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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

erhalten werden sollte. Die Reise verlief ohne jeglichen Unfall; man kehrte sehr befriedigt zurück, und namentlich fühlte sich der Fürst nicht nur durch die Aufnahme gehoben, die er allerwärts gefunden hatte, es waren auch die geheimen politischen Tendenzen, welche der Reise selbst eigentlich zu Grunde lagen, vollkommen erreicht worden. Nach Zurückkunft der fürstlichen Familie in ihr Land veranstalteten Behörden und Volk mancherlei Festlichkeiten ihr zu Ehren. Es gab Deputationen zu empfangen, Adressen entgegen zu nehmen, Anreden zu erwidern. Ein äußerst glänzender Fackelzug schloß diese Festlichkeiten. Der Fürst, ein Mann von wohlwollendem Charakter, wollte sich seinen Unterthanen erkenntlich erweisen und gab Befehl, ein Volksfest in großem Styl zu arrangiren, wobei die Unbemittelten die Gäste des Herrschers in seinem Palaste sein sollten. Dieser Befehl ward pünktlich ausgeführt, und der Jubel des Volkes war unbeschreiblich. Zum Schluß gestattete der glückliche Fürst, daß den Schaaren der jubelnden Neugierigen ausnahmsweise auch die Kunstschätze der Familie gezeigt würden, die in mehreren geräumigen Sälen des Schlosses, welche seit undenklichen Zeiten dazu bestimmt waren, aufbewahrt werden. Man hatte keinerlei Vorsicht außer Acht gelassen. Das Publicum erhielt nicht in ungeordneten Schwärmen von beliebiger Zahl Zutritt in die reich ausgestatteten Hallen, sondern truppweise, gegen Karten, die beim Eintritt einem Hatschier vorgezeigt, beim Fortgange diesem wieder abgeliefert werden mußten. Auch innerhalb der Säle und beim Vorzeigen und Erklären der vorhandenen Schätze fehlte es nicht an der gebotenen Ueberwachung. Alles verlief ungestört, in bester Ordnung. Die Säle wurden in hergebrachter Weise wieder geschlossen, die Schlüssel ganz so, wie dies immer üblich gewesen war, unter gewissen fest vorgeschriebenen Ceremonien dem Hofmarschall abgeliefert. Mehrere Monate später sollte, eine Folge jener Reise, die Vermählung der Erbprinzessin mit einem ausländischen Fürstensohne gefeiert werden. Bei solchen Gelegenheiten war es von jeher üblich gewesen, nicht nur den Familienschmuck, sondern auch die alten prachtvollen Tafelgeräthschaften aus der Schatzkammer zu holen, um damit vor den fürstlichen Gästen, welche zu solchen Festen eingeladen werden, zu paradiren. Man denke sich nun die Ueberraschung, ja das Entsetzen des ganzen Fürstenhauses, als man jetzt die furchtbare Entdeckung macht, daß ein Theil dieser nie wieder zu ersetzenden Kleinodien spurlos verschwunden ist! Niemand hat eine Ahnung, auf welche Weise es möglich werden konnte, diese Schätze zu rauben. Man hatte sie an dem genannten Festtage den staunenden Augen des Volkes gezeigt. Damals fehlte nicht der kleinste Gegenstand. Seit jenem Tage hatte keines Menschen Fuß die Schatzkammer wieder betteten; der Schlüssel derselben lag unter dreifachem Verschluß. Die Thüren, die Fenster, Alles zeigte sich in tadellosestem Zustande, ebenso die Truhen, welche die Schätze bargen, und dennoch waren Gegenstände von unermeßlichem Werthe verschwunden!

„Es wurden nun die ernstesten Nachforschungen angestellt. Hochgestellte Palastbeamte und Hofwürdenträger mußten sich mehrmaligen strengen Verhören unterwerfen, selbst Haussuchungen der peinlichsten Art konnten nicht unterbleiben, allein es war weder etwas zu finden, noch führten alle diese Maßregeln zu einer Spur, die man zu weiteren Recherchen hätte benutzen können. Bis zu dieser Stunde ist das Geschehene ein ungelöstes Räthsel. Die fürstliche Familie steht rathlos da dieser Thatsache gegenüber. Ohne schwerer Verschuldung zu verfallen und sich der maßlosesten Ungerechtigkeit gegen Andere anzuklagen, kann sie gegen Niemand einschreiten. Es gibt keine einzige Persönlichkeit, welche verdächtig erscheint.

„Unter diesen gewiß höchst eigenthümlichen Verhältnissen hat man sich entschlossen, einen ebenso außerordentlichen als gewagten Schritt zu thun. Die verschwundenen Schätze veranschlagt man auf anderthalb Millionen Gulden. Den fünften Theil dieser enormen Summe will die fürstliche Familie unter Verschweigung seines Namens demjenigen als Belohnung auszahlen, der im Stande ist, ihr über das Verbleiben jener Schätze bestimmte Kunde zu geben.“

Der Domcapitular machte hier eine Pause, um zu hören, was Graf von Weckhausen zu dieser Mittheilung sagen werde. Aurelio zögerte auch nicht, seine Meinung sogleich kund zu geben.

