für diese zu erhalten, ohne daß er fortfahren müßte, wie in allen Jahren seit 1851, Opfer zu bringen, die seine Pflichten gegen seine heranwachsenden Kinder ihm nicht mehr erlauben? In England wäre ein Auskunftsmittel sogleich gefunden; dort ist es längst Sitte, daß ein verdienter Mann von denen, welchen er seine ganzen Kräfte darbringt, entschädigt wird. Es wäre schön und ein fruchtbringendes Beispiel für die Zukunft, wenn man die englische Sitte nachahmte. Das halbe Procent, das der Centralstelle bezahlt wird, gleicht eben die Bureaukosten aus. Erhöht man es auf zwei Procent vom Reingewinn jedes Vorschußvereins, so würde eine Summe von 500, höchstens 600 Thaler jährlich erreicht, zu der beizutragen keinem Vereine schwer fiele und die doch nur eine sehr bescheidene Vergütung für alle Arbeiten und Reisen Schulze’s wäre. Der Verein, der zuerst den Antrag auf eine für das Ganze kaum bemerkbare Entschädigung des hochverdienten Mannes stellte, würde sich ein Verdienst um das Vereinswesen überhaupt erwerben. Opfer, wie Schulze sie bisher gebracht, können von Niemand verlangt werden, der sie zu bringen nicht im Stande ist, und solche unmögliche Opfer muthet man dem Gründer der Vereine zu, wenn man verlangt, daß er seine Dienste ohne alle Vergütung fortsetze.



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