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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Aus dem Leben des Nilpferdes.

Von Dr. A. E. Brehm.
(Schluß.)
Begegnung mit Nilpferden.

Wir hatten unweit des linken Ufers des Asrakh einen Regenteich oder See aufgefunden, welcher vom Strome bei seiner Ueberschwemmung gefüllt worden und noch bei unserer Ankunft im Februar ziemlich wasserreich war. Außer einer Menge von Vögeln lebten in ihm auch Krokodile und mehrere Nilpferde mit ihren Jungen. Wahrscheinlich hatten letztere die kleinen und verhältnißmäßig niedlichen Jungen in ihm zur Welt gebracht; wenigstens schien mir der stille, ruhige, rings von Wäldern und an einer Seite sogar von Feldern eingefaßte See zu einem Wochenbette für Nilpferde wohl geeignet. Unsere Aufmerksamkeit und Jagdlust fesselten vorzüglich die herrlichen Schlangenhalsvögel, obgleich wir, um auf diese geschickten Taucher feuern zu können, oft bis an die Brust in das Wasser waten mußten, – trotz der Krokodile und Nilpferde, um welche wir uns heute gar nicht kümmerten. Mein Jäger Tomboldo, welcher die Jagd in Vater Adams Kleidung ausführte, hatte eben den vierten Schlangenhalsvogel glücklich durch den Hals geschossen – mehr als den Hals bekommt man von ihm über dem Wasser nicht zu sehen – und watete auf ihn zu, um ihn aufzufischen. Da schreit plötzlich vom andern Ufer her ein Sudahnese laut auf und winkt und gebehrdet sich wie toll; Tomboldo schaut sich um und sieht ein wuthschnaubendes Nilpferd mit mächtigen Sätzen auf sich losstürmen. Das Vieh hat bereits festen Grund unter den Füßen und jagt wie ein angeschossener Eber durch die Fluthen; der Nubier ergreift in Todesangst die Flucht und erreicht, bis zum Uferrande von seinem furchtbaren Feinde verfolgt, glücklich den Wald. Ich war mit meiner trefflichen, leider aber blos leichte Kugeln schießenden Büchse dem treuen, höchst brauchbaren Diener zu Hülfe geeilt und fand ihn im Gebet und stöhnend auf der Erde liegen:

„La il laha il Allah, Mahammed rassuhl Allah! – Es gibt nur einen Gott, und Mahammed ist sein Prophet! – Nur bei Allah, dem Starken, allein ist die Stärke; allein nur bei Gott dem Helfenden, ist die Hülfe! – Behüte, o Herr, deinen Gläubigen vor dem aus deinen Himmeln zur Hölle hinab gestürzten Teufeln! – Du Hund, du Hundesohn, Hundeenkel und Hundeurenkel, du von einem Hund Erzeugter und von einer Hündin Gesäugter – du willst einen Moslim fressen?! Verdamme dich der Allmächtige, und werfe er dich in das Innere der Hölle! – –“ Diese und ähnliche Stoßseufzer und Flüche entrangen sich seinen bebenden Lippen. Dann aber sprang er wüthend auf, lud eine Kugel in sein Gewehr und sandte sie dem Nilpferde nach, welches noch immer vor uns tobte und lärmte. Die Kugel tanzte lustig auf dem Wasser hin und – an dem Ungethüme vorüber.

„Bei dem Barte des Propheten, bei dem Haupte deines Vaters, Effendi,“ bat er mich, „sende Du dem nichtswürdigen Gottesleugner aus Deiner Büchse eine Kugel zu; – denn auch mein schöner Taucher ist ja verloren!“

Ich willfahrte seiner Bitte, schoß und hörte die Kugel auf den Schädel einschlagen. Das Nilpferd brüllte laut auf, tauchte einige Male unter und schwamm nach der Mitte des See’s zu, wie es schien, ohne durch den Schuß wesentlich gestört zu sein. Nur seine Wuth nahm von Stunde zu Stunde zu. Freilich ließ uns unsere Rachsucht fortan die hier und da erscheinenden Köpfe als Scheiben ansehen, nach denen wir, so oft es anging, eine Kugel entsendeten. Ich wußte aus Erfahrung, daß meine schwache Büchsenkugel selbst bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht versagen, dem „Abgesandten der Hölle“ unsern Aerger fühlen zu lassen.

