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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

haben, hüpfelt er in thaufrischen Gräsern daher, und wenn er auf trockene, sandige Stellen kommt, so gelüstet es ihn wohl zuvörderst, allein oder mit seinen Cameraden herumzuscherzen. Das ist jenes Springen und Hakenschlagen, Männchenmachen und Schnellen, wie wir es bereits beobachtet. Durch das letztere schüttelt er sich den thaufeuchten Balg, und auf so recht sonnigen, trockenen Fleckchen wälzt er sich auch, daß der weiße Bauch des fröhlichen Burschen hellleuchtend zu sicherem Schusse entgegenwinkt.

Später, wenn die Hühner nicht mehr halten, wird Lampe nicht nur so nebenbei auf’s Korn genommen, sondern dann gilt die Suche ihm allein, und er kommt folglich auch um so mehr in’s Feuer; namentlich ist das im Winter, nach einer Neue[1], wo er vorzüglich hält, der Fall. Bei Plattfrost hingegen, wo er ungemein lose sitzt und frühzeitig aus dem Lager fährt, werden Treibjagden auf ihn veranstaltet, wo dann Reinecke und anderes Wild, das zufällig in’s Treiben kommt, Gastrollen geben. Am vernichtendsten für den Hasen, für den Jäger aber höchst amüsant, sind die Kesseltreiben. Einen mächtigen Kreis bildend, nähern sich die Schützen, immer mehrere Treiber zwischen sich, dem Centrum, wobei jeder etwa herausfahrende Hase, sobald er dem Schützen erreichbar ist, Feuer auf den Pelz bekommt, bis der Kreis bereits so enge geworden, daß sich die Schützen ein paar Hundert Schritt gegenüber stehen; dann hört das Schießen nach der Innenseite des Kreises auf. Indem nun die Hasen, die in solcher Weise eingeschlossen sind, im Kreise herumrennen und dann einzeln durchzubrechen versuchen, was man ihnen auch gewährt, schießt man sie auf ihrer Flucht nach außen hin. Sehr oft sind in einem solchen Kessel Hunderte von Hasen, und man kann sich denken, daß, namentlich wenn lauter gute Schützen dabei sind, es gar manche Hasenleiche gibt.

So geht es vom 1. September bis letzten Februar über Lampes Balg her, wobei ihm nebenbei der wilddiebende Bauer und andere Herumlungerer durch Schlingenstellen auf das Martervollste Abbruch thun. Lampe ist nun einmal das verfolgteste, widerstandsloseste Wild, an dessen Braten sich Alles erlaben will, was Herr von Wildungen in seinem „Waidmanns Feierabend“ am Kürzesten und Treffendsten in folgenden humoristischen Reimen ausdrückt:

Menschen, Hunde, Wölfe, Lüchse,
Katzen, Marder, Wiesel, Füchse,
Adler, Uhus, Raben, Krähen,
Jeder Habicht, den wir sehen,
Elstern ja nicht zu vergessen,
Alles Alles will ihn fressen!

Und so mögen denn auch die geehrten Leser, denen ich den Appetit auf Hasenbraten angeregt zu haben wünsche, sich nicht entblöden, möglichst öfters ihr Häschen in Gesundheit zu verzehren und, wenn’s ein Glas Wein dazu gibt, in Gedanken mit mir anzuklingen auf frohe Jagd!




Industrielle Gewänder.


Wunderbar und mannichfaltig bis in’s Unzählbare und Unglaubliche sind die Producte und Fabrikate der Industrie und des Handels, welche Millionen Bedürfnisse und Wünsche aller Arten von Cultur und Geschmack der Menschheit zu befriedigen streben und so das Leben verschönern. Aber Waaren und Werthe würden bei aller Genialität der Technik, Industrie und Kunst immer sehr unansehnlich und reizlos bleiben, wenn man sie nicht zu packen, zu bekleiden, mit Etiketten und schöner Gewandung zu versehen gelernt hätte. Kleider machen Leute und auch Werth und Waare. Die Industrie, Kunst und Wissenschaft der Waaren-Bekleidung ist vielleicht ausgebildeter und großartiger, als irgend eine Fabrikation von Waaren.

Sehen wir uns einige dieser Bekleidungsanstalten für industrielle Producte an.