„Verehrter Herr Oheim,“ sprach er, „wenn diese überaus interessante Geschichte nicht etwa ein reines Phantasiegebilde ist, wird sich die fürstliche Familie, welcher das Unglück begegnete, wohl nach einem Zauberer, einem neuen Cagliostro umsehen müssen. Vielleicht auch hausen Kobolde in dem Palaste des unbekannt oder namenlos gebliebenen Herrschers, welche in der Vermählung der Prinzessin eine Beleidigung ihres Stammes erblicken und sich deshalb durch Verschleppung der erwähnten Kostbarkeiten empfindlich zu rächen suchen. Eine andere Erklärung wüßte ich wenigstens nicht zu geben, man müßte denn eine sehr geheim gehaltene, weit verzweigte Verschwörung annehmen wollen, die sich im Besitze von Nachschlüsseln und anderen Diebswerkzeugen befände und von diesen einen eben so geschickten als weit gehenden Gebrauch gemacht hätte. Hat man denn nichts Näheres über die vermißten Gegenstände in Erfahrung gebracht?“

„Daß es sich hier um kein Märchen, sondern um eine Thatsache handelt,“ nahm der Domcapitular abermals das Wort, „werden Sie schon nächster Tage durch die Bekanntmachung erfahren, welche in allen Regierungsorganen erscheinen soll. Ein näheres Verzeichniß der vermißten Gegenstände oder gar eine Beschreibung derselben wird man jedoch dieser Bekanntmachung nicht beifügen.“ „Und doch will man ermitteln, wo sie geblieben sind?“

„Gewiß! Das Verschweigen gerade soll zu leichterer Ermittelung verhelfen.“

„In der That,“ sprach der Graf lächelnd, „der Weg, welchen man einschlägt, um eine dunkle That zu entdecken, ist ganz so eigenthümlich, ja unbegreiflich, wie das Ereigniß selbst.“

„Im Gegentheil, ich finde, daß es von großer Klugheit zeugt,“ versetzte der Domcapitular.

„Und Ihre Beweise, Herr Oheim?“

„Ganz in der Stille, durch diplomatische Personen läßt die erwähnte fürstliche Familie ein sehr genaues Verzeichniß nebst Beschreibung der auf so unerklärliche Weise abhanden gekommenen Schätze an sämmtliche Juweliere des In- und Auslandes vertheilen. Jeder muß an Eidesstatt unverbrüchliches Schweigen über diese heimliche Mittheilung geloben. Durch dieses Verfahren bleibt das große Publicum in völliger Unkenntnis;. Niemand bekommt auch nur eine entfernte Ahnung über die Beschaffenheit der verschwundenen Gegenstände, während jeder Juwelier, der größte wie der kleinste, ganz genau erfährt, wie die verlorenen Schätze aussahen, welche Kennzeichen sie hatten, wie sie sich ungefähr ausnehmen würden, falls der Zufall sie vielleicht anders gestaltete oder beschädigte. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß nach einiger Zeit, wenn Niemand mehr von dem Vorfalle spricht, irgendwo ein Theil, irgend ein einzelnes Stück jener Schätze auftaucht und dadurch ein Fingerzeig gegeben wird, der, immer still verfolgt, schließlich doch zur Entdeckung der Urheber, der Kobolde – wie Sie sagen – die jenes Verschwinden bewirkt haben mögen, führen muß.“

„Allerdings ein Ausweg, der einer Fuchsfalle ungemein ähnlich sieht,“ meinte Aurelio von Weckhausen. „Angenommen, es haben nicht Kobolde, sondern Menschen jenes Verschwinden bewerkstelligt, kann nicht der Schalksnarr Zufall eine beträchtliche Menge Unerfahrener in böse Verlegenheiten bringen?“

„Sie scheinen den eingeschlagenen Weg nicht zu billigen,“ sagte der Domcapitular.

„Warum nicht?“ versetzte der Graf. „Außerordentliche Vorfälle verlangen ungewöhnliche Mittel! Nur wird man sich vorzusehen haben, wenn man sich etwa in der Lage befindet, Juwelen und dergleichen einkaufen zu können. Mich freut es jetzt, daß ein von mir schon eingeleiteter Handel nicht zu Stande gekommen ist.“

„Du wolltest Juwelen kaufen?“ sagte Rosaura, den Gatten mit glänzenden Augen anblickend. „Von Simonides?“

„Er ist der zuverlässigste, kenntnißreichste und gewissenhafteste aller Juweliere, mit denen ich jemals in Verbindung gekommen bin,“ antwortete Aurelio. „Ich war bei ihm, um einen Tausch zu machen, und weil wir in ein längeres Gespräch verwickelt wurden, traf ich heute später hier ein. Ich würde sagen: leider konnten wir uns nicht einigen, während mir gegenwärtig die Zähigkeit des vorsichtigen Mannes ganz angenehm ist.“

„Welche Steine wollten Sie umtauschen?“ fragte der Domcapitular.

„Einige Sapphire und Opale, von denen ich Ihnen schon erzählte.“

„Dieselben, welche Sie während Ihrer letzten Reise von den säumigen Schuldnern in Genua erhielten?“

„Mit denen das genuesische Haus den Rest seiner Schuld tilgte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_711.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)