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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

nach sich vollziehende Verwandlung seiner Nichte, fand aber keine Veranlassung, sie zu stören. Graf von Weckhausen stand in dem Rufe eines höchst achtbaren Mannes, obwohl er sich erst vor Kurzem in der Gegend angekauft, nicht aber im strengen Sinne des Wortes auch daselbst niedergelassen hatte. Einige Monate des Jahres verbrachte er theils auf dem käuflich erworbenen Gute, theils in der Stadt. Diese Zeit war für Weckhausen wirklich eine Zeit der Muße, eine Siesta nach angestrengter Arbeit, um sich zu neuer Thätigkeit zu kräftigen. Fühlte der Graf sich wieder hinlänglich gestärkt, so verreiste er gewöhnlich auf zwei bis drittehalb Monate, kehrte dann wieder zurück und brachte durch seinen Wiedereintritt in die Gesellschaft neues Leben, neuen Reiz in deren zwanglose Reunions.

Aurelio von Weckhausen liebte es nicht, direct von sich zu sprechen, da er aber in Folge seiner häufigen Reisen immer ganz von selbst zum Erzählen genöthigt ward, konnte er seine eigenen Verhältnisse nicht ganz mit Stillschweigen übergehen. So erfuhren denn Alle, die es wissen wollten, daß der Graf einträgliche Quecksilbergruben in Spanien besaß und daß er vorzugsweise der Rentabilität derselben seine großen Einkünfte zu danken habe. Obwohl Aurelio mit liebenswürdiger Bescheidenheit sich alle tieferen Kenntnisse der Hüttenkunde absprach, gab er doch eben so unbefangen zu, daß er die Verwaltung derselben praktisch erlernt habe und daß er sich von den in den Gruben Angestellten nichts vormachen lasse. Gerade aus diesem Grunde und damit er stets eine genaue Uebersicht behalte, müsse er so oft verreisen. Er pflege am liebsten seine Beamten wie seine Arbeiter zu überraschen, weil er die Einsicht gewonnen habe, daß nur auf solche Weise Unterschieden und anderen Betrügereien vorgebeugt werden könne.

Aber auch andere Gegenden besuchte der unterrichtete, in gesellschaftlicher Hinsicht zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten gehörende Graf. Er kannte Frankreich genau, war in der Schweiz kein Fremdling und sprach über Italien, namentlich über die Städte Ober- und Mittel-Italiens, wie ein Mann, der zu wiederholten Malen längere Zeit daselbst gelebt haben mußte.

Durch alle Kreise der Gesellschaft machte daher die Nachricht von der Verlobung Rosaura’s mit dem Grafen Aurelio von Weckhausen frohe Sensation. Die Meisten hatten diesen Ausgang erwartet, einige Wenige nur ihn für nicht ganz wahrscheinlich gehalten.

Der Domcapitular versäumte nicht, der Verlobung seiner glücklichen Nichte einen möglichst ostensiblen Charakter zu geben. Er freute sich, daß der ihm so nahe Verwandten, deren zeitliches Wohl ihm aufrichtig am Herzen lag, durch seine Gastfreiheit ein so beneidenswerthes Loos gefallen sei. Nun war es seine Absicht, der Welt zu beweisen, daß auch er selbst dies Glück zu schätzen wisse, und aus diesem Grunde ward ein Verlobungsfest gefeiert, wie die Gesellschaft kaum je ein ähnliches erlebt hatte.

Das Glück der jungen Braut wäre vollkommen gewesen, hätte nicht wenige Tage nach dieser Festlichkeit Aurelio abermals eine seiner unaufschiebbaren Geschäftsreisen antreten müssen. Rosaura kostete der Abschied von dem Geliebten, den sie wahrhaft verehrte, viele Thränen, Aurelio erschöpfte seine ganze Ueberredungsgabe, um die Geliebte zu beruhigen, und versprach, als er sich schließlich von der Betrübten losriß, sie bei seiner Rückkehr, die er möglichst beschleunigen wollte, durch eine Ueberraschung zu erfreuen.

Wider Verhoffen blieb der Graf auch wirklich kürzere Zeit aus, als man es die Jahre her, seitdem man ihn kannte, an ihm gewohnt war. Die Sehnsucht nach der seiner harrenden Braut mochte ihm doch keine Ruhe gelassen haben. Mit offenen Armen von Rosaura und dem hocherfreuten Domcapitular empfangen, war sein erstes Verlangen, das er an Letzteren stellte, die Bitte um Beschleunigung der Vermählung. Der alte Herr hatte nichts dagegen einzuwenden; es wurden in möglichster Eile alle bereits eingeleiteten Anordnungen vollends beendigt und der Hochzeitstag, zu dem zahlreiche Einladungen ergingen, festgesetzt.

Den Vorabend desselben verlebte Aurelio von Weckhausen in der Wohnung des Domcapitulars, wo sich eine nur aus den intimsten Freunden und Freundinnen der Braut bestehende Gesellschaft einfand. Man wollte diesen schönen Abend nicht einsam und einsylbig, aber in der erquickenden Stille behaglicher Häuslichkeit, nur von wirklich erprobten Freunden umgeben, verbringen.

Von diesem Gesichtspunkte faßte auch der Graf dies Zusammensein auf, der im Allgemeinen mehr das lautere Geräusch einer großen und recht bunten Gesellschaft liebte. Er meinte, eine solche sei deshalb viel angenehmer, weil unter der großen Menge der Einzelne sich mehr verlieren und mithin Jeder weit leichter sich unbeobachtet ganz nach seinem individuellen Geschmack amüsiren könne.