In den Vorstädten von Manchester, Birmingham, Bristol und London (besonders in Klein-Deutschland, Whitechapel) wird man oft von einem eigenthümlichen, unaufhörlich eintönig schnurrenden, zischenden Geräusch überrascht, das man selten eher begreifen wird, als nach Eintreten in die gewöhnlich schäbig und verfallen, staubig und liederlich aussehende Werkstatt. Halb versunken im Boden, mit Kohlenstaub und Schauer, mit Rauch und Dampf um sich her speiend, als wollte sie wüthend Alles um sich her zerreißen, pufft und pustet eine Dampfmaschine, die, bei Lichte besehen, nichts weiter zu thun hat, als eine andere, sehr simple Maschine fortwährend mit 100 Tischlerkraft hobeln zu lassen. Eigentlich sägt und hobelt sie zugleich und verwandelt, wie es scheint, jedes Stückchen Holz, das man ihr gibt, in glatte, in Länge, Breite und Dicke ganz genau geformte Spähne, Spähne von jeder Länge, Breite und Dicke, je nachdem sie gestellt ward. Diese Spähne fliegen mit reißender Geschwindigkeit unter dem sägenden Hobel oder der hobelnden Säge hervor, ohne daß ein Splitterchen von dem Holze verloren geht.

Die Maschine schneidet die ihr anvertrauten Stückchen Holz einfach, unfehlbar, leicht, spielend und schnell zu Schachtelwänden zurecht, zu Schachteln von allen Größen, zu den kleinsten Apotheker- und den größten Hutschachteln, zu hundert- und tausenderlei Schachteln für Posamentirer, Conditoren, Apotheker, Spielwaaren-Fabrikanten, Schreibmaterialien-Händler, Schwefelholz-Fabrikanten etc., Schachteln von Fichten-, Weiden- und anderem Holze, Schachteln, die fix und fertig zu 3 Sgr. per Groß (12 Dutzend) verkauft werden und in England allein über 10,000 Menschen, allerdings größtentheils Weiber und Kinder, beschäftigen und ernähren.

Aber gegen diese simpelste und unscheinbarste Kleiderform für Industrie- und Handelsartikel ist das Papier- und Pappengewand eine Welt von Variationen und Nahrungszweigen. Kleider-, Mützen-, Blumen-, Muster-, Spitzen-, Bänder- und unzählige andere Schachteln für unzählige weibliche, mysteriöse Luxusbedürfnisse – alle werden von verstärktem Papier, von Pappe in allen Graden von Stärke und Feinheit und künstlicher Verschönerung gemacht. Selbst die patentirten Erfindungen für diese Art von Schachteln sind kaum mehr zu zählen. Chemiker und Künstler, Mechaniker und Professoren der Naturwissenschaften haben ihren Witz angestrengt, schlaflose Nächte hindurch gegrübelt, gehungert und gedurstet, ihr und das Geld Anderer zu Hundertausenden von Thalern verexperimentirt, um diesen Schachteln von Papier und Pappe neue Reize und Formen, neue Ornamente und Decorationen zu schaffen und so das Publicum durch bestechende äußere Reize zu Käufern und Kunden zu machen für Dinge, die ohne diesen Kleiderstaat viel hundert Mal seltener und ohne Freude und Genuß gekauft werden würden. Die feinsten Producte der Papiermühle wandern in die Hände der Pappschachtel-Fabrikanten, die feinsten und weißesten Bogen, einfach weiß oder streifig, körnig, mit tiefen oder hohen Reliefs, mit den zauberischsten Arabesken bedruckt und strahlend in freudigen Farben bis zu echter Vergoldung. Unzählige feine, ausgedehnte Kunst-Industrien arbeiten hauptsächlich, oft mit großen Dampfmaschinen und Hunderten von Menschen, blos für die Pappschachtel-Fabrikanten, die in England über 50,000 Menschen beschäftigen und im Durchschnitt Jeden mit drei Schillingen oder einem Thaler täglich lohnen.

Vor mir steht ein rundes Schächtelchen, zwei Zoll im Durchmesser, zwei Drittel Zoll tief, Deckel und Körper auf einander passend, als wär’s das Werk des geschicktesten Mechanikers, außen mit Gold, Grün und Roth im geschmackvollsten Dessein verziert, außerdem mit vier Goldplättchen, die einander mit mikroskopischer Genauigkeit überragen, das Ganze ein niedliches Kunstwerk ohne Fehl und Flecken. Das Groß dieser Schächtelchen kostet einen Thaler zwei Silbergroschen. Wer sich privatim mit allem Geschick ein einziges dieser Schächtelchen machen wollte, würde an Zeit und Auslagen wenigstens den Fabrikwerth eines ganzen Großes dazu brauchen oder mit 144 Procent Verlust arbeiten. Nur dem fabelhaften Verbrauch von Ausschmückung der Papier- und Pappschachteln verdanken die neuen hübschen Erfindungen der Chromotypographie, Chromolithographie, des Farbendrucks mit Blöcken, des Reliefdrucks etc. ihre Blüthe. Der Parfümer, der Posamentirer, der Verkäufer von wohlriechenden Seifen, der Handschuhladen, eingemachte Früchte und Zuckersachen – das sind die eigenthümlichen Mäcene dieser feinen Künste. Der Chromotypograph lebt nicht von den einzelnen Kunstwerken, die er hervorbringt, sondern von Fabrikation und Verkauf

  1. Neue: frisch gefallener Schnee.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_699.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)