Auf unserer Rückreise kamen wir, wenige Tage nach diesem Vorfalle, wieder zu demselben See und trieben während der Jagd das Zielschießen nach den Nilpferdköpfen wie vorher. In das Wasser durften wir uns allerdings nicht mehr wagen; dafür aber schienen die Nilpferde auch das Land zu achten, und so herrschte jeder Gegner in seinem eigenen Kreise; wir auf dem Lande, die Nilpferde im Wasser. Nach einer sehr ergiebigen Jagd kehrten wir Nachmittags auf das Boot zurück, mit der Absicht, die Jagd am anderen Morgen fortzusetzen. Da wurden wir gegen Sonnenuntergang benachrichtigt, daß so eben eine zahlreiche Heerde von Pelikanen im See angekommen sei, um dort zu übernachten. Wir gingen deshalb nochmals zum See und begannen unsere Jagd auf die Vögel, welche im letzten Strahl der Sonne auf dem dunklen, hier und da vergoldeten Wasserspiegel wie große weiße Seerosen erschienen. In wenig Minuten hatte ich zwei Pelikane erlegt; Tomboldo jagte auf der andern Seite und feuerte ebenfalls lebhaft. Ihn erwartend, verweilte ich bis nach Sonnenuntergang auf meinem Stande; als er jedoch nicht erschien, trat ich mit meinem nubischen Begleiter und Beuteträger den Rückweg an. Unser Pfad führte durch ein Baumwollenfeld, welches bereits wieder vom Urwalde in Besitz genommen, gänzlich verwildert und arg von Dornenranken und anderen Stachelgewächsen durchzogen war. Froh unserer Beute und der schönen lauen Nacht nach dem heißen Tage, zogen wir unseres Weges dahin. Schon hatten wir fast das Ende des See’s erreicht, als mein Nubier plötzlich meinen Arm ergriff und mir leise zurief: „Effendi, schau, was ist das?“ Er deutete dabei auf drei dunkle, hügelartige Gegenstände, welche ich, so viel ich mich erinnerte, bei Tage nicht gesehen hatte; ich blieb stehen und blickte scharf nach ihnen hin, da bekam plötzlich der eine der Hügel Bewegung und Leben, – das nicht zu verkennende Wuthgebrüll des Nilpferdes tönte uns grauenvoll nahe in die Ohren und belehrte uns vollständig über den Irrthum, seinen Urheber für einen Erdhaufen gehalten zu haben – denn in Sätzen stürzte sich derselbe auf uns zu. Weg warf der Nubier Büchse und Beute; – „hauen âleïna ja rabbi!“ – „Hilf uns, o Herr des Himmels,“ rief er schaudernd, „flieh, Effendi, bei der Gnade des Allmächtigen – sonst sind wir verloren!“ Und verschwunden war die dunkle Gestalt im Gebüsch; ich aber wurde mir bewußt, daß ich in meiner lichten Jagdkleidung nothwendiger Weise die Augen des Ungethüms auf mich lenken mußte – und, waffenlos wie ich war – denn meine Waffen waren eben keine Waffen gegen den hautgepanzerten Riesen! – stürzte ich mich blindlings in das dornige Gestrüpp. Hinter mir her brüllte, tobte und stampfte das wüste Vieh, vor mir und rechts und links verflochten sich Dornen und Ranken zu einem fast undurchdringlichen Gewirr; die Stacheln der Nilmimose oder Rharrat verwundeten mich an allen Theilen des Körpers, die gebogenen Dornen des Nabakh rissen mir Fetzen auf Fetzen von meiner Kleidung herab – und weiter floh ich keuchend, schweißtriefend, blutend, – immer gerade aus, ohne Ziel, ohne Richtung, gejagt von Verderben und Tod in Gestalt des Scheusals hinter mir. Es gab keine Hindernisse für mich. Wie sehr auch die Dornen mich verwundeten und die Wunden schmerzten, ich achtete ihrer nicht, sondern jagte verzweiflungsvoll weiter, weiter, weiter! Ich weiß es nicht, wie lange die wilde Hetze gedauert haben mag; jedenfalls währte sie nicht lange; – denn sonst hätte das rasende Ungeheuer mich doch wohl eingeholt; – gleichwohl dünkte mich die dabei verlaufene Zeit eine Ewigkeit zu sein. Vor mir dunkle Nacht, hinter mir mein entsetzlicher Feind, – ich wußte nicht mehr, wo ich mich befand. Da, Himmel! – ich stürzte und stürzte tief. Aber ich fiel weich; ich lag im Strome. Als ich wieder an die Oberfläche des Wassers kam, sah ich oben auf der Höhe des Uferrandes, von welchem ich herabgestürzt war, das Nilpferd stehen; auf der andern Seite aber schimmerte mir das Feuer unserer Barke freundlich entgegen. Ich durchschwamm eine schmale Bucht und war gerettet, obwohl ich noch Tage lang die Folgen dieser Flucht verspürte. Von meinem Anzuge hatte ich blos noch Lumpen mit zu Schiffe gebracht. – Tomboldo war auf seinem Heimwege in dieselbe Lebensgefahr gekommen; er wurde ebenfalls von dem Nilpferde angenommen und bis zu derselben Stelle des Ufers verfolgt, über welche ich hinabgestürzt war. In höchster Aufregung langte er bei uns an und rief schon aus einiger Entfernung: „Brüder, meine Brüder, preist den Propheten, den Gottgesandten! Betet zwei „Rakaaht“ mehr für das Wohl meiner Seele! Der Sohn der Hölle und des Teufels war mir nahe und der Arm des Todes griff nach mir; aber Gott, der Erhabene, ist barmherzig und seine Gnade

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_701.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2023)