In diesem kleinen Cirkel vertrauter Freunde befand sich indes Graf von Weckhausen sehr wohl, und gerade weil man ganz unter sich, gewissermaßen en famille war, benutzte er diese ihm günstig scheinende Gelegenheit, um sein Rosaura gegebenes Versprechen zu halten.

Ein Bedienter erschien und überreichte der schönen Braut eine Kapsel in Form eines mittelgroßen Bechers. Sie war von rothem Leder, sehr fein gearbeitet und offenbar ganz neu, und als Rosaura die feinen Silberhaken derselben löste, und die Kapsel auseinander fiel, blinkte ihr ein kostbarer Pokal von Gold daraus entgegen, dessen oberer Rand etwa einen Zoll breit unterhalb der Mündung mit Diamanten und Rubinen besetzt war. In meisterhaften Gravirungen zeigte die eine Seite dieses werthvollen Pokales die Jungfrau Maria mit dem Christuskinde, die andere Seite eine gelungene Nachbildung der Transfiguration. Die ganze, höchst kunstvolle Arbeit erwies sich für Kenner augenblicklich als ein Kunstwerk aus längst vergangenen Tagen und nahm schon deshalb die Aufmerksamkeit Aller in Anspruch.

Rosaura empfing zwar dies kostbare Geschenk aus der Hand ihres Verlobten mit herzlich dankenden Worten, dennoch würde sie an einer anderen Gabe, an einem Schmuck, der sich zu jeder Zeit, in jeder Gesellschaft anlegen ließ, wahrscheinlich noch größeres Wohlgefallen gefunden haben. Sie gab diese ihre innerste Herzensmeinung gewissermaßen zu erkennen, indem sie nach oberflächlicher Betrachtung des seltenen Kunstgebildes die naive Frage an den Grafen richtete: „Sag’ mir, geliebter Aurelio, was soll ich nun eigentlich mit diesem köstlichen Geschenke anfangen? Als Blumenvase kann ich es doch kaum benutzen, dazu ist die Höhlung des Pokales nicht tief genug; ich werde also genöthigt sein, ihn als ein seltenes Kleinod wegzustellen und nur dann und wann, an Tagen, welche schöner Rückerinnerung geweiht sind, mit frohen Regungen ihn zu betrachten.“

„Nicht doch, mein Engel,“ erwiderte Weckhausen, „dieser Becher soll vielmehr die Schale sein, in welcher Du mir täglich den Nektar der Liebe, gesegnet und geheiligt durch Deine Lippen, kredenzen wirst. Er soll uns so lange zur gemeinsamen Trinkschale dienen, als das Glück unserer Herzensvereinigung besteht, das nur die Hand des Todes zu zertrümmern vermag! In diesem Sinne ist er ein Symbol, dessen Heilighaltung ich Dir dringend empfehle.“

Rosaura sah den Geliebten mit einem scheuen Blicke an, da sie diesen Gedanken ein wenig sonderbar fand. Der Domcapitular aber pflichtete dem Grafen vollkommen bei, unterwarf den Pokal einer sehr genauen Prüfung, da er ein Kenner alter Goldschmiedearbeit sein wollte, und knüpfte mancherlei Betrachtungen an die dem Golde eingegrabenen Gebilde, denen sämmtliche Anwesende mit Aufmerksamkeit lauschten.

„Ich halte dieses wahrhaft schätzbare Stück für ein Werk Benvenuto Cellini’s,“ fügte er, den Pokal an Rosaura zurückgebend, hinzu, „wenigstens stammt es aus der Zeit dieses unvergleichlichen Künstlers in der Bearbeitung von Gold und Silber. Welchem seltenen glücklichen Zufall haben Sie die Erwerbung desselben zu verdanken?“

Diese Frage des Domcapitulars richtete die Blicke Aller wieder auf den Grafen, der sogleich bereit war, dem Onkel seiner Braut Auskunft zu ertheilen.

„Wohl muß ich es einen seltenen und glücklichen Zufall nennen,“ versetzte Aurelio, „daß dieser kostbare Becher in meinen Besitz überging. Die ursprüngliche Veranlassung dazu war eine äußerst prosaische, ja ich muß sagen, eine höchst alltägliche. Seit Jahren nämlich schuldet mir ein genuesisches Handlungshaus, mit dem schon mein Vater in Verbindung stand und das wohl in neuerer Zeit von glücklicheren Rivalen etwas stark überflügelt worden sein mag, bedeutende Summen für Quecksilber. Eigentliches kaufmännisches Talent besitze ich nicht, weshalb ich denn auch nicht schroff auftreten und saumselige Zahler sogleich streng behandeln kann. Ich wartete also von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr, machte bereitwillig neue, von dem Hause begehrte Sendungen, wurde aber in Bezug auf zu leistende Zahlung immer von Neuem mit Versprechungen hingehalten. Da entschloß ich mich denn nach vorangegangener Berathung mit meinem Rechtsconsulenten, dem Chef des säumigen Hauses eine ernste Mahnung, der sich eine verständliche Drohung verknüpfte, zugehen zu lassen. Dies geschah bei meiner letzten Anwesenheit in meinen spanischen Besitzungen. Mit dem Erfolge darf ich den Umständen nach zufrieden sein. Ich erhielt